Meinetwegen kann er gehen. Katrin Unterreiner

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Meinetwegen kann er gehen - Katrin Unterreiner


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wenn sie in seine Hände kamen, direkt Abbruch tat, indem er sie tagelang aufschob oder sich nicht weiter um sie kümmerte. Daher ließ auch der Kaiser bald den Erzherzog in diesen Dingen außer Spiel und die zwei kostbaren Jahre, während welchen Karl Thronfolger war und sich an seines erfahrenen, mustergültigen Großoheims Seite hätte heranbilden sollen, gingen unwiederbringlich verloren.“5 Franz Joseph hatte demnach offenbar keine große Lust, sich um den wenig ambitionierten Karl zu bemühen. Auch wenn Franz Joseph in seinem rein bürokratischen Abarbeiten von Akten sicherlich kein Vorbild eines aktiven Herrschers war, war es dennoch von beiden Seiten unglaublich fahrlässig, diese Zeit völlig ungenutzt verstreichen zu lassen. Dabei darf allerdings auch nicht vergessen werden, dass es im Umfeld des Kaisers natürlich Kräfte – allen voran den Chef der Militärkanzlei Arthur von Bolfras und Generaladjutant Eduard Graf Paar – gab, die eifersüchtig über ihren „alleinigen“ Einfluss auf den Kaiser wachten und versuchten den Kaiser abzuschirmen. Und so mehrten sich die Urteile, dass „Karl ein guter Junge, aber nicht übermäßig begabt und auch nicht gerade fleißig und lernbegierig“6 sei.

      Um das „Kriegsgeschäft“ kennenzulernen, wurde Karl schließlich ins Hauptquartier entsandt – doch auch da hinterließ er keinen besonderen Eindruck. Er nahm zwar an Vorträgen des Generalstabschefs und des Oberkommandos teil, zeigte aber über seine Anwesenheit hinaus kein besonderes Engagement. Schon damals wurde er natürlich von General August von Cramon, dem deutschen bevollmächtigten General beim k. u. k. Oberkommando, beobachtet, der jedoch nicht feststellen konnte, ob Karl ferngehalten wurde oder schlicht desinteressiert war. Auf Cramon machte er den Eindruck eines „sympathischen jungen Herren, der mit sich selbst noch nichts Rechtes anzufangen wußte und die Rolle eines fünften Rades nicht sonderlich abzuschwächen versuchte“.7

      Auch von den regierenden Politikern wurde der künftige Kaiser natürlich genauestens beobachtet – man wollte natürlich wissen, mit wem man es in Zukunft zu tun haben würde. Vorsichtig versuchte man auszuloten, wo und wie der Thronfolger zu Erneuerung und Reformen des verkrusteten Systems stünde. Die ersten Eindrücke gaben jedoch wenig Anlass zur Hoffnung. Der Thronfolger wurde als weltfremd und gleichmütig wahrgenommen, als jemand, dem der Ernst der Lage nicht klar sei. Vielleich auch um seinem Großonkel nicht als „Revoluzzer“ negativ aufzufallen, bemühte sich Karl, in seiner Einstellung dessen Erwartungen gerecht zu werden – sehr zum Missfallen vieler Politiker. So notierte Josef Redlich im Jänner 1915 in seinem Tagebuch: „Pallavicini sprach mit dem Thronfolger und sagte ihm, dass eine völlige Änderung der inneren Verhältnisse in Österreich Platz greifen müsse, worauf der hoffnungsvolle Erbe erwiderte: ,Ich bin in der Tradition meiner Familie dazu erzogen worden konservativ zu denken und so bin ich es auch. Es müssen alle alten Rechte und Traditionen erhalten bleiben.‘ Worauf Pallavicini erwiderte: ,Ja, das geht aber leider nicht so, wie man sich das denkt!‘ Na, das sind hübsche Aussichten!“8

      Doch es sollte ganz anders kommen. Als Karl im November 1916 die Nachfolge Kaiser Franz Josephs antrat, war schnell klar: Der junge Kaiser war nicht der konservative Traditionalist, wie von vielen befürchtet worden war. Im Gegenteil. Er zeigte sich plötzlich voller Tatendrang und sein Optimismus sorgte für eine Aufbruchsstimmung.

      Erzherzog Karl als Rittmeister des 7. Dragoner-Regiments. Aquarell von Ludwig Koch, 1912.

      Daher war Karl am Beginn seiner Herrschaft sogar äußerst populär: „Kaiser Karl erfreute sich in den ersten Wochen seiner Regierung einer weitverbreiteten Volkstümlichkeit … außerdem wurde herum erzählt, er sei sehr demokratisch gesinnt, daher begrüßten ihn die breiten Massen mit umso größerer Zuneigung.“9 Vor allem Karls persönliches Engagement und Eingreifen in der brennenden Versorgungs- und Ernährungsfrage brachte ihm viele Anhänger. Auch der frühere Handelsminister und Abgeordnete Joseph Baernreither, der später mit der Errichtung eines Ministeriums für soziale Fürsorge beauftragt wurde, schwärmte vom jungen Kaiserpaar und von den neuen Verhältnissen. Sein Kollege Joseph Redlich notierte in seinem Tagebuch: „Beide, sagt er, wollen das Volk ,erziehen‘! Ganz unhabsburgisch und höchst erfreulich sei dieser junge Hof, wo man ganz ohne Scheu über alles seine offene Meinung sagen könne. Ja es wird dringlichst erwartet, dass man über alles seine freie Meinung sage: Für alles hat man Interesse und Verständnis. Man will nicht von oben mit Druck nach untern regieren, sondern eben ,erziehen‘. Damit liege alles Hoffnungsvolle gegeben.“10

      Der junge Kaiser wurde überall als offen, liebenswürdig und als Feind jeglicher Etikette wahrgenommen. Allein die Tatsache, dass er nicht in einer der prächtigen offiziellen Residenzen der Habsburger residierte, sondern in Baden in nur drei Zimmern „wie irgendein Hauptmann“ wohnte, sorgte für Aufsehen. „Das erste war ein Vorraum, der meist mit Ministern, Generalen, Politikern, Funktionären, Ordonnanzen, Beamten, Lakaien angefüllt war; das mittlere war das Arbeitszimmer; im dritten, im Schlafzimmer, lag die Kaiserin im Wochenbett. Bürgerlicher kann man nicht sein. Die Küche war die denkbar einfachste. Zu Mittag trank der Monarch ein Glas Bier und rauchte eine Zigarette. So wohnte die kaiserliche Familie sechs Monate lang. Oft standen im Vorzimmer hohe Offiziere und Würdenträger und die Amme ging durch, mit den Utensilien ihres Amtes in den Händen.“11

      Die Reaktion war zwiespältig: „Die Frontleute lachten und freuten sich. Die Mumien und Schranzen im Um- und Dunstkreis der kahlen, kalten, unsympathischen Hofburg waren entsetzt.“12

      Doch die Stimmung kippte rasch. Karl brachte es zuwege, binnen kürzester Zeit jegliche Begeisterung zunichtezumachen und so ziemlich jeden gegen sich aufzubringen. Es zeigte sich, wie sehr Franz Joseph, der von allen Nationalitäten, Ständen und Konfessionen als Monarch respektiert worden war, als Klammer der Vielvölkermonarchie gewirkt hatte. Karl besaß diese Fähigkeiten nicht. Aus den Memoiren seines Flügeladjutanten, der ihm sicherlich loyal und treu zur Seite stand, geht eindeutig hervor, dass Karl zwar viele Missstände erkannte und durchaus gute Ideen zu Verbesserungen hatte, sich jedoch in Details verlor und vor allem in der Umsetzung nicht nur ungeschickt, sondern mitunter absolut gedankenlos mit fatalen Folgen agierte. „Das Zeremoniell, das Karl in Bausch und Bogen wegkehrte, verletzte die Höflinge, worüber sich Karl keine grauen Haare wachsen ließ. Was seine Armee- und Korpskommandanten aber zur hellen Verzweiflung brachte, war die Tatsache, daß sich Karl nicht referieren ließ wie der alte Kaiser, der die ,unbedingte Einhaltung des Dienstweges‘ als eine der höchsten Regierungskünste einschätzte, sondern daß er sich eine Information stets an Ort und Stelle verschaffte. Dazu gehörten unangesagte Inspektionen, überraschende Reisen. Schon in den ersten Monaten nannte man Karl an der Front nicht anders als ‚Karl den Plötzlichen‘.“13 Dass Karl die Zu- und Missstände seines Reiches persönlich sehen und kennenlernen wollte, wurde anfänglich absolut positiv bewertet – doch seine Reisen, Besuche und Inspektionen waren willkürlich, ließen kein Konzept dahinter und vor allem keine Konsequenzen daraus erkennen. So enttäuschte er sehr bald all jene, die große Hoffnungen in ihn gesetzt hatten. Immer deutlicher trat zutage, dass sich der Kaiser verzettelte, Unwichtiges nicht von Wichtigem unterscheiden konnte und im Großen und Ganzen trotz seiner Aktivität hilflos wirkte.

      Argwöhnisch wurde beobachtet, dass Karl sich nicht mit gebildeten, fähigen und erfahrenen Fachleuten umgab, sondern fast ausschließlich mit Jugendfreunden, denen er blind vertraute, die jedoch noch weniger Ahnung von den brennenden und heiklen Probleme der Monarchie hatten als er und definitiv keine guten Ratgeber waren. „Wie unverantwortlich die schlechte Auswahl der Umgebung war, zeigte sich, als Karl, auf den Thron seiner Väter gekommen, nichts Besseres zu tun wußte, als alle wichtigen und einträglichen Stellungen in der Umgebung der Krone seinen Erziehern und führenden Regimentskameraden zu verleihen, die aber auch nicht annähernd die Eignung und die Kenntnisse hatten, um ihre Stellungen halbwegs auszufüllen.“14

      Paul Thun-Hohenstein, der Karl seit Jugendtagen kannte, zeigte ganz offen die Schwächen des jungen Kaisers auf: „Er ist eine naive Natur, ohne höhere Interessen, ganz ,adeliger Rittmeister‘, aber guten Herzens und wohlwollend. Von den Staatsgeschäften weiß er wohl nicht viel. Anfangs hatte er große Angst vor dem Thronwechsel, war befangen, aber jetzt fühlt er sich schon. Er erinnert förmlich an Joseph II. mit seiner Ungeduld, täglich Neues zu schaffen.“15

      Selbst loyale Mitarbeiter wurden zunehmend pessimistischer.


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