Der Geburtstagskuchen, Heimweh, das verflixte Kleid. Helen Braasch
Читать онлайн книгу.alle Freude und alle Unbill mit mir geteilt hatte, war und blieb verschwunden. Es wurde Weihnachten, und meine Eltern riefen mich zur Bescherung. In alter Familientradition wurde dieser Moment vom Scheppern einer echten Kuhglocke eingeläutet. Die Stubentür öffnete sich, und die Lichter am Weihnachtsbaum spiegelten sich in meinen Augen wider. Der Leser kann sich wohl kaum vorstellen, welch ungeheure Freude ich empfand, als ich auf dem Weihnachtstisch ein Lieschen entdeckte. Und das Unglaubliche war, die Erwachsenen konnten mir weismachen, es sei ‚mein Lieschen‘.
Ich habe den kleinen Bären über viele Jahre geliebt und mit größter Sorgfalt behütet. Noch als junges Mädchen weinte ich meinen Kummer in seinen Pelz. Mit der Zeit wurde er ganz unansehnlich und hatte kaum noch Fell, aber noch heute bewahre ich ihn auf. Es bedeutet für mich eine ganz besondere Art der Anerkennung für eine Person, die ich würdig befinde, ihr meinen Teddy, den größten Schatz meiner Kindheit, zu zeigen. Niemand darf sich über ihn lustig machen. Nicht das Äußere macht den Wert eines Gegenstandes aus, sondern die Erinnerung, die man mit ihm verbindet, die Zeit, die man mit ihm verbracht hat und die Liebe, die ihn umgab.
EIGENSINN
Die Geduld meiner Eltern wurde manchmal auf eine harte Probe gestellt. Ich erinnere mich an so manches Vorkommnis. Als ich noch nicht zur Schule ging und meine Mutter einmal den ganzen Tag im hofseitig gelegenen Waschhaus zubrachte, war ich sehr unzufrieden. Meine Mutter kochte die Bettwäsche und die Handtücher in einem großen kohlebeheizten Wasserkessel, rubbelte sie dann über einem Waschbrett sauber, spülte sie in großen hölzernen Wannen und drehte sie letztendlich durch eine kleine Mangel, um sie anschließend auf dem Hof aufzuhängen. Danach wurde die Buntwäsche bearbeitet. Diese ganze Prozedur mit der angesammelten Schmutzwäsche dauerte meistens drei Tage lang. Ich fühlte mich in dieser Zeit oft sehr vernachlässigt, obwohl mein Vater daheim war. Aber Vati war eben nicht Mutti.
An einem solchen Tage sah ich morgens vom Fenster aus schon die Kinder auf dem Hof spielen, aber niemand kämmte meine langen blonden Haare, damit ich hinuntergehen konnte. Meist steckte mir meine Mutter eine sogenannte Rolle aus meinen Haaren auf den Kopf. Das war für mich zu schwierig, und auch mein Vater war darin nicht geübt. In meiner Ungeduld kam mir eine Idee. Ich setzte kurzerhand eine Baskenmütze auf, um mein Ungekämmtsein zu verbergen. Aber oh weh, ich konnte die Haare nicht bändigen. Überall drängelten sie aus der Mütze heraus. Hier musste Abhilfe her. Ich nahm kurzerhand heimlich eine Schere und schnitt alle Haare ab, die aus der Mütze herausschauten. Als das vollbracht war, kam ich mir hoffähig vor und zögerte nicht, die Treppen hinunterzurennen.
Im Hof angekommen, ging ich zuerst zu meiner Mutter. Das Waschhaus hatte stets eine große Anziehungskraft für uns Kinder. In einer Ecke des Hofes war es gelegen, und ein paar Stufen führten zu ihm hinab. Wenn es nicht belegt war, konnte man unten an der Treppe auch ganz versteckt spielen. Als wir größer waren, kletterten wir auf das Dach des Waschhauses und sprangen von dort in den Nachbarhof. Es war ein Tag im Sommer und recht warm, und meine Mutter wunderte sich sehr, dass ich eine Mütze aufhatte. Sie forderte mich auf, diese abzunehmen. Ich weigerte mich. Sie aber zog mir die Mütze kurzerhand vom Kopf und sah mit Schrecken die Bescherung. Ich muss mit dem verwüsteten Haar fürchterlich ausgesehen haben. In ihrem Entsetzen nahm mich die Mutter bei der Hand, zog mich die Treppen zu unserer Wohnung hinauf und forderte wütend meinen Vater auf, mit mir sofort zum Friseur zu gehen. Der wagte im Gegensatz zu seiner sonstigen Haltung keinen Widerspruch. Auf dem Weg dahin an der Hand meines gewöhnlich nicht allzu strengen Vaters und auf dem Friseurstuhl stand ich schreckliche Ängste aus. Ich fürchtete mich vor dem Friseur, der mit seiner Schere herumfuchtelte. Als er fertig war, hatte ich eine Kurzhaarfrisur. Auf unserem Hof angekommen, lachten mich meine Spielgefährten aus. Es war mir schrecklich peinlich. Am liebsten wäre ich in die Wohnung gegangen statt auf dem Hof zu spielen. Dennoch blieb ich, und bald hatten sich die Kinder an meine neue Frisur gewöhnt, während ich selbst noch lange darüber unglücklich war.
Mit der Wäsche einer Hausbewohnerin hatte ich an einem anderen Tag dieses Sommers noch ein weiteres unangenehmes Erlebnis. Die Frau hatte ihre frisch gewaschene Bettwäsche, die Handtücher und vieles mehr bereits sorgfältig aufgehängt. Da an jenem Tage niemand zum Spielen auf dem Hof war und ich mich langweilte, spielte ich mit ihrer Wäsche. Ich rannte unter den aufgehängten Stücken herum und stieß sie an. Wie schön sie baumelten! Mein Schreck war jedoch riesengroß, als ich bemerkte, dass plötzlich mehrere Wäschestücke herabgefallen waren und nun im Schmutz lagen. Was tun? Die Angst vor der betroffenen Frau saß mir im Nacken. Ich rannte so schnell ich konnte die Treppen zu unserer Wohnung hinauf und sagte zu meiner Mutter, ich sei schrecklich müde und wolle sofort Mittagsschlaf halten. Sie hielt dagegen, wir hätten ja noch nicht einmal Mittag gegessen. Ich aber bestand darauf, vorher zu schlafen, weil ich angeblich unglaublich müde sei. Als ich bereits ein Weilchen im Bett gelegen hatte, klingelte es an unserer Tür. Die Mitbewohnerin wollte mich sprechen. Da meine Mutter aber sagte, ich halte gerade Mittagsschlaf, informierte sie meine Mutter, dass ich ihre gewaschene Wäsche in den Schmutz befördert hatte. Ich hörte alles mit. Wie gut, dass ich in meinem sicheren Bett lag! Da blieb ich noch ein Weilchen. Der späteren Schelte durch meine Eltern bin ich dadurch natürlich nicht entgangen. An diesem Tag durfte ich nicht mehr draußen spielen.
Und noch ein anderes Beispiel meines Eigensinns. Dazu muss ich die Umstände etwas erläutern. In unseren Küchen befanden sich Kohleherde, in unseren Wohnzimmern Berliner Kachelöfen. Die Kohleherde wurden täglich zum Kochen mit Holz und Kohle befeuert. Unter den Herdplatten neben dem Feuer hatten sie auch eine Backröhre, und der Kuchen gelang darin nicht schlechter als in den heutigen Gas- und Elektroherden. Die Berliner Kachelöfen wurden nur in der kalten Jahreszeit beheizt. Sie strömten dann über den gesamten Tag eine wohlige Wärme aus. Besonders im Winter schleppten wir täglich mehrere Eimer der in den Kellern gebunkerten Briketts die Treppen hinauf. Beim Feuern entstand natürlich auch Asche, und diese musste wieder hinab befördert werden. Auf dem Hof befand sich eine im Boden eingelassene Aschengrube, in die alle Bewohner ihre Asche schütteten. Die Grube war durch eine große Metallplatte abgedeckt, die man ohne Weiteres betreten konnte. Diese Platte hatte zwei Öffnungen mit Deckeln, die beim Einfüllen der Asche aus den Haushalten aufgeklappt wurden. In mehr oder weniger regelmäßigen Abständen kam ein großes Auto, und spezielle Arbeiter leerten die Aschengrube. Nun begab es sich manchmal, dass diese nicht pünktlich geleert wurde. Wohin sollte man mit der Asche? Also immer oben drauf, und mit der Zeit wuchs ein Aschenberg auf der Aschengrube in unserem Hof. Wenn dann der Wind kam, wurde die Asche über den Hof gewirbelt. Wäscheaufhängen war zu diesem Zeitpunkt unmöglich. Aber es ergab sich noch ein anderer Effekt. Häufig war die ausgeschüttete Asche heiß, ja sogar glühend, und hier setzte mein nächstes Abenteuer an.
In der glühenden Asche ließ sich prima mit Puppentöpfen kochen. Wir Kinder füllten etwas Asche und Wasser in die Töpfchen, stellten sie in die heiße Asche und rührten kräftig, bis die ‚Mahlzeit‘ kochte. Da wir normalerweise noch nicht kochen konnten und durften, war das faszinierend. Die Puppen erhielten so ein warmes Essen. Es war natürlich nicht ganz ungefährlich, denn auf der Suche nach der heißesten Stelle im Aschenberg standen wir selbst in der Asche. Nicht nur, dass wir danach von oben bis unten grau aussahen, wir konnten im schlimmsten Fall auch in die Aschengrube hineinrutschen oder anbrennen. Glücklicherweise geschah das nie, aber es war der Ansatzpunkt unserer Eltern, das Aschenkochen zu verbieten. Verbote fördern bekanntlich die Begierde. Ich kann mich noch genau erinnern, dass ich regelrecht süchtig danach war, in der Asche zu spielen. Und so schlich ich mich mit meinen Töpfchen eines Tages aus der Wohnung, um entgegen allen Verboten in der Asche zu kochen. Eine Weile ging es gut, und ich freute mich daran. Meine Eltern konnten vom Fenster aus die Aschengrube nicht sehen. Vielleicht hatten andere Hausbewohner gepetzt. Plötzlich erschien meine Mutter, schimpfte schrecklich und beorderte mich in die Wohnung. Alle Tränen nützten nichts. Das Resultat meiner Aschensucht: Ich erhielt drei Tage Stubenarrest. Es war schrecklich für mich, und ich habe danach nie wieder in der Asche gekocht.
MILITÄRMUSIK
Ich war noch im Vorschulalter und spielte auf unserem Hof. Wo blieben denn nur heute die anderen? Ich langweilte mich schrecklich, hatte schon