Dialektik des geisteswissenschaftlichen Universums. Horst-Joachim Rahn

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Dialektik des geisteswissenschaftlichen Universums - Horst-Joachim Rahn


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Sivananda).

      Die Besonnenheit142 ist die Haltung der Gelassenheit eines Menschen, insbesondere in schwierigen Situationen selbstbeherrscht, vernünftig, abwägend bzw. distanziert zu handeln und die Vernunft walten zu lassen. Dabei gilt es, Geduld zu zeigen und vorschnelle bzw. unüberlegte Handlungen zu vermeiden. Die Besonnenheit zählt zu den Kardinaltugenden wie Weisheit, Tapferkeit und Gerechtigkeit. Im Gegensatz zur Besonnenheit steht die menschliche Impulsivität, bei dem der Mensch spontan und ohne jeden Einbezug von Konsequenzen reagiert. Dazu ein Beispiel:

      Der Philosoph Ludwig Feuerbach hatte sich mit Berta Löw verheiratet und suchte im Wald seine Ruhe auf einer Holzbank. Da stand plötzlich der Förster vor ihm: „Angermaier ist mein Name, ich bin der Oberforstrat des hiesigen Reviers. Mit wem habe ich das Vergnügen?“ „Das weiß ich nicht, ich kenne ihre näheren Lebensumstände nicht“ sagte Feuerbach. „Mein Herr, sagte der Forstrat Angermeier ungehalten“. Er sah Feuerbach streng an: „Sie sind recht unhöflich und seltsam dazu. Sie sollten wissen, dass ich ein namhafter Gelehrter bin, der schon zwei Bücher geschrieben hat. Meine Werke sind im hiesigen Revier von durchschlagender Wirkung, wenn Sie verstehen, was ich meine!“ Feuerbach antwortete besonnen: „Ich denke schon, Sie sehen mich zutiefst beeindruckt. Neben einem Mann wie Ihnen, Herr Angermeier, kann ein schlichter Waldläufer wie ich, sich nur klein vorkommen, wenn auch nicht unbedingt hässlich!“143

      ► Sophokles sagt zur Gelassenheit würdigend: „Aller Güter höchstes sei Besonnenheit.“ Und es gilt: „Besonnenheit ist eine Tugend, die mit dem Alter wächst“ (F. Schmidberger). Auch Politiker sollten sie beherzigen, denn: „Besonnenheit ist die Vernunft der Politik“ (L. Genbetta). Grundsätzlich zählt das deutsche Sprichwort: „Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.“ In ganz anderer Interpretation sieht es N.G. Dávila: „Die Gelassenheit ist die Folge akzeptierter Unsicherheit.“ Auch in kriegerischen Zeiten hat sie ihre Bedeutung: „Die höchste Krone des Helden ist die Besonnenheit mitten in Stürmen der Gegenwart“ (J. Paul). Außerdem: „Mut und Besonnenheit paarten sich, ihr geliebtes Kind nannten sie Tapferkeit“ (Sprichwort). Wir können in aller Gelassenheit feststellen: „Wer mit Bedacht handelt, erreicht, was er erstrebt“ (aus Arabien). Oder auch: „Kommt Zeit, kommt Rat“ (Sprichwort). Zum Schluss: „..zu dem, der warten kann, kommt alles mit der Zeit“ (aus Frankreich).

      ► Dem wird entgegengehalten: „Niemand ist mehr Fehlern ausgesetzt, als der Mensch, der nur aus Überlegung handelt“ (Vauvenargues). Oder deftiger: „Aus einem verzagten Arsch kommt kein fröhlicher Furz“ (M. Luther). „Die Besonnenheit bedeutet Gelassenheit und Selbstbeherrschung, zu langes Zaudern kann aber auch schaden. Deshalb mein Rat: „Sei besonnen, aber warte nicht, bis es zu spät ist.“* Und es gilt: Einseitige, unkritische Besonnenheit gleitet in die Tatenlosigkeit ab.“* Dazu passt: „Zu dem der immer wartet, kommt gewöhnlich alles zu spät“ (E. Oesch). Außerdem gilt in unserer hektischen Zeit: „Der Mensch hat das Warten verlernt. Darin liegt das Grundübel unserer Zeit“ (W.S. Maugham). Zum Schluss: „Wer gar zu viel bedenkt, wird wenig leisten“ (F. von Schiller).

      ► Was ist nun für unsere Lebensbewältigung wichtig? „Il faut faire le pas selon la jambe“, d. h. den Schritt muss man dem Bein anpassen (aus Frankreich). Und zu beachten ist auch: „Wirf deine alten Schuhe nicht weg, ehe du neue hast“ (aus Flandern). Zu viel Besonnenheit ist auch nicht gut: „Habe Geduld, aber nicht zu viel“ (unbekannt). Und: „Man darf Zurückhaltung nicht mit Schwäche verwechseln“ (R. Plümer). Die Besonnenheit zählt bei Konfuzius zu den zentralen Idealen und ist eine Geisteshaltung, die nicht mit Ängstlichkeit verwechselt werden darf:

       „Der Ängstliche besinnt sich so lange,

       bis seine Besonnenheit keinen Sinn mehr macht“

       (A. Brie)

      Insbesondere edle Menschen gelten als besonnen: „Mittleren Menschen mag man den Mut loben, edlen die Besonnenheit“ (W. Rathenau). Der heilige Franz von Sales sagt: „Die Besonnenheit steht in Verbindung mit der Tugend des Stillschweigens, was allzeit besser sei, als eine lieblose Wahrheit zu verkünden.“ „Zur Besonnenheit gehört auch, die rechten Pläne zu fassen, das Gute und Schlechte und alles, was im Leben zu erstreben und zu meistern ist, beurteilen zu können, alle wirksamen Güter recht zu benutzen, den nötigen Umgang zu pflegen, überall den rechten Zeitpunkt zu erkennen, geistesgegenwärtig zu sein in Wort und Tat, in allen nützlichen Dingen erfahren zu sein“ (Aristoteles). Aber: „Hüte Dich, alles zu begehren, was Du siehst, alles zu glauben, was Du hörst, alles zu sagen, was Du weißt, und alles zu tun, was Du kannst“ (Inschrift an einem Kloster in Lyon). Vor allem, wenn man etwas von Anderen verlangt, sollte man sehr vorsichtig sein: „Überlege einmal, bevor du gibst, zweimal bevor zu annimmst, und tausendmal, bevor du verlangst“ (M. von Ebner-Eschenbach).

      Die Hilfsbereitschaft ist die Bereitwilligkeit zur Hilfe durch einen Menschen für einen anderen. Der Hilfe geht beispielsweise eine Bitte des Hilfsbedürftigen voraus oder eine davon unabhängige Entscheidung durch hilfsbereite Menschen. In den zwischenmenschlichen Beziehungen ist die Hilfsbereitschaft ein besonderer Bestandteil der Kooperation: Menschen handeln unter spezifischen Bedingungen mehr oder weniger altruistisch.144 Echt gläubige Menschen betrachten Hilfe als eine natürliche Pflicht, die sich als Aufgabe aus ihrem Glauben ergibt. Viele nicht gläubige Menschen folgen ihrem Gewissen und sehen die Hilfsbereitschaft ebenfalls als eine vorrangige Aufgabe. Nicht wenige Personen denken im Leben nur an sich selbst und helfen anderen kaum. Eine funktionsfähige Gesellschaft kommt aber ohne Hilfsbereitschaft nicht aus. Man kann vorsorgende Hilfe (z. B. Vorsorgeuntersuchungen, Nutzung von Versicherungen), nachsorgende Hilfe (z. B. Rehabilitation), Soforthilfe (z. B. Erste Hilfe) und humanitäre Hilfe unterscheiden, z. B. Beistand in Not. Auch die Hilfsbereitschaft hat zwei Seiten.

      ► Thesen zur Hilfsbereitschaft: „Man muss sich gegenseitig helfen, das ist ein Naturgesetz“ (J. de la Fontaine). Auch: „Es kennt der edle Mann nicht eine schönere Pflicht, als die zu helfen, mit allem, was er hat und was er kann“ (Sophokles). Oder ermutigend: „Wer einen Blinden vierzig Schritte führt, dem werden seine früheren Sünden vergeben“ (Mohammed). Oder: „Dem Mann kann geholfen werden“ (F. von Schiller). Das Genie J.W. von Goethe fordert überzeugend: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.“ Der österreichische Schriftsteller F. Grillparzer stellt unumwunden fest: „Es ist so schön, für andere zu leben.“ Dazu passt: „Nach „lieben“ ist „helfen“ das schönste Zeitwort der Welt“ (B. von Suttner). Grundsätzlich gilt: „Anderen Menschen helfen zu können erfüllt mit höchster Zufriedenheit.“*

      ► Es gibt auch Antithesen zur Hilfsbereitschaft: „Jeder überschätzt seinen Wohltätigkeitssinn“ (E. Wertheimer). Oder anders: „Es gibt eine Art Hilfsbereitschaft, die einfach nur widerlich berührt, weil sie nichts so sehr wie der Eitelkeit des Helfenden dient“ (P. Rudi). Nicht immer endet Hilfsbereitschaft positiv: „Elende Helfer, … die nicht helfen können, ohne zugleich zu schaden“ (G.E. Lessing). Oder: „Wer nicht im Augenblick hilft, scheint mir nie zu helfen“ (J.W. von Goethe). Nachdenklich macht: „Ein Wohltäter hat immer etwas von einem Gläubiger“ (C.F. Hebbel). Auf der Autobahn ist leider folgendes nicht selten: „Auf einen Helfer kommen fünf Dutzend Gaffer“ (aus Italien).

      ► Meine Synthese zur Hilfsbereitschaft: „Hilfsbereitschaft ist für jede intakte Gesellschaft ein unabdingbare Tugend.“* Grundsätzlich gilt: „Um Almosen geben zu können, muss man nicht reich sein“ (Don Bosco). Wer nicht von innen heraus dazu bereit ist: Hilfreiches Verhalten lässt sich durchaus lernen.145 Die Hilfsbereitschaft hat Folgen: „Mein Herz freut sich, dass du so gern hilfst“ (Bibel: Psalm 13,6). Ob mit positiven oder negativen Folgen: „Hilfsbereitschaft spricht sich schnell herum“ (A. van Rheyn).


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