Philosophische Anthropologie. Michael Bordt

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Philosophische Anthropologie - Michael Bordt


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Fach heute noch hat. Anthropologie ist die Lehre von der menschlichen Natur, ist die Lehre davon, wer wir und was wir als Menschen sind. Der Mensch hat eine doppelte Natur; darin stimmt Casmann mit Hundt überein. Er besteht aus einem materiellen Körper und einer immateriellen Seele. Nur besteht bei Casmann die Sonderstellung des Menschen darin, dass der materielle Körper und die immaterielle Seele zusammen eine unauflösliche Einheit bilden. Um den Menschen zu verstehen müssen wir also nicht seine Seele verstehen, wie das noch Hundt behauptet hatte, sondern wir müssen verstehen, was für ein merkwürdiges Wesen wir sind, in welchem Seele und Körper eine unauflösliche Einheit bilden.

      Sowohl Hundt als auch Casmann grenzen sich in ihren Anthropologien gegenüber anderen Versuchen, Anthropologie zu betreiben ab. Es ist ja nicht so, dass erst mit dem 16. Jahrhundert die Reflektion über den Menschen beginnt. Aberesistaufschlussreich, dass Hundtund Casmann mit der Tradition brechen, einer Tradition die etwas über den Menschen sagen möchte, den Menschen dabei aber in ein viel größeres Ganzes einbettet. Hundt und Casmann wenden sich in ihren Entwürfen vor allem dagegen, den Menschen von anderen Wissenschaften her zu verstehen. Dabei sind es vor allem zwei Wissenschaften, gegen die sie sich richten: Zum einen gegen die Naturwissenschaften, also den Versuch, den Menschen vollständig dadurch zu verstehen, dass wir ihn von unserer, wie wir heute sagen würden, biologischen, physikalischen oder biochemischen Struktur her verstehen. Zum anderen richten sie sich, das ist bei Casmann besonders deutlich, gegen den Versuch, den Menschen ganz von der Metaphysik, oder wie wir heute sagen würden, von der Theologie her zu verstehen, also von einer übergeordneten anderen Wissenschaft.

      Casmann versucht, die Besonderheit des Menschen deutlich zu machen. Und an diesen Versuch von Casmann werde auch ich in meiner Anthropologie anknüpfen. Deswegen stelle ich Fragen, wie wir menschliche Beziehungen, Freundschaft und Liebe verstehen können, oder was die Arbeit für uns Mensch bedeutet; Fragen also die unmittelbar für unser Leben relevant sind und, dafür werde ich argumentieren, auf die uns die Naturwissenschaft oder die Metaphysik allein keine Antwort geben kann.

      Ich komme damit zur Fragestellung, was eigentlich die philosophische Anthropologie innerhalb des Spektrums der Wissenschaften, die sich ebenfalls mit dem Menschen beschäftigen, auszeichnet. Es ist ja nicht so, als ob die Philosophen allein sich mit dem Menschen beschäftigen würden. Denken Sie beispielsweise an die Humanmedizin mit ihren weitverzweigten Fächerkammern. Auch die Humanmedizin ist natürlich auf den Menschen bezogen – und nicht nur eine naturwissenschaftlich orientierte Wissenschaft wie die Humanmedizin, sondern auch Gesellschafts- oder Geisteswissenschaften, wie beispielsweise die Soziologie, die Politologie oder die Psychologie. Diese Wissenschaften sind alle auf den Menschen bezogen.

      Damit die folgenden Überlegungen etwas klarer und deutlicher werden, erlauben Sie mir, dass ich Sie mit einer Unterscheidung vertraut mache: der Unterscheidung zwischen dem Materialobjekt und dem Formalobjekt einer Wissenschaft. Unter dem Materialobjekt versteht man das Material, das die Wissenschaft betrachtet. Dieses Material ist im Fall der Anthropologie der Mensch. Das Materialobjekt der Humanwissenschaft, der Soziologie und der philosophischen Anthropologie ist ein und dasselbe. Anders das Formalobjekt: Das Formalobjekt ist die Perspektive, mit der wir an die Materie, den Menschen, herangehen, der Scheinwerfer, die Fragestellung, die Methode, mit der wir den Menschen betrachten.

      Nun ist das Formalobjekt des Soziologen ein anderes, als das Formalobjekt eines Philosophen. Was immer die Philosophie ist, fest steht, sie ist keine empirische Wissenschaft. Wir Philosophen kommen zu unseren Ergebnissen, Thesen und Argumenten nicht dadurch, dass wir empirische Studien machen, Fragebögen entwerfen oder Versuchsanordnungen skizzieren oder gar durchführen. Philosophen kommen zu ihren Thesen und Argumenten auf eine andere Art und Weise. Wie, das wird Ihnen im Laufe dieser Vorlesungsreihe hoffentlich noch deutlicher werden. Noch ein Zweites: Was immer Philosophie ist, sie ist auf jeden Fall keine Einzelwissenschaft, die sich mit einer einzelnen Perspektive auf den Menschen begnügt, sondern sie ist eine allgemeine Wissenschaft. Soziologie fragt nicht danach, wie wir den Menschen allgemein gesprochen verstehen können, sondern sie fragt nach dem sozialen Leben des Menschen, nach der Art und Weise des Zusammenlebens zwischen Menschen in der Gemeinschaft und in der Gesellschaft, sie fragt nach dem Sinn von Strukturen unseres sozialen Handelns, nach sozialem Wandel, nach Mobilität. Damit sieht die Soziologie ab, d. h. sie abstrahiert, von wichtigen Dingen, die uns Menschen ebenfalls ausmachen, z. B. dass wir kreativ sind, dass wir Emotionen haben oder dass wir Angst vor unserem eigenen Tod haben können. Die Philosophie möchte nicht von Aspekten des Menschseins absehen und von ihnen abstrahieren, sondern sie möchte ganz allgemein etwas darüber sagen, was den Menschen als Menschen ausmacht.

      Es wäre allerdings unehrlich, wenn ich Ihnen verheimlichen würde, dass die Position, die ich vertrete, nicht die einzige ist, die es gibt, wenn man sich philosophisch mit dem Menschen beschäftigt. Es gibt zum einen eine sehr interessante und sehr lebendige Diskussion, vor allem im angelsächsischen Raum, die versucht, das Wesen des Menschen von der Naturwissenschaft her zu verstehen. Und es gibt zum anderen, vor allem im deutschen Sprachraum, eine lebendige Tradition der Ethik, die auf Immanuel Kant zurückgeht, in der das, was der Mensch seinem Wesen nach ist, eigentlich von der Ethik abhängt und es so etwas wie eine eigenständige philosophische Anthropologie nicht wirklich geben kann. Lassen Sie mich auf diese beiden Diskussionen ein wenig eingehen.

      Die erste Diskussion, also die Anthropologie im Dialog mit der Naturwissenschaft, beschäftigt sich mit dem Leib-Seele-Problem – ein Problem, das seit 30 Jahren heftig diskutiert wird, jedoch bereits ältere Wurzeln hat. Der erste Philosoph, der das Leib-Seele-Problem zum Thema der Philosophie machte, war Platon. Es gibt einen sehr berühmten Dialog von Platon, Platons ‚Phaidon’, in dem geschildert wird, wie Sokrates, zum Tode verurteilt, den Schierlingsbecher trinkt und stirbt. An seinem letzten Tag, in den letzten Stunden vor seinem Tod, trifft Sokrates sich mit seinen Freunden und gibt seiner Hoffnung Ausdruck und argumentiert auch dafür, dass mit dem Tod nicht alles aus ist, sondern dass das eigentliche Leben nun erst beginnt, weil sich mit dem Tod die Seele vom Körper trenne. Der Körper stirbt. Aber die Seele, die das Eigentliche des Menschen ist, lebt weiter. Platon war, wie Hundt, Dualist. Um den Menschen zu verstehen, braucht es zwei Dinge: den Körper und die Seele. Was aber den Menschen eigentlich ausmacht, ist seine unsterbliche Seele.

      Auch heute gibt es Versuche, einen Dualismus in der Philosophie stark zu machen. Wenn wir uns von der antiken Terminologie befreien, können wir davon sprechen, dass es zum einen so etwas gibt, wie das Bewusstsein, das Mentale oder den Geist und zum anderen eben materielle Körper. Ein Dualist behauptet nun, dass das Bewusstsein und das Materiale unseres Körpers zwei ganz unterschiedlichen Kategorien und Welten angehören. Diese dualistische These ist, glaube ich, keine verstiegene philosophische Spekulation, sondern etwas, was sich in unserem Alltagsleben, vor allem, wenn wir uns mit dem Tod auseinandersetzen, nahe liegt. Das Eigentliche des Menschen ist etwas Geistiges und das kann nicht nur am Körper oder an der Materie hängen. Wir Erleben uns nicht nur als materielle Körper, umgeben von anderen materiellen Körpern, sondern wir erleben uns als geistige Wesen, als Menschen die nachdenken, Gefühle haben, über sich selbst nachdenken und Bewusstsein haben.

      Zu Problemen kommt es für einen Dualisten nun dadurch, dass er auf der einen Seite sagen möchte, Geist und Materie seien tatsächlich ganz verschiedene Dinge, auf der anderen Seite aber auch weiß, dass es irgendwie einen Zusammenhang zwischen Geist und Materie geben muss. Wenn wir z. B. etwas wollen, dann ist das Wollen verantwortlich dafür, dass wir bestimmte Körperbewegungen ausüben, unser Wollen ein geistiger Akt und bestimmt als solcher, was wir mit unserem Körper machen. Es kann also nicht sein, dass Körper und Geist völlig unverbunden im Menschen zusammen sind, sondern es muss irgendwie eine Schnittstelle, eine Interaktion zwischen dem Geist und dem Körper geben.

      Das haben auch schon ältere Dualisten gesehen, wie z.B. René Descartes, ein berühmter Dualist, der die These, dass Körper und Seele ganz verschiedenen Welten angehören, noch einmal zugespitzt hat. René Descartes hat angenommen, dass es die Zirbeldrüse sei, die den Interaktionismus, den Zusammenhang, die kausale Wirksamkeit des Geistigen auf das Materielle garantiert.


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