Dialektik des geisteswissenschaftlichen Universums. Horst-Joachim Rahn
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1. Grundlagen des geisteswissenschaftlichen Universums
Das Universum als Kosmos1 bezeichnet in der Physik die umfassende Anordnung aller Materie und Energie. Dabei ist das Gegebene aus der Zeit heraus bedingt.2 Es ist das zu einem Ganzen zusammengefasste Weltall.3 Im Gegensatz zu diesem Universum mit der Sonne, der Milchstraße, den Sternen, dem Mond und der Erde besteht das geisteswissenschaftliche Universum insbesondere aus Gott, dem Gebet, dem Himmel, der Welt, der Gesellschaft und dem Menschen. Gott ist hier das Zentrum des geisteswissenschaftlichen Universums. Das erstgenannte Universum wird von den Naturwissenschaften4 analysiert.
1.1 Geisteswissenschaftliches Universum
„Das geisteswissenschaftliche Universum ist ein theoretisches Konstrukt als spezielle Gesamtordnung in Form einer mehrdimensionalen Raum-Zeit-Welt. Es ist insbesondere Gegenstand theologischer und philosophischer Betrachtungen und zeigt den Wirkzusammenhang zwischen Gott, der Gesellschaft, dem Menschen und seiner Welt.“5 Wir gehen davon aus, dass die Philosophie die Wissenschaft der Wahrheit ist (Aristoteles) und dass die Theologie die Lehre von Gott im Himmel, des Glaubens und der Glaubensdokumente darstellt. Aber auch andere Geisteswissenschaften tangieren dieses Thema. Theologie und Philosophie bilden in der Welt des Menschen als Metaebene den theoretischen Überbau und damit das Äquivalent zu dessen persönlicher Sinnbasis,6 die sich mit dem Sinn des menschlichen Lebens auseinandersetzt.
Der Philosoph Konrad P. Liessmann beschäftigte sich intensiv mit dem „Universum der Dinge.“ Nach seiner Auffassung geht es im Grunde bei dieser Betrachtung der Welt des Menschen darum, viele Dinge, mit denen wir es täglich zu tun haben, besser zu verstehen.7 Die Welt des Menschen ist unvorstellbar groß, aber der einzelne Mensch ist darin nur ein ganz kleines, aber bedeutendes Element. Mit seinem Geist (z. B. Intelligenz, Denken, Gefühl, Wollen, Wissen, Gewissen), seinen Tugenden und Untugenden, seinem bewussten Erleben (z. B. Wahrnehmung, Emotionen, Liebe), seiner inneren Haltung (z. B. Gesinnung, Besonnenheit, Mut), seinem Handeln (z. B. Verhalten), seinem Umfeld (z. B. Das Böse, das Gute, die Natur) und dem Ergebnis des Handelns (z. B. Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit) bildet er Ansatzpunkte für tiefere dialektische Betrachtungen. Das Ziel dieser Arbeit besteht darin Wege aufzuzeigen, wie sich der Mensch in dem großen geisteswissenschaftlichen Universum besser zurechtfinden kann.
1.2 Faszination der Dialektik
Wir wollen den Versuch wagen, das schwierig zu erfassende geisteswissenschaftliche Universum mit der Methode der Dialektik zu ergründen und zu beschreiben. „Wir können das geisteswissenschaftliche Universum in seiner Gesamtheit bzw. Funktionsweise nicht vollständig erklären, weil es unübersehbar komplex ist und uns Menschen dazu die Kenntnisse fehlen.“*
Der Begriff Dialektik wird in der philosophischen Literatur sehr unterschiedlich verwendet.8 Johann Gottlieb Fichte spricht 1794 das erste Mal von einem synthetischen Verfahren, welches die Vereinigung der Gegensätze von These und Antithese zum Zweck hat.9 Der Philosoph F. W. J. Schelling10 behauptet, dass die Triade als Dreiheit von These-Antithese und Synthese der Entwicklung in Natur und Geschichte entspricht. „In der durchgängigen Tiefe und Breite zu analysierender Inhalte des geisteswissenschaftlichen Universums gewinnt die dialektische Methode nicht nur für den Dialektiker eine gewisse Faszination.“* Dieser ist ein Mensch, „… der das Für und Wider einer Sache scharfsinnig darlegen Widersprüche, die im Denken auftauchen, geschickt erklären und lösen kann.“11
Vereinfachend lässt sich der Zusammenhang in folgender Weise ausdrücken:
► Eine These ist eine allgemeine Aussage, die das Wesentliche aus einem Aussagenkomplex zur Geltung bringen soll. Thesen sind als Pro-Argumente zu verstehen, die jeweils zeigen sollen, was für das jeweilige Argument spricht.
► Eine Antithese ist die auf das Wesentliche begrenzte Gegenbehauptung zu einer These. Die Antithesen sind also Contra-Argumente, die detailliert angeben, was gegen das jeweilige Argument spricht.
► Die Synthese bildet den Versuch einer sinnvollen Verknüpfung von These bzw. Antithese und bildet dabei die Conclusio als Schlussfolgerung, die z. B. von einem persönlichen Standpunkt getragen wird und im Ergebnis als subjektiv zu interpretieren ist.
Die dialektische Sicht des geisteswissenschaftlichen Universums soll zunächst am Beispiel des Menschen und seiner Welt beschreiben werden. Die vielen Aphorismen, Thesen, Fußnoten, Sprüche und Aussagen dieses kompakten Werkes stammen von vielen großen Geistern und wurden in mehrjähriger, zeitlich sehr aufwändiger Arbeit jahrelang gesammelt und später systematisch geordnet.12 Es kommen in diesem Buch viele Meinungen zu Wort, die nicht alle im Einzelnen reflektiert werden können. Es ist ein weiteres Ziel dieser Arbeit, den Leser mit den Thesen bzw. Antithesen und Synthese zum Genießen, zum Nachdenken, und zur vertiefenden Diskussion anzuregen.
1.3 Wissenschaft und Forschung
Der große englische Dichter W. Shakespeare sagte: „Wissenschaft, was für ein Segen bist du!“ Die Wissenschaft ist der Erwerb von neuem Wissen durch Forschung, seine Weitergabe durch die Lehre sowie die Gesamtheit des so erworbenen Wissens. Die Tätigkeit eines Forschers besteht darin, Sätze oder Systeme von Sätzen aufzustellen und systematisch zu überprüfen.13 Forschung ist die methodische Suche nach neuen Erkenntnissen, ihre systematische Dokumentation und Veröffentlichung in Form wissenschaftlicher Arbeiten. „Für mich ist das wissenschaftliche Arbeiten die Krone des menschlichen Tätigseins überhaupt.“*
Wir unterscheiden14 Metawissenschaften (z. B. Philosophie, Theologie), Naturwissenschaften (z. B. Physik, Chemie, Biologie, Geologie, Medizin, Informatik), Geisteswissenschaften15 (z. B. Rechtswissenschaft, Pädagogik, Psychologie, Soziologie, Geschichte, Sprachwissenschaften, VWL, BWL) und Formalwissenschaften, z. B. Logik, Mathematik. Was will die Wissenschaft? „Sehen, um vorauszusehen, so lautet der Spruch der wahrhaften Wissenschaft“ (A. Comte). Dabei gilt: „Missbrauchte Begriffe sind nicht mehr unschuldig“ (U. Erckenbrecht). Die Wissenschaft sucht insbesondere nach Begründungen. Aber sie stellt klar: „Wo keine Wirkung ist, braucht man keine Ursache zu suchen“ (Rousseau). Bezogen auf das obige Thema der Dialektik des geisteswissenschaftlichen Universums imponiert die Feststellung: „Nichts in der Welt ist stärker als eine Idee, für die die Zeit gekommen ist“ (V. Hugo). Zum Schluss: „Ihrer wahren Wesensbestimmung nach ist die Wissenschaft das Studium der Schönheit der Welt“ (S. Weil). Auch die Wissenschaft lässt sich dialektisch betrachten.
► „Die Wissenschaft nährt die Jugend und