Mord im Wendland. Klaas Kroon

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Mord im Wendland - Klaas Kroon


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war fast eingeschlafen, als ihn der Knall erschreckt hatte. Es war warm und stickig im Streifenwagen, das Beifahrerfenster stand nur einen schmalen Spalt offen. Da kam nicht viel Luft herein.

      »Ja, klar habe ich das gehört. Was ballert die da rum? Meinste, die braucht Hilfe?« Karsten versuchte, die Autotür aufzumachen, doch die war natürlich verriegelt.

      »Du willst der Polizei helfen? Da muss ich aber lachen, Kiste, echt jetzt.«

      »Wieso schießt die da rum? Da war doch keiner mehr. Jedenfalls keiner, auf den man noch schießen muss.« Nach einer kurzen Pause rief er: »Scheiße, ich brauch ne Kippe.«

      Der Kerl ging Olaf auf die Nerven. Sie saßen schon zu lange zusammengepfercht in diesem Streifenwagen. Das war heute entschieden zu viel Kiste für Olafs Geschmack. Vor allem, wenn es nichts zu saufen gab. Kistes Gelaber war auf Dauer nur mit Alkohol zu ertragen. Ebenso genervt war Olaf von dieser durch und durch misslungenen Aktion. Sie hatten keinen Wolf geschossen und saßen trotzdem in einem Polizeiwagen. Die 5.000 Euro waren zum Teufel. Eine zweite Chance würde der Bauer ihnen nicht geben. Außerdem würden ihm die Bullen sicher die Flinte abnehmen. Eine satte Geldstrafe stand ihm auch bevor. So ein Mist. Er war total pleite.

      In diesem Moment wurde es laut. Eine Menge Fahrzeuge mit Blaulicht kamen auf den Hof gerast, über ihnen ratterte ein Hubschrauber. Der würde hier nicht landen können, dachte Olaf.

      Eine Gruppe bewaffneter und mit schusssicheren Westen, Helmen und Helmlampen ausgestatteter Männer, wie sie Olaf nur aus dem Fernsehen kannte, rannte auf das Haus zu. Einige der Männer glotzten im Vorbeilaufen in den Streifenwagen.

      »Wir müssen ihnen das von dem Kind erzählen«, sagte Olaf schließlich. Er war so durcheinander gewesen, dass er der Polizistin seine Beobachtung verschwiegen hatte.

      »Was für ein Kind?«, fragte Karsten.

      »Na, diese Gestalt, die da war, als ich auf den Wolf geschossen habe. Haste doch auch gesehen.«

      »Nee, Olaf, habe ich nicht. Da war nix. Du säufst zu viel, das ist alles. Da sieht man schon mal kleine grüne Männchen.« Er lachte.

      »Da war was, echt, glaub mir«, sagte Olaf.

      »Ach ja, und wie willst du der Süßen das erzählen?«, Kiste verstellte die Stimme, um möglichst lächerlich zu klingen. »Hey, Frau Kommissarin, als wir da vorhin einen Wolf abknallen wollten, da lief da noch so ein Hobbit rum …«

      »Von dem Wolf muss ich ja nichts sagen. Ich kann ja einfach von dem Kind erzählen.«

      »Die glaubt dir doch kein Wort. Vergiss es. Wir halten schön die Klappe. Dann sind wir ganz schnell raus aus der Nummer, glaub mir.«

      Olaf war nicht einverstanden mit Kistes Sicht der Dinge. Kiste war einfach zu blöd. Das war das Problem. Olaf würde eine Gelegenheit finden, der Polizistin einen Tipp zu geben.

      Sein Blick fiel auf eine Frau mit kurzen blonden Haaren, die schnell auf das Haus zuging. Sie hatte ein Funkgerät oder so was am Ohr. Sie sah recht scharf aus, hatte einen geilen fetten Arsch. Olaf sah ihr nach. Kiste bemerkte das und sagte nur: »Total lesbisch, glaub mir.« Kiste war einfach zu blöd.

      Kapitel 7

      Melanie Gierke fand als Erste die Sprache wieder. »Na, das ist ja eine schöne Bescherung«, sagte sie und betrat vorsichtig den Raum. Sabine folgte ihr. Zwei SEK-Beamte tauchten die Umgebung mit ihren Helmlampen in ein gespenstisches Licht.

      Vier Stockbetten standen mit ihren Breitseiten an den Wänden, wie in einer großen Gefängniszelle. Auf den dünnen Matratzen ohne Laken lagen schmuddelige, zerknüllte Decken. Auf drei der Betten entdeckten sie Körper: Drei Frauen, eine um die 30, die anderen beiden deutlich älter, lagen auf dem Rücken und hatten die Augen nach oben gerichtet. Jede von ihnen hatte ein Einschussloch in der Stirn. Die Frauen trugen einfache, alte Schlafanzüge und hatten selbstgestrickte Wollsocken an den Füßen.

      Der Kellerraum war nicht besonders hoch, kaum mehr als zwei Meter, und etwa 25 Quadratmeter groß, schätzte Sabine. Er hatte kein Fenster, sondern nur ein paar Lüftungsschlitze an einer Seite unter der Decke. Die Wände waren vor langer Zeit mal weiß gestrichen worden, doch die Farbe war von Feuchtigkeit und Schimmel durchsetzt. Es roch muffig.

      Der Lichtstrahl einer Helmlampe fiel auf einen Tisch in einer Ecke mit vier Stühlen. Auf dem Tisch standen benutzte Plastikschälchen mit Löffeln. Es gab ein schmutziges Waschbecken und daneben ein Campingklo, von dem ein leichter, chemischer Geruch ausging. An einer Wand befand sich ein Regal mit Keks- und Cornflakes-Packungen, daneben sicher ein Dutzend Tetrapacks mit H-Milch. Auch in diesem Raum konnte man einige Zeit überleben, dachte Sabine.

      Schweigend gingen Sabine und die Gierke von Leiche zu Leiche. Die SEK-Männer standen als reglose Lichtmasten mitten im Raum.

      »Im Schlaf erschossen«, murmelte die Gierke schließlich, ohne Sabine anzusehen, »darum liegen sie so friedlich da.«

      »So scheint es«, sagte Sabine und war sich nicht sicher, ob ihre Meinung überhaupt gefragt war. »Eine Frau kann der Täter vielleicht noch im Schlaf erschießen, spätestens dann werden die anderen aber wach und bleiben sicher nicht brav im Bett liegen.«

      »Genau, Kollegin«, sagte Melanie Gierke und deutete auf den Tisch in der Ecke, »und darum werden wir in diesen Schüsseln dort Reste des Mittels finden, das die Damen in Tiefschlaf versetzt hat.«

      Mit Hinweis auf die Spurensicherung scheuchte die Kommissarin alle aus dem Raum und schloss die Tür. Zusammen gingen sie ins Erdgeschoss, wo eine Rechtsmedizinerin mit einem Assistenten bei den Leichen hockte.

      »Im Keller könnt ihr dann weitermachen«, sagte Frau Gierke im Vorbeigehen. »Da sind noch drei.« Die beiden Beamten sahen der Kommissarin erstaunt nach.

      Die Polizisten mussten sich vorsichtig im Flur bewegen, der nun von einer Lichtanlage grell ausgeleuchtet war. Die Spurensicherung hatte Schilder mit Zahlen aufgestellt. Ein Projektil lag auf den Fliesen, das mit einem Kreidekringel markiert war. Sicher meins, dachte Sabine.

      Sie trat mit Melanie Gierke hinaus auf den Hof. Es war immer noch stockdunkel. Die Sonne würde erst in zwei oder drei Stunden aufgehen. Eine Menge Fahrzeuge standen herum. Streifenwagen, ein Zivil-PKW, ein Rüstwagen der Feuerwehr, ein Mannschaftswagen des SEK. An einigen Fahrzeugen hingen abgerissene Zweige, die sie bestimmt in der engen Zufahrt erwischt hatten. Ein Rettungswagen verließ gerade den Hof, hier gab es nichts mehr zu retten. Gleich würden Leichenwagen kommen, um die Opfer in die Rechtsmedizin nach Hannover zu bringen. Sabine blickte auf ihren Streifenwagen. Hohmann und Koslowski saßen zusammengesunken auf der Rückbank. Sie waren eingeschlafen. Ihr Jagdausflug war anstrengender verlaufen als erwartet.

      Die Gierke unterhielt sich lange mit einem Mann in Sabines Alter, der wie sie in Zivil war und vermutlich zu ihrem Ermittlerteam gehörte. Dann wandte sie sich Sabine zu. »So, Frau …«, sagte Melanie Gierke.

      »Sabine Langkafel.«

      »Ja, Frau Langkafel, wie Sie sich heute verhalten haben, war in hohem Maße unprofessionell. Es steht Ihnen nicht zu, alleine über einen Tatort zu trampeln. Ihre Unvorsichtigkeit kann die Ermittlungen erheblich behindern. Ich bin fast geneigt, gegen Sie …«

      Sabine unterbrach die Kollegin. Sie wollte sich nicht rundmachen lassen. Sie nahm allen Mut zusammen. »Ich weiß, Frau Gierke, wie man sich an einem Tatort zu verhalten hat. Aber es schien mir in diesem Fall geboten, keine Zeit zu verlieren. Es war ja nicht ausgeschlossen, dass das Kind noch im Haus ist und irgendwo in einem Versteck hockt oder eingesperrt ist.«

      »Und? Haben Sie ein Kind gefunden? Nein. Das Kind kann lange weg sein, die paar Klamotten sagen gar nichts. In dem Haus sind, das Gefängnis im Keller mitgerechnet, 15 oder 16 Betten. Sollen wir jetzt nach zehn weiteren Menschen suchen? Einige der Zimmer da oben, sagte mir der Kollege gerade, sind vermutlich seit Jahren nicht mehr betreten worden. Da liegt der Staub zentimeterdick. Also machen Sie nicht alle verrückt wegen eines Kindes, das hier schon ewig nicht mehr wohnt.«

      Sabine überzeugte diese Erklärung nicht,


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