Karnische Hochzeit. Reinhard M. Czar

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Karnische Hochzeit - Reinhard M. Czar


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der Geschwindigkeit das Heck des Alfa aus. Doch Forza fing den Wagen geschickt ab. Nach rund dreihundert Metern in der schnurgeraden Straße, die vom höher gelegenen Ortsteil Piano d’Arta zum Fluss hinunterführte, hatten die Ermittler bereits hundert Sachen drauf. Dem Dorfpolizisten erstarrte das Antlitz zu Eis – sonst schrieb er an dieser Stelle bereits bei sechzig Stundenkilometern saftige Strafmandate. Und die Anrainer der abschüssigen Gasse dürften Forza mit seinem grellen Scheinwerferlicht und dem lauten Motorenlärm, die er ihnen durch die Fenster in die Schlafzimmer schickte, ohnehin von ganzem Herzen verflucht haben.

      An der Kreuzung mit der Strada statale 52 bis Carnica, der Hauptstraße durch das Tal des But, lenkte Forza scharf nach links, wieder mit ausbrechendem Heck, um unmittelbar darauf in die Zufahrtsstraße zur Therme rechts wegzubiegen. Eine scharfe Kehre noch, mit leicht abhebenden Rädern ging es über die Brücke des Flusses und Forza stellte den Wagen direkt vor dem Eingang ins Thermalbad ab.

      „Bene!“, lobte der Commissario, „das ging ja wirklich professionell.“

      Nach einem zufälligen Blick auf Forzas Unterschenkel, den die Hose beim Aussteigen kurzfristig freigab, lachte Camilieri auf und fügte hinzu: „Besser als das Anziehen!“

      Forza verstand nicht sofort. Erst nachdem der andere auf seine Füße gedeutet hatte, erkannte er das Malheur: Da hatte er doch glatt zwei verschiedenfarbige Socken erwischt!

      „Merda“, murmelte er, „das kommt von der Hetzerei.“

      Und Camilieri schoss durch den Kopf, dass Eleonora wohl noch ein gutes Stück Arbeit mit ihrem Giuseppe haben würde. Nur der Dorfpolizist dachte nichts. Seinem Gesicht fehlte nach dem Aussteigen völlig die Farbe, es glich den Nebelfetzen, die im bleichen Mondlicht gespenstisch vom Wasser des But aufstiegen.

      *

      In der Zwischenzeit herrschte in der Therme bereits Chaos. Menschen liefen wild durcheinander, ein Sinn, gar eine Struktur hinter ihrem hektischen Tun war nicht zu erkennen. Camilieri schnappte sich als Ersten den Nachtwächter, der – obwohl es eine weitere Befragung werden dürfte – erstaunlich gelassen dasaß und der Dinge harrte, die bis zu seinem wohlverdienten Frühstück noch kommen sollten.

      „Sie haben die Leiche also gefunden“, begann der Commissario.

      „Sì“, bestätigte der Mann.

      „Wie lange waren Sie zu dem Zeitpunkt schon in der Therme?“

      „Eine gute Viertelstunde, schätze ich.“

      „Ist Ihnen vorher irgendetwas aufgefallen? War etwas anders als sonst?“

      „No.“

      „Denken Sie bitte genau nach, jede Kleinigkeit kann von Bedeutung sein.“

      „Nein, Commissario, es war alles wie sonst. Obwohl … “, der Nachtwächter zögerte.

      „Ja? Was obwohl?“

      „Ein Fenster war offen. Ich bemerkte es an der Zugluft.“

      „Zeigen Sie mir das Fenster!“ Und zu Forza sagte er: „Kommen Sie mit, Kollege.“

      Der Nachtwächter führte die beiden zu dem Fenster und erklärte: „Hier, dieses Fenster war offen. Ich spürte gleich beim Hereinkommen Zugluft. Das ist aber nichts Besonderes. Jede zweite Nacht ist hier irgendwo ein Fenster geöffnet. Die Badegäste machen es tagsüber auf, wenn die Hitze zu groß wird oder die Luft schlecht ist, und das Personal merkt es beim Zusperren nicht.“

      Vorsichtig, um nicht eventuell vorhandene Spuren zu zerstören, trat der Commissario an das Fenster heran und schaute hinaus.

      „Viel sieht man nicht. Wir werden uns das Ganze nach Tagesanbruch von draußen anschauen“, sagte er zu Forza.

      „Und was haben Sie dann gemacht?“, setzte dieser die Befragung des Nachtwächters fort.

      „Na, das Fenster geschlossen“, antwortete der Mann leicht genervt.

      „Und dann?“, drängte Forza.

      „Dann habe ich meinen Rundgang fortgesetzt. Wie jede Nacht.“

      „Dabei ist Ihnen nichts mehr aufgefallen?“

      „Nein, alles war wie immer. Bis ich in die Halle mit dem Schwimmbecken gekommen bin. Da habe ich auf der Wasserfläche etwas treiben sehen.“

      „Sonst war nichts anders?“, insistierte Forza. „Nicht die kleinste Kleinigkeit?“

      „Na ja“, meinte der Nachtwächter nach einer kurzen Nachdenkpause, „es hat hier herinnen so komisch gerochen.“

      „Wie – komisch?“

      „Nach Verwesung. Zusätzlich zum Schwefelgeruch, der vom Wasser aufsteigt.“

      Commissario Claudio Camilieri pfiff durch die Zähne. Er sagte zu Forza: „Wissen Sie, was das bedeutet?“

      Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort: „Das bedeutet, dass unser Toter da gar nicht mehr frisch ist.“

      „Sie meinen also, dass er woanders ermordet und erst danach hierher verfrachtet wurde?“, fragte Forza nach, ob er den Commissario richtig verstanden habe.

      „Wenn er denn ermordet wurde“, antwortete Camilieri. „Es war ja noch nicht einmal ein Pathologe da. Wir kennen die Todesursache also nicht.“

      „Alles andere als ein Mord kommt wohl kaum infrage. Oder glauben Sie, er wäre irgendwo da draußen eines natürlichen Todes gestorben und dann hereinspaziert, um in der Therme endgültig unterzutauchen?“

      Camilieri lachte kurz auf: „Sehr wahrscheinlich ist es nicht, zugegeben. Aber bevor wir keine Gewissheit haben, darf nichts von Vornherein ausgeschlossen werden.“

      „Stimmt. Trotzdem fällt mir keine andere Möglichkeit ein. Es ist wohl auch schwer vorstellbar, dass er draußen eines natürlichen Todes gestorben ist und heute Nacht von irgendwem hereingetragen und ins Wasser gelegt wurde. Warum sollte man das tun?“

      „Ja, ja, Sie haben ja recht, Forza“, sagte der Commissario, „ich wollte lediglich ausdrücken, dass wir keine vorschnellen Schlüsse ziehen sollten.“

      „Und im Wasser ertrunken kann er auch nicht sein“, dachte Forza weiter laut nach, „denn gestern war die Therme geöffnet. Wie aber die gute Nase unseres Wachmannes hier bestätigt hat und man auch jetzt unschwer feststellen kann“ – er rümpfte die Nase –, „muss er schon länger tot sein als ein paar Stunden. Sonst würde er ja nicht so streng riechen.“

      „Gut“, gab sich Camilieri gegenüber der Logik seines Kollegen geschlagen, „gehen wir also davon aus, dass er vor einiger Zeit irgendwo da draußen ermordet wurde. Stellt sich also die Frage, warum irgendjemand das Risiko in Kauf nahm, beim Versuch entdeckt zu werden, die Leiche hierher zu transportieren. Warum hat er sie nicht in den Wäldern, die sich ringsum erstrecken, gefahrlos verscharrt? Oder einfach liegen gelassen? Bis ein Jäger oder ein Schwammerlsucher sie gefunden hätte, könnten Monate vergehen.“

      „Diese Frage ist berechtigt, Commissario. Warum schleppt man sein Opfer einige Tage nach der Tat an einen Platz, wo eine Entdeckung ziemlich wahrscheinlich ist?“

      „Weil man will, dass es entdeckt wird.“

      „Das könnte man auch einfacher haben“, gab Forza zu bedenken.

      Camilieri ergänzte: „Weil man will, dass das Opfer entdeckt wird, und gleichzeitig irgendetwas damit ausdrücken möchte.“

      „Ausdrücken?“

      „Ja, beispielsweise eine Warnung mitschicken: Ihr anderen, passt auf, dass es euch nicht gleich ergeht! Forza, wir sollten, sobald es hell wird, den Platz vor dem Fenster inspizieren. Vorher brauche ich aber dringend einen Caffè.“

      „Den könnte ich auch vertragen“, bestätigte Forza und rief in die Runde, in der Beamte der Polizia municipale, vom Unglück benachrichtigte Thermenführungskräfte


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