Partnerschaft und Sexualität. Monika Röder

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Partnerschaft und Sexualität - Monika Röder


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heraus und bilden somit die Vorlage für spätere Beziehungen (Trevarthen & Aitken, 2001). Nachfolgende Lebens- und Beziehungserfahrungen werden in die vorhandenen Strukturen einsortiert. Gibt es in den frühen Bindungserfahrungen beispielsweise keine angelegte Struktur für Wertschätzung, Liebenswürdigkeit oder Gesehenwerden, so kann ein unstillbarer Hunger danach entstehen. Positive Rückmeldungen können aber aufgrund der fehlenden Struktur nicht gehalten werden. So kann ein Mensch, der als Kind beispielsweise schlimme Erfahrungen aufgrund seines Aussehens gemacht hat, auch später Komplimente kaum annehmen. Die wohlwollenden Rückmeldungen fallen durch wie bei einem Fass ohne Boden.

      Reinszenierungen in der Partnerschaft: In Paarinteraktionen werden sowohl positiv-fürsorgliche Gefühle als auch bedrohliche Erfahrungen reaktualisiert und deren Erfüllung vom Partner ersehnt (Kachler, 2015). Das Nervensystem ist mit seiner Neurozeption ständig auf der Suche nach potenziellen Gefahren. Wird am Partner ein Verhalten wahrgenommen, das im sekundenschnellen Abgleich mit den gespeicherten Erfahrungen als Bedrohung erkannt wird, so schlägt das System Alarm. Auch wenn es sich dabei um Über- oder Fehlinterpretationen des partnerschaftlichen Verhaltens handelt, ist es evolutionsbiologisch sinnvoll sich zu schützen: Die Amygdala meldet lieber zehnmal falsch positiven Alarm, bevor sie eine gefährliche Situation übersieht. In der Paardynamik können so aber Missverständnisse und Streit entstehen.

      Die Erkenntnisse der modernen Hirnforschung helfen, die Dynamik zwischenmenschlicher Kommunikation besser zu verstehen: Wenn ein Partner die Augenbrauen hebt, mit gereizter Stimme spricht oder eine Abwertung formuliert, so kommt diese Information per Neurozeption über die Sinnesorgane doppelt so schnell im limbischen System des anderen an als in dessen Großhirnrinde. Sind beispielsweise entsprechende Erinnerungen an Ohnmacht, Abwertung oder Verlassenwerden im emotionalen Gedächtnis vorhanden, so intensiviert sich die als bedrohlich wahrgenommene Reaktion und die körperliche Abwehrreaktion setzt automatisch ein. Kortikale Funktionen mit logischen Analysen haben dann nur noch begrenzte Möglichkeit, beruhigend auf das System einzuwirken.

      In chronischen Paarstreitsituationen ist die sympathische Aktivierung ein Automatismus, da zu oft die Erfahrung gemacht wurde, dass Diskutieren nichts bringt. Noch bevor eine bewusste Analyse zur Verfügung steht, wird das Kampf-/Flucht-System aktiviert bzw. ist daueraktiviert. Das Soziale Kontaktsystem, das zur Empathie befähigt, wird deaktiviert. Der Blick und das Denken werden eng; Klienten sprechen oft vom »Tunnelblick«. In einer Bedrohungssituation braucht es schnelle Entscheidungen, ob etwas richtig oder falsch ist, gut oder schlecht, bedrohlich oder nicht bedrohlich. Wurde mehrfach die Erfahrung gemacht, dass Kämpfen nichts nutzt und es kein Entkommen gibt, beispielsweise weil gemeinsame Kinder, ein Haus oder andere Abhängigkeiten vorhanden sind, so wird der dorsale Vagus aktiv. Es kommt zur Immobilitätsreaktion und Klienten berichten dann: »Mein Gehirn ist leer.«; Muskeltonus und Affekt flachen ab und es kommt zu Resignation, Dissoziation oder Depression.

      Die Neurobiologie liefert die biologische Verständnisgrundlage dafür, weshalb es in solchen Situationen notwendig ist, zuerst das Nervensystem zu beruhigen und damit eine Wende zu bewirken. Erst dann ist es wieder möglich, höhere Hirnareale zu aktivieren und in einen wirklichen Austausch miteinander zu kommen.

      4.4 Bedeutung der Neurobiologie für die Paarberatungspraxis

      Wir haben gesehen, wie Partner einander triggern und damit ihr Denken, Fühlen und Wahrnehmen verändern. Die moderne Hirnforschung liefert uns nun Hinweise darüber, worauf es bei der Herstellung einer intimen und verbundenen Beziehung ankommt.

      Unser Nervensystem strebt nach Sicherheit, um den ventrovagalen Komplex und damit das Soziale Kontaktsystem aktivieren zu können. Nur in diesem Modus ist wirkliche Verbundenheit, Nähe, Gesundheit und Wachstum möglich. Im Laufe einer Beziehung geht diese Sicherheit jedoch aufgrund vielfältiger wechselseitiger Verletzungen oft verloren. Die Beziehung verliert ihren Status als sicheren, geborgenheitsstiftenden Ort.

      Unsere Aufgabe ist es also, beiden Partnern mithilfe unserer Interventionen und unserer Persönlichkeit Sicherheit zu vermitteln. Das beginnt bereits mit der Gestaltung der Räumlichkeiten. Laut Porges und Dana können wir unsere Praxisumgebung so gestalten, dass sie »die Resilienz Ihrer Klienten fördern und ihre autonomen Reaktionen in Richtung Sicherheit und Verbundenheit lenken« (Dana, 2019, S. 120). Als Therapeutinnen vermitteln wir diese Sicherheit, indem wir für eine eigene Verankerung im ventrovagalen Komplex sorgen, was sich über feinste Modulationen der Gesichtsmuskeln, des Herzes, der Lunge und einer prosodischen Stimmlage ausdrückt. Hilfreich ist weiterhin eine ruhige, wohltemperierte und einladende Gestaltung der Räumlichkeiten etwa mit Naturmaterialien.

      Die Kenntnis der drei Modi des Nervensystems in Kombination mit der eigenen Neurozeption sowie bewusster Wahrnehmung ermöglicht es uns, feine Veränderungen in der Physiologie und psychischen Verfassung der anwesenden Klienten zu lesen und einzuordnen. So können unfruchtbare Eskalationsschleifen unterbrochen oder bewusst therapeutisch genutzt werden. Mit verletzungsminimierenden Gesprächstechniken kann der Prozess so gesteuert werden, dass beide Partner solange wie möglich im Sozialen Kontaktsystem unterwegs und damit erkenntnis-, aufnahme- und lernfähig sind.

      Für Beratung und Therapie relevant ist auch Porges Entdeckung, dass die Atmung als einziger Teil des autonomen Nervensystems, nicht vollständig – wie beispielsweise Herz, Magen oder Darm – vom Shutdown erfasst sind. Sie wird zwar flacher, kann jedoch noch bewusst beeinflusst werden. Die Hirnforschung gibt uns also auch therapeutische Instrumente an die Hand, mit denen wir anstatt durch den Einsatz von Medikamenten, durch Achtsamkeit und eine bewusste Arbeit mit dem Körper, Bewegung, Atmung und Stimme Klienten helfen können, ihr Nervensystem selbst zu beruhigen.

      Teil II: Therapeutische Ansätze

      Im zweiten Teil dieses Buches stellen wir verschiedene therapeutische Ansätze vor, die wir für die Beratungspraxis hilfreich finden und mit denen wir arbeiten. Es sind Behandlungskonzepte, die theoretisch gut fundiert, evidenzbasiert und in Fachkreisen anerkannt sind.

      Wir stellen die zentralen Annahmen und das Vorgehen zunächst der paartherapeutischen und dann der sexualtherapeutischen Ansätze dar und beleuchten jeweils ihre Stärken für die Beratungspraxis.

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