Prophetisch glauben. Hermann Schalück
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Zur Einführung: Franziskus lebt
Es war in Berlin im November des Jahres 1990. Die Menschheit trat in eine neue Dekade ein und bereitete sich auf ein neues Jahrtausend vor. Eine hohe Mauer, welche Völker und Kulturen getrennt hatte, war zusammengebrochen. Im alten Europa und überall auf der Welt sprach man jetzt von der Notwendigkeit eines „neuen Denkens“. Aber niemand wusste so recht, was das bedeuten könnte, was sich alles verändern müsste. Da strömte plötzlich bei der Ruine einer ehemaligen Kirche der Minderbrüder im Ostteil der Stadt viel Volk zusammen. Es hatte sich nämlich die Nachricht verbreitet, Bruder Franziskus aus Assisi werde kommen und eine Predigt halten, welche Licht auf viele neue und bedrängende Fragen werfen würde. Also versammelte sich an der Ruine eine große Menschenmenge, Schwestern und Brüder seiner Orden und Gemeinschaften, aber auch zahllose andere: Christen und Nichtchristen, Einheimische, Flüchtlinge und Asylanten, Männer und Frauen aus allen Volksschichten und vielen Regionen der Erde, darunter Muslime, Sikhs, Buddhisten und noch viele andere mehr. Sie wollten hören, was der kleine Bruder aus Assisi ihnen zu sagen hätte, um so besser zu verstehen, was in einer solch entscheidenden Stunde der Weltgeschichte zu tun sein und wie man sich auf das Unbekannte und Neue einstellen sollte, von dem alle sprachen, das aber niemand genau zu benennen wusste.
Als endlich Bruder Franziskus erschien und – um sich besser vernehmbar machen zu können – auf einen großen Steinquader stellte, trat in dem gewaltigen Wirrwarr von Stimmen und Fragen tiefe Stille ein. Darauf predigte Franziskus folgendermaßen:
„Selig sind alle, die einen langen Atem der Hoffnung haben. Sie werden immer neu erfahren, dass Netze zerreißen, wenn Menschen ihren Traum von Freiheit nicht begraben.
Selig alle, die keine Waffen tragen. In ihnen verwirklicht sich schon heute eine Etappe des kommenden Reiches.
Selig alle, die mit ehrlichem Herzen Gott suchen. Das Verharren in Gottes Gegenwart ist wie ein Netz, das uns nie ins Leere fallen lässt.
Selig sind alle, die global denken und lokal handeln. Sie legen den Grundstein für eine neue, gerechte und friedliche Welt.
Selig alle, die sich in aktiver Gewaltfreiheit in den Dienst der Versöhnung stellen. Sie sind Werkzeuge eines dauerhaften Friedens.
Selig die Tapferen und Geduldigen. Sie sind wie Rosen, die in der Wüste erfreuen, und wie eine wohlklingende Hirtenflöte, die Mauern der Feindschaft zum Einsturz bringt und Herzen aus Stein milde und freundlich stimmt.
Selig seid ihr, wenn ihr auf die Stimme des Volkes hört. Ihr werdet Anwälte der Armen sein.
Selig die Aufmerksamen und Verwundbaren. Ihr tragt zu einer dauerhaften Zivilisation des Dialogs und der Verständigung bei.
Selig seid ihr, wenn ihr an die Stelle menschenfeindlicher Ideologien und starrer Gesetzlichkeit befreiende Bilder und Utopien von solchen Gesellschaftsformen setzt, in denen niemand wegen seines Geschlechtes oder seiner Hautfarbe unwillkommen ist, in denen die verschiedenen Kulturen und Religionen sich einander schätzen und voneinander lernen und in denen alle auf unterschiedliche Weisen und doch gemeinsam dem einen Gott die Ehre geben.“
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