Gott - Offenbarung - Heilswege. Hans-Joachim Höhn

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Gott - Offenbarung - Heilswege - Hans-Joachim Höhn


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Wer andere Wahrheiten als die der Vernunft vertritt, muss dennoch ihr Wahrheitsmoment einsichtig machen – oder auf den Anspruch verzichten, seine von der Vernunft abweichenden Ansichten seien wahr. Soll es neben Vernunftgründen andere Gründe geben können, etwas zu tun oder zu lassen, muss man dennoch angeben können, wie man zu ihnen gelangt ist und wie man dazu kommt, sie für verbindlich zu halten. Es geht um überzeugende Antworten auf die Frage „Wie kommst du denn darauf?“ Nicht zu allen Einsichten kommt man auf den Wegen der Vernunft. Aber um solche Einsichten anderen einsichtig zu machen, steht nichts anderes als die Vernunft zur Verfügung. Verweigern sich Religionsvertreter den Kriterien und Prozeduren vernunftgeleiteter Prüfung, nimmt ihre Glaubwürdigkeit nicht weniger Schaden als die Plausibilität ihrer Glaubensinhalte. Dass religiöse Wahrheitsansprüche möglicherweise in prä- oder metadiskursiven Konstellationen verankert sind, ermäßigt nicht ihre Verpflichtung, zumindest die Nicht-Unvernünftigkeit religiöser Überzeugungen rational aufzuzeigen, wollen sie diese unterscheidbar halten von Unvernunft, Willkür und Aberglaube.

      Die Theologie steht außerdem nur so lange im Dienst des Glaubens und seiner Identität, wie sie es nicht aus dem falschen Respekt vor der vermeintlichen Intimität religiöser Überzeugungen unterlässt, den Streit um die Verantwortbarkeit religiöser Überzeugungen auch öffentlich zu führen. Eine solche „Ausweispflicht“ widerspricht keineswegs dem Zeugnis des Neuen Testamentes. Im Gegenteil: Dass ein der Vernunft verpflichtetes Denken kein Fremdkörper in einem lebendigen Gottesverhältnis ist, sondern darin vielmehr einen festen Platz einnehmen muss, besagt bereits ein Hauptgebot im Christentum: „Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft“ (Mk 12,30). Auch im Denken und mit dem Denken soll Gott die Ehre gegeben werden. Und wo im Gottesdienst Gott die Ehre gegeben wird, soll es „vernunftgemäß“ geschehen (Röm 12,1). Wer sich im Glauben nicht mehr an der Vernunft orientiert, kann das eigene Tun am Ende nicht mehr von religiösen Eskapaden unterscheiden (vgl. Apg 26,25: „Ich bin nicht verrückt, erlauchter Festus, was ich sage, ist wahr und vernünftig!“). Eine wache Vernunft verhindert, dass man sich die Frage gefallen lassen muss: „Habt ihr den Glauben vielleicht unüberlegt angenommen?“ (1 Kor 15,2). Gegenüber den Glaubenden die Sache der Vernunft zu vertreten heißt darum, der Sache des Glaubens zu dienen. Dazu bedarf es der Verständlichkeit und Mitteilbarkeit dieser Sache über den Kreis der Glaubenden hinaus. Auch ihre ungläubigen Zeitgenossen sollen wissen, was sich Christen dabei denken, wenn sie für ihren Glauben eintreten. Darum ergeht an sie der Rat: „lieber fünf Worte mit Verstand reden als 10 000 Worte in Zungen stammeln“ (1 Kor 14,19). Die Vernunft lässt nichts gelten, was gedankenlos gesagt oder getan wird. Auf diese Weise ins Nachdenken zu kommen gehört auch zur Sache des Glaubens, der das Denken „erneuert“ (vgl. Röm 12,2). Das Denken lebt davon, dass man sich Fragen stellen lässt – der Glaube nicht minder. Wer auf die Frage, wer oder was in Wahrheit und in Wirklichkeit „Gott“ genannt werden darf und welche Praxis dieser Wahrheit entspricht, „mit Vernunft antwortet“ (Mk 12,34a), ist nach dem Zeugnis des Neuen Testamentes „nicht fern vom Reich Gottes“ (Mk 12,34b). Und wer als dessen Zeuge auftritt, sollte zeigen können, dass es dafür gute Gründe gibt: „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt“ (1 Petr 3,15).

      3. Glaube im Diskurs:

      Rede und Antwort stehen

      Dass der Glaube argumentativ seinen Geltungsgrund ausweisen kann, ist somit nicht bloß eine Forderung der Vernunft, sondern auch ein Anliegen des Glaubens selbst. Denn es gereicht ihm zum Nachteil, wenn man meint, sich der Verpflichtung zur vernunftgemäßen Rechenschaft über Inhalt, Vollzug und Motive des Glaubens entziehen zu können. Man kann nur glauben, was man versteht.29 Und nur was man versteht, kann man auch gegenüber anderen vertreten. Verstehbar und vertretbar ist jedoch nur dasjenige, das auch kritisiert und bezweifelt werden kann. Was man gegenüber Zweifel und Kritik immunisiert, wird gerade um die Chance gebracht, seine Vertretbarkeit argumentativ nachweisen zu können. Etwas verstehen und vertreten können heißt ja gerade: gute Gründe gegen Kritik und Zweifel vorbringen können. Was gegenüber jeder Kritik immunisiert wird, ist also weder glaubwürdig noch vernunftgemäß. Der Verzicht auf vernunftgeleitete Selbstkritik und Gewissenserforschung als Bestandteil des Bemühens um Glaubwürdigkeit befördert darum Aberglaube und Unvernunft. Soll der christliche Glaube davon unterscheidbar sein, muss die Fundamentaltheologie gegenüber den Glaubenden die Interessen der Vernunft vertreten und sich dafür einsetzen, dass aus Behauptungen triftige Begründungen werden. Unter dieser Rücksicht praktiziert die Fundamentaltheologie eine doppelte „Interessenvertretung“: Sich die Interessen der Vernunft an Verständigung und Rechtfertigung, an Kommunikation und Reflexion, an Zweifel und Kritik zu eigen zu machen, liegt im eigenen Interesse des Glaubens, will er seinen Geltungsanspruch nicht bloß bezeugen, sondern auch überzeugen.

      Verständlichkeit, rationale Vertretbarkeit und Glaubwürdigkeit bedingen einander: Wenn jemand etwas glauben soll, was er/sie nicht vernunftgemäß denken kann, bringt dies ihn/sie um den Verstand und führt dazu, dass sich die Glaubenden selbst nicht mehr verstehen. Ein derart unverständlicher und unverständiger Glaube mag behaupten, er vertrete etwas, das „höher“ sei als jede Vernunft. Er wird aber nicht mehr verständlich machen können, wovon er wirklich und in Wahrheit spricht, wenn es für den Inhalt seines Sprechens nicht ein Kriterium gibt, das ihn von Unvernunft und Aberglaube unterscheidet. Was „höher“ als alle Vernunft ist, muss zwar keineswegs eo ipso wider jede Vernunft sein – es kann sich auch um das „vernunftgemäße Andere“ der Vernunft handeln. Wird aber kein Wert mehr auf den Nachweis der Vernunftgemäßheit bzw. der Nichtunvernünftigkeit des Glaubens gelegt, verliert er jede intellektuelle Plausibilität und jede lebenspraktische Orientierungsfunktion. Auf diesem Nachweis zu bestehen ist Kernaufgabe der Theologie und Ausweis ihrer lebenspraktischen Relevanz. Sie hat sich dafür einzusetzen, dass Christen nicht nur ihren Glauben praktizieren, sondern dabei auch wissen, was sie tun – und warum.

      Der Sache des Glaubens ist aber nur dann auf Dauer gedient, wenn die Theologie sich an dem stärksten erreichbaren Format von Rationalität orientiert. Was deren Stärke ausmacht, ist ihre Sensibilität für ihre mögliche eigene Fehlbarkeit, für die neuzeitlichen Pathologien der Vernunft und für die Lehren, die daraus zu ziehen sind. In dieser Hinsicht braucht die Vernunft keine Belehrung oder Nachhilfe von außen. Sie mag gelegentlich an die Notwendigkeit der Selbstkritik und Selbstaufklärung zu erinnern sein.30 Aber der Maßstab der Kritik und der Aufklärung kann nicht außerhalb der Vernunft liegen. Wer dies ernsthaft behauptet, begeht einen Anschlag auf die Autonomie der Vernunft. Diese Autonomie besteht in ihrer Selbstgesetzlichkeit, d. h. die Vernunft folgt einer Gesetzmäßigkeit und Eigengesetzlichkeit, die mit ihr selbst gesetzt ist und ihr inhärent ist. Zum Ausdruck kommen Maßstab und Grundgesetz der Vernunft im logischen Nichtwiderspruchsprinzip.31 Von seiner Beachtung hängen Konsistenz und Kohärenz jeder Weltauslegung und -gestaltung ab. Es schließt zum einen aus, dass bei der Beschreibung von Phänomenen ein Zugleich von einander ausschließenden Gegensätzen auftritt. Insofern in der Realität ein Sachverhalt nicht gleichzeitig und in derselben Hinsicht ein und dieselbe Eigenschaft besitzen und zugleich nicht besitzen kann, muss ein Reden von dieser Realität, wenn es mit dem Anspruch auf Wahrheit auftreten will, ebenfalls logisch widerspruchsfrei sein.32 Und ebenso verlangt es, dass Handlungsorientierungen und -maximen derart ausgelegt sind, dass die Handlungsfolgen auf Dauer und im Ganzen nicht den ursprünglich beabsichtigten Zwecken, Zielen und Werten zuwiderlaufen. Die Kategorie Vernunft bzw. Rationalität umfasst also einerseits das Vermögen des Menschen, den Phänomenen der sinnlich erfahrbaren Welt auf den Grund zu gehen. Dies impliziert, die in Raum und Zeit wahrnehmbaren Phänomene unter Angabe von Kausalbeziehungen („x weil y“) oder Konditionalbeziehungen („immer wenn x dann auch y“) in einen logisch widerspruchsfreien Erklärungszusammenhang zu bringen. Zum anderen bezeichnet sie das menschliche Vermögen, für die Berechtigung menschlichen Tuns und Wollens Gründe anzugeben. Hierbei gilt es, sich das Ensemble menschlicher Handlungsmotive, -ziele und -zwecke vorzunehmen und deren Zuordnung in einem widerspruchsfreien Rechtfertigungszusammenhang auf ihre Verantwortbarkeit hin zu testen.

      Eine Fundamentaltheologie, die zeigen will, dass es der Vernunft des Menschen


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