Das Abenteuer meiner Jugend. Gerhart Hauptmann
Читать онлайн книгу.uns Kinder in die Sperrsitze lockte, mitunter aus überheller, glühender Sonnenwelt in den kühlen Dämmer einer von künstlichem Licht beschienenen künstlichen.
Ja, die Griechen, die sind klassisch,
doch so klassisch nicht wie wir!
war der Refrain, den eine Soubrette immer wieder, akkompagniert von der Kurkapelle, herausschmetterte, wobei sie sich fesch auf den Schenkel schlug.
Eines Abends hatte mich dann meine Mutter in eine Gastvorstellung mitgenommen. Der Gast war ein Akrobat, der, in braunen Filz eingenäht, einen Menschenaffen darstellte. Er hatte sich, oder man hatte ihn, in einer Pflanzerfamilie, vielleicht auf Borneo, heimisch gemacht. Es war ein missverstandenes Tier, glaube ich, das wegen unguter Eigenschaften, hauptsächlich wohl von dem Pflanzer, rau behandelt wurde. Aber da kam der den Orang-Utan glorifizierende Augenblick. Die einsame Farm geriet in Brand, die Flammen loderten um ein Schlafzimmer, in dem hoffnungslos verloren ein Säugling und, ich glaube, noch ein kleines Mädchen zurückgeblieben waren. Man hörte die Farmersleute vergeblich jammern. Da aber, im Augenblick der höchsten Gefahr, erschien mit leichtem Schwunge der Affe, der Retter, im Qualm der bengalischen Flammen auf der Fensterbank. Sorgfältig hob er den Säugling aus dem Bett und entfernte sich mit ihm durch das Fenster, kam wieder und entriss auch das Mädchen den Flammen. Ich glaube, er trug sie huckepack, als er sie wiederum durch das Fenster mit sich nahm, um sie den Eltern zu übergeben. Sogleich bewies auch ihr Freudengeschrei, dass es geschehen war.
Dieser Affe bewegte sich dann noch zwei- und vierhändig auf der Balustrade des ersten Ranges außerhalb der Bühne herum, ja machte auf einem hölzernen Zweirad, wie dem des Kapellmeisters, zuletzt unglaubliche Kunststücke.
Dies machte ich ihm in der Folge nicht nach, dafür aber war sein gesamtes äffisches Gebaren zwangsläufig auf mich übergegangen: die eigentümlichen Kehllaute des Tieres, die nach Innen gebogenen Fingerspitzen, die ein Gehen auf den Kniebeln1 ermöglichten, und schließlich seine eigentümliche Beweglichkeit. Der Erfolg meines Nachahmungstriebs lockte selbst meinem Vater, der damals noch kaum aus dem Rahmen seines steifen Ernstes trat, eine Art Beifall ab, der sich allerdings nur durch ein Herblicken und eine kaum merkliche Veränderung des beherrschten Gesichts ausdrückte.
Die im Stile der Birch-Pfeiffer gedachte theatralische Affengestalt übertrug sich also, ähnlich wie Chingachgook, von innerer in äußerliche Wirklichkeit, und zum ersten Mal war dabei Kunst als neuerworbenes Können im Spiele.
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Eine andere Kunst hatte sich damals ohne mein Zutun in mir ausgebildet. Mein dauerndes Leben in freier Natur, besonders vom frühen Frühjahr bis zum späten Herbst, Jahreszeiten, die ich vom ersten Leberblümchen, Himmelsschlüssel und Maiglöckchen bis zur letzten Aster auskostete, machte mich zum Schüler der Singvögel. Seltsamerweise gab es Nachtigallen in Salzbrunn nicht, aber sonst alle möglichen Arten. Um ein Rotkehlchen oder sonst einen Sänger nachzuahmen, bedurfte ich keines Instruments als einer Membrane von Birkenrinde. Langgezogene Laute, Geschmetter und endlose Triller brachte ich mit der Kehle hervor, so täuschend, dass eine Gruppe von Badegästen hin und wieder andächtig stehenblieb, wenn ich meine mich selbst beglückende Kunst im Dämmer des Abends, in einem Gebüsch versteckt, ausübte. Ich hatte damit, wo ich mich herauswagte, bei einfachen Leuten des Orts, auch bei Apotheker Linkes, nicht in der eigenen Familie, eine Art Berühmtheit erlangt und wurde nicht selten gebeten, mich hören zu lassen.
Sinn für die Welt der Vögel und Liebe zu ihr hatte ich allenthalben gewonnen. Mochten es die Scharen von Sperlingen sein, die damals weit zahlreicher als heut Höfe und Straßen mit ihrem lustig frechen Wesen bevölkerten, oder in der Schusterwerkstatt die sprechende Dohle und das Rotkehlchen oder die Stare, die frühjahrs pfeifend ihre alten Starkästen in Besitz nahmen, oder die sommerlichen Singvögel oder bei Fräulein von Randow im Kurländischen Hof der Papagei. Oder in den Glasschränken des Müllers von Wilhelmshöh ausgestopft alle erdenklichen, selten gesehenen heimischen Arten. Oder die Rebhuhnfamilie, die ebenso wie ein balzender Auerhahn, in großen Glaskästen untergebracht, den Eingangsraum unseres Gasthofs schmückte.
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Wer war dieser Müller von Wilhelmshöh? Ein älterer, schweigsamer Mann in grünem Rock, der Wilhelmshöh, einen Ausflugsort, von der Badeverwaltung gepachtet hatte. Wer den Müller von Wilhelmshöh erwähnte, meinte einen geheimnisumwobenen Mann, dem man mancherlei ungewöhnliche Dinge zutraute. Wilhelmshöh war umgeben von Wald. Nie anders als im grünen Rock, die kurze Pfeife im Munde, traf ihn, wer nachmittags dort seinen Kaffee trank. In dem romanisch-gotischen Bau des Vergnügungslokals war seine ornithologische Sammlung untergebracht, auch eine Eiersammlung war dabei, und man konnte modernste Jagdflinten in einem Glasschrank bewundern.
War er ein Freischütz, der Müller von Wilhelmshöh? Gerüchte um ihn, Gemunkel, Geflüster wollten nicht aufhören. Wo kam er her? Wahrscheinlich hatte er eine Farmer- und Pelzjägerschule in der Neuen Welt hinter sich. Auch auf uns Kinder wirkte er als ein Mensch, der in den kleinen Rahmen von Salzbrunn nicht hineinpasste.
1 Knöcheln <<<
Vierzehntes Kapitel
Die Augen meines Vaters blickten durch doppelte Brillengläser. Sie waren hellblau. Er nahm außer des Nachts Brille und Pincenez1 niemals ab.
Sein Gesicht in der Ruhe war ganz Strenge und Ernst, tief eingegraben die senkrechten Stirnfalten, buschig die Brauen, üppig auf der Oberlippe der den Mund verdeckende Bart.
Für Körperpflege brauchte mein Vater Tag für Tag lange Zeit. Seine Anzüge waren vom besten englischen Tuch und beim ersten Schneider in Breslau gefertigt. Eine Sammlung von Schuhwerk wurde von ihm selbst gereinigt und blank geputzt, er hätte sie nie fremder Hand überantwortet.
Den damals üblichen Schlafrock verachtete er. Beim ersten Frühstück bereits war er bis auf die Busennadel tadellos angekleidet.
Jeden Morgen rieb er sich selbst mit einem in kaltes Wasser getauchten, rohen und rauen Leinentuch, in das er sich dabei völlig einwickelte, von oben bis unten ab.
Dagegen war meine Mutter, seit ich sie kannte, gegen ihr Äußeres völlig gleichgültig. Sie nannte den Körper mit Luther einen elenden