Der Taschenmesserfall. Walter Uwe Weitbrecht

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Der Taschenmesserfall - Walter Uwe Weitbrecht


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Der Staumauersturz

      An einem kühlen Sommermorgen im Oberbergischen, seit dem Vorabend hatte es nicht mehr geregnet und die Sonne wärmte das Wäldchen um die Bruchertalsperre auf, lag ein leichter Dunst über den Baumwipfeln und über dem Abfluss zur Wipper schwankten durchsichtige Nebelschwaden wie Elfen in weißen, durchsichtigen Kleidern.

      Heidi Wolfslust schlenderte auf der nur wenig befahrenen Straße von der Staumauer abwärts und beobachtete ihren Schäferhund, der fröhlich mit zurückgelegten Ohren Kurven rannte. Als er die Talsohle erreicht hatte, blieb er plötzlich am Straßenrand stehen und bellte. Als Heidi Wolfslust neben ihn trat, sah sie einen am Kopf blutenden jungen Mann mit zerrissenen Jeans und blauem Pullover im Schatten unterhalb der Talsperre im Gras neben dem Wasserauslass am Boden liegen. Er bewegte noch die Beine und schien etwas sagen zu wollen. Sie kniete neben ihm nieder und beugte sich zu ihm hinunter. Er flüsterte etwas, was sie kaum verstand und verlor dann das Bewusstsein. Rasch zog sie ihr Handy aus der Jackentasche und wählte 110.

      „Am Fuß der Brucherstaumauer liegt ein Verletzter. Er sagt, soweit ich es verstanden habe, er sei hinuntergestoßen worden.“ Nach etwa zehn Minuten kamen mit einer Staubwolke, Blaulicht und Martinshorn Polizei und Krankenwagen.

      In der Polizeidirektion musterte Kommissarin Waltraud Rausch den schlanken, etwa dreißig Jahre alten Mann in blauen Jeans, weißem T-Shirt und brauner Sportjacke, der unsicher um sich blickend das Büro betrat.

      „Was führt Sie hierher“, fragte sie.

      „Ich bin der Neue, Hinrich Schulte, aus Dortmund hierher beordert“, antwortete er und reichte ihr die Hand.

      „Erwarten wir für die Polizeiwache einen Neuen?“ Sie blickte sich fragend um, aber da war niemand außer ihr und Hinrich Schulte.

      „Nach meinem Zusatzstudium der Kriminologie wurde ich nach Gummersbach versetzt, um bei der Kripo anzufangen.“

      „Ach, bei uns! Ich hatte jemanden aus Köln erwartet. Bei der Kripo können wir Verstärkung gut gebrauchen. Es geht drunter und drüber, seit die Zahl der Einbrüche so zugenommen hat.“

      Sie schüttelte ihm die Hand, zeigte auf einen kahlen Schreibtisch am Fenster. „Dort können Sie Ihre Zelte aufschlagen. Ich habe Ihnen schon einen Ausdruck hingelegt. Einen Bericht des Streifendienstes, über einen Selbstmordversuch an der Bruchertalsperre. War das Erste, was heute reinkam. Vielleicht können Sie sich damit beschäftigen. Ich muss noch Akten aufarbeiten.“

      Hinrich Schulte stellte seine Tasche ab, nahm das Blatt hoch und las es aufmerksam. Aus dem Bericht ging hervor, dass eine Zeugin angerufen und behauptet hatte, es sei jemand von der Bruchertalsperre gestoßen worden. Als sie ankamen, war der Verletzte tief bewusstlos. Sein Personalausweis befand sich in der Jackentasche, Maximilian Gummelang, 18 Jahre alt. Der Notarzt hielt es aufgrund der Kopfverletzung für unwahrscheinlich, dass er noch habe sprechen können. Spuren für Fremdeinwirkung hätten sie nicht finden können, deshalb seien sie von einem Selbstmordversuch ausgegangen. Das habe es dort schon öfter gegeben. Einige ausgedruckte Fotos vom Ort des Geschehens lagen dem Bericht bei. Hinrich Schulte zog einen Notizblock aus seiner Jackentasche und machte einige Einträge.

      „Alles in Ordnung?“, fragte Waltraud Rausch.

      „Ich werde mir alles anschauen, mit der Zeugin und den Angehörigen sprechen.“

      „Zweifel am Bericht?“

      „Ja!“

      Hinrich Schulte musterte die Stelle, an der Maximilian Gummelang gelegen hatte und kritzelte etwas in seinen Block. Dann ging er die Straße hoch zu der Stelle an der Staumauer, von der der junge Mann hinuntergestürzt sein musste. Langsam ging er den Mauerrand ab und fand Wollfasern des blauen Pullovers sowohl auf der Mauer als auch an der Außenkante. An der Innenkante fand sich der Abrieb einzelner roter Fasern. Er packte alles mit der Pinzette in kleine Plastiktüten und machte sich auf den Weg zu der Zeugin Heidi Wolfslust und anschließend ins Krankenhaus.

      Heidi Wolfslust wohnte in Rodt in einer Mietswohnung, Am Struckey, und war gerade dabei, die Wohnung zu saugen, als er klingelte, sodass sie erst nach mehrfachem Läuten öffnete. Sie berichtete ihm, dass sie mit dem Hund spazieren war und dabei den Verletzten gefunden habe. Der Verletzte sei noch ansprechbar gewesen und habe etwas wie: „Ich bin gestoßen worden“, gehaucht und sei bewusstlos geworden. Sie habe sofort angerufen und ansonsten nichts bemerkt. Im Krankenhaus erfuhr er vom Stationsarzt, dass das Veilchen um das linke Auge des Verletzten schon vor dem Sturz entstanden sein musste und nur die Prellmarke unter dem Haaransatz rechts durch den Aufprall erklärt werden könne. Zudem habe er sich beide Unterarme gebrochen. Sprechen konnte er mit Maximilian Gummelang nicht, da dieser schläfrig und verwirrt war.

      „Er wird es zum Glück überleben“, sagte der Stationsarzt der Intensivstation.

      Auch Hinrich Schulte hatte Glück. Er traf die Mutter an, die ihren Sohn besuchte und konnte kurz mit ihr sprechen.

      „Wenn man nur wüsste, was passiert ist“, sagte Dora Gummelang, putzte sich die Nase mit einem Papiertaschentuch und steckte es in den Ausschnitt ihres geblümten Sommerkleides. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass es ein Selbstmordversuch war. Er war immer so fröhlich und in letzter Zeit so erfolgreich in der Handball-Jugendmannschaft des VFL. Er hat gehofft, in eine Bundesligamannschaft wechseln zu können.“

      „Kennen Sie in ihrem oder dem Bekanntenkreis Ihres Sohnes jemanden mit dem Namen Klaus?“

      „Wieso Klaus?“

      „Eine Zeugin meinte, diesen Namen im Flüstern ihres Sohnes gehört zu haben.“

      „Klaus, Klaus? – Ja, da ist einmal Klaus Neubart, ein Freund der Familie. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass der etwas damit zu tun hat. Maximilian und er sind seit Jahren ein Herz und eine Seele. Sie waren sogar schon mehrfach zusammen zelten und Herr Neubart hat das Handballtraining unterstützt.“

      „Gab es in letzter Zeit zwischen den beiden Unstimmigkeiten?“

      „Nein, Nein! Sie waren immer noch gute Freunde. Es gibt noch einen anderen Klaus, Klaus Grimmelung, einen gleichaltrigen Klassenkameraden. Mit diesem hatte Maximilian in der letzten Zeit häufiger Streit. Es ging um eine Freundin, Lotte, zwei Klassen tiefer, glaube ich. Sie haben sich beide um sie bemüht. Lotte war auch schon mal bei uns zu Hause, ein nettes Mädchen.“

      „Kennen Sie die Adresse von Klaus Neubart, Klaus Grimmelung und der Freundin? Ich möchte mehr über die Hintergründe wissen.“

      „Klaus Neubart, ja, Klaus Grimmelung, nein. Letztere könnten Sie über die Schule erfahren.“

      Er hielt ihr sein Notizbuch mit dem Stift hin, und sie trug ihm die Adresse ein.

      „Wissen Sie, ob Ihr Sohn Drogen nimmt?“

      „Auf keinen Fall. Er ist so sportlich und aktiv, kein Junkie, der nur rumhängt.“

      „Sie haben mir sehr geholfen“, sagte Hinrich Schulte, „Gute Besserung für Maximilian.“

      Er ging nochmals zum Stationsarzt: „Sie wollten ein Drogenscreening machen. Hat das etwas ergeben?“ Der Stationsarzt schob ihm einen Zettel hin. Er blickte kurz darauf, notierte etwas auf seinem Block und verabschiedete sich.

      Hinrich Schulte saß vor dem Computer und versuchte, in einer Tabelle alle beteiligten Personen zu ordnen nach Aufenthaltsort, Aufenthaltszeit und Beziehung zum Opfer.

      Waltraud Rausch stand hinter ihm: „Zweifel ausgeräumt?“

      „Ja, es handelt sich um einen Mordversuch.“

      „Nicht Selbstmordversuch?

      „Kein Selbstmörder schlägt sich erst mit der Faust auf das linke Auge, um dann über die Staumauer zu robben und vornüber hinunterzufallen. Er hat sich die Arme und nicht die Beine gebrochen. Zudem waren an der Staumauer außer den Faserspuren vom blauen Pullover des Opfers noch andere Faserspuren.“

      „Und wer soll der Täter sein?“

      „Am


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