Lady Bartons Rache. Barbara Cartland

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Lady Bartons Rache - Barbara Cartland


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      Danach war sie jedes Mal früh zu Bett geschickt worden, wenn ihre Eltern Gäste empfingen.

      Als sie in Frankreich waren, durfte sie niemals allein ausgehen, sondern nur in Begleitung Erwachsener.

      Wenn sie sich jetzt so im Spiegel betrachtete, dann bezweifelte sie stark, daß noch irgendjemand sie hübsch finden würde, so abgemagert wie sie war, mit den übergroß wirkenden Augen, die das ganze Gesicht zu beherrschen schienen.

      Der ständige Hunger, der sie quälte, machte es ihr schwer, überhaupt noch zu lächeln; das Lachen hatte sie längst verlernt.

      Ihr Haar hatte früher geglänzt wie gesponnenes Gold, jetzt hing es stumpf und strähnig herunter.

      Ihre Augen blitzten nicht mehr so lebhaft wie einst die ihrer Mutter.

      Bedächtig, weil ihr jede hastige Bewegung schwerfiel, obwohl sie im Augenblick gesättigt war, begann Valessa sich anzukleiden. Die Kleider, die im Garderobenschrank hingen, waren alle alt und abgetragen, und sie überlegte, welches wohl noch am hübschesten aussehen würde, wenn man sie früher oder später aus dem Fluß zog.

      Am wahrscheinlichsten war, daß spielende Kinder sie als erste entdeckten oder vielleicht ein Landarbeiter auf der Suche nach einem Kaninchen oder Hasen für den Kochtopf.

      Valessa hatte ebenfalls versucht, eine Kaninchenfalle im Garten aufzustellen, aber sie hatte kein Glück gehabt. Nur eine Krähe hatte sich in der Schlinge verfangen, und diese schwarzen Vögel bedeuteten bekanntlich Unglück. Deshalb hatte sie das Tier befreit und erleichtert aufgeatmet, als es davongeflattert war.

      Später erst überlegte sie, daß sie sich vielleicht eine Mahlzeit von der Krähe hätte bereiten können, bezweifelte jedoch, daß das zähe Fleisch genießbar gewesen wäre.

      Seufzend griff sie nach dem besten Kleid, das ihr noch geblieben war. Es hatte ihrer Mutter gehört und war ihr viel zu weit, doch sie würde darin wenigstens nicht so armselig aussehen, wenn sie tot war.

      Außer der Garderobe ihrer Mutter hatte sie alle Kleider verkauft und herzlich wenig dafür bekommen. Ihre eigenen Kleider war sie schon deshalb nicht losgeworden, weil niemand so schlank war wie sie.

      Das einzige einigermaßen ansehnliche Kleidungsstück, das sie besaß, war ein warmer, weiter Mantel, den sie auf ihrem Weg zum Fluß tragen wollte.

      Mehrmals hatte sie mit dem Gedanken gespielt, auch ihn gegen ein Stück Fleisch einzutauschen, doch dann überlegte sie sich, daß es auf dem Weg zum Fluß kalt sein könnte und sie Gefahr lief, unterwegs vor Erschöpfung und Kälte zusammenzubrechen und ihr Ziel nie zu erreichen.

      Sie konnte nicht schwimmen, und der Fluß führte nach dem anhaltenden Regen im vergangenen Monat genügend Hochwasser, um kurz vor der Schleuse für ihr Vorhaben tief genug zu sein. Der vollgesogene Mantel würde sie dann auch schneller in die Tiefe ziehen, als es ohne ihn der Fall wäre.

      Jemand hatte einmal gesagt, der Tod durch Ertrinken sei eine schnelle und angenehme Todesart.

      Valessa hatte auch gehört, daß dabei das Leben kaleidoskopartig an einem vorüberziehe und man sich all seiner Sünden und Verdienste im Leben erinnere.

      Wenn sie es sich recht überlegte, glaubte sie nicht, mit irgendwelchen Sünden aufwarten zu können, aber vielleicht gab es da eine Überraschung.

      Sie knöpfte das Kleid zu, ordnete vor dem Spiegel ihr Haar und ging dann mit entschlossenen Schritten auf den Schrank zu, um den Mantel herauszuholen.

      Mittlerweile war es fast Mittag, und da sie keinen Bissen mehr zu essen hatte, sagte sie sich, daß es höchste Zeit wurde, zum Fluß zu gehen. Je eher sie es hinter sich brachte, desto besser.

      Sie nahm gerade den Mantel vom Haken, als sie zu ihrem Erstaunen ein Klopfen an der Haustür vernahm.

      Sie überlegte, wer das sein könnte.

      In der vergangenen Woche hatte niemand sie besucht, und das einzige Mal, daß sie mit jemandem gesprochen hatte, war bei ihrem Gang durchs Dorf gewesen.

      Der kleine Ort war etwa eine Viertelmeile von ihrem Haus entfernt, und das war ihr mittlerweile zu weit und zu beschwerlich geworden.

      Gestern hatte sie sich noch einmal aufgerafft, um sich die Eier zu holen, die sie heute morgen verspeist hatte.

      Erneut ertönte ein Klopfen an der Haustür. Sie legte den Mantel aufs Bett, lief die Treppe hinunter und durch den Flur zur Haustür, um sie zu öffnen.

      Draußen standen drei Gentlemen in Jagdröcken, dahinter drei Pferde und zwei Reitknechte.

      Dann sah sie, daß einer der Herren eine Dame in Reitkleidung auf den Armen trug.

      »Dürfen wir eintreten?« fragte einer der Fremden. »Lady Barton ist gestürzt und hat sich ziemlich schwer am Arm verletzt. Ihr Haus lag der Unfallstelle am nächsten.«

      Valessa machte die Tür weiter auf.

      »Ja, selbstverständlich«, sagte sie.

      Valessa ging voraus, um den unverhofften Besuchern die Tür Zinn Salon zu öffnen. Erst jetzt sah sie, daß Blut von Lady Bartons Hand auf den Fußboden tropfte.

      Im Salon gab es nur noch ein schäbiges Sofa, das sie aus einem der Schuppen hierher gezerrt hatte, nachdem das Zimmer völlig ausgeräumt worden war.

      Damit hatte sie eine Sitzgelegenheit vor dem Kamin wie zu Lebzeiten ihrer Eltern und konnte sich einbilden, die beiden lebten noch und es sei alles wie früher, wenn sie allein hier saß.

      Die Herren betteten Lady Barton, deren Augen geschlossen waren, behutsam auf das Sofa.

      Einer schlitzte mit einem Jagdmesser den Ärmel des eleganten Reitkostüms bis zur Schulter auf.

      Jetzt wurde die klaffende Wunde sichtbar, die sich vom Ellbogen der Lady bis zum Handgelenk hinzog.

      »Wir brauchen Wasser und Verbandszeug«, sagte einer der Männer.

      Valessa zuckte zusammen. Ihr wurde erst in diesem Augenblick bewußt, daß sie Lady Barton die ganze Zeit nur angestarrt und nichts getan hatte.

      Während sie in die Küche lief, rief sie sich ins Gedächtnis zurück, was sie über Lady Barton wußte.

      Little Fladbury war zwar ein abgelegenes Nest, aber trotzdem blühte der Klatsch. Einmal in der Woche traf der Fuhrmann im Dorf ein und brachte immer die letzten Neuigkeiten mit. Außerdem waren zwei Söhne aus einer Häuslerfamilie in Herrschaftshäusern angestellt und hatten immer eine Menge zu erzählen, wenn sie nach Hause kamen.

      Lady Barton galt als sagenhaft reich, erinnerte sich Valessa, während sie den Wasserkessel vom Herd nahm. Ihr gehörte Ridgeley Towers, ein prächtiges Herrenhaus, außerdem war sie Besitzerin der erfolgreichsten Rennpferde und der besten Jagdpferde des Countys.

      Valessa hatte sich sagen lassen, daß die Dame auch sehr schön sei und abgesehen von ihrem Reichtum vor allem wegen ihrer äußeren Erscheinung von jedem Mann der besseren Gesellschaft in London begehrt werde.

      »Das müßtet ihr mal sehen«, sagte der Sohn des Gemüsehändlers im Dorf nach seiner Rückkehr, »die Männer umschwirren sie wie Fliegen den Honigtopf.«

      Valessa war auch etwas von wilden Partys zu Ohren gekommen.

      »Ihrem alten Herrn hat sie’s zu verdanken«, erzählte man ihr, »der hat mit seinen Schiffen viel, viel Geld gemacht, und einige behaupten, damit wären Sklaven transportiert worden.«

      Valessa war starr gewesen vor Entsetzen. Sie hatte viele Aufrufe gegen den Sklavenhandel gelesen und konnte sich vorstellen, daß dieser hohen Profit abwarf, wenn man skrupellos genug war, sich darauf einzulassen. Jedenfalls war Lady Barton als brillante Gastgeberin bekannt, und ihre Gesellschaften waren die glänzendsten Feste weit und breit.

      Die Söhne des Gemüsehändlers wußten zu berichten, daß die Dienstboten dabei so schuften mußten, daß sie sich abends kaum noch auf den Beinen halten konnten.

      Als


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