Weischedels Minimaltheologie im Spiegel der Sprachkunst. Dieter Radaj

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Weischedels Minimaltheologie im Spiegel der Sprachkunst - Dieter Radaj


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Philosophierens zu setzen, sondern um den extremen Atheismus, der ein jegliches göttliches Seiendes leugnet. Der extreme Atheismus behauptet, es gibt keinen Gott, dies jedoch in einseitig dogmatischer Form, denn der Standpunkt lässt sich ebenso wenig erweisen wie die gegenteilige Position, es gibt einen Gott. Das Philosophieren muss deshalb dafür frei bleiben, dass sich im Fortgang des radikalen Fragens die Notwendigkeit ergibt, einen Gott anzunehmen. Dies ist der offene Atheismus.

      Das radikale Fragen hat schließlich die Form des »offenen Nihilismus«. Nihilismus ist dabei nicht in abwertender Bedeutung gemeint und auch nicht in seinen recht zahlreichen philosophiegeschichtlichen Varianten, darunter der dogmatische Nihilismus von Nietzsche. Nihilismus wird dagegen als offen bleibende Antwort auf die Seinsfrage einerseits und die Sinnfrage andererseits gesehen. Beide Fragen zusammen gehören zum Kern der philosophischen Theologie.

      Zeitgemäßes Philosophieren erfolgt somit zwischen Seinsund Sinngewissheit und Nihilismus. Die Seinsfrage im Verhältnis zum Nihilismus ist in der neueren Philosophie, besonders bei Heidegger, eingehend behandelt. Die Sinnfrage hat demgegenüber kaum Beachtung gefunden, obwohl sie erst den Entschluss zum Philosophieren begründet.

      Folgende Wesensmomente zum Begriff des Sinns werden von Weischedel hervorgehoben. Sinn heißt so viel wie Verstehbarkeit. Sinnhaft ist das Verstehbare. Im Verstehen vollzieht sich Sinngebung. Sinn ist aber nichts subjektiv Erfundenes, sondern kommt der Sache selbst objektiv zu. Beispielsweise ruht in der Buchstabenfolge eines Wortes ein zunächst verborgener Sinn. Das Sinnhafte verweist auf ein Sinngebendes. Dieses andere ist der eigentliche Sinn des Sinnhaften. So gibt die Wortbedeutung der Buchstabenfolge ihren Sinn. Das, was sinnhaft erscheint, ist der Fraglichkeit enthoben. Jedes einzelne Sinnhafte erhält seine Sinnhaftigkeit von einem je höheren Sinnhaften. Es bildet sich eine unumkehrbare Sinnkette bzw. Sinnhierarchie. Es gibt keinen Einzelsinn ohne einen umfassenderen Sinn. Der bedingte Einzelsinn verweist letztendlich auf einen unbedingten höchsten Sinn.

      Obwohl sich der Mensch unreflektiert in sinnhaften Zusammenhängen glaubt, tritt doch auch das sinnlos Erscheinende an ihn heran, etwa im Angesicht des Todes oder in der Leere des Alltags. Aber weder unbedingter Sinn noch absolute Sinnlosigkeit sind erweisbar. Umgekehrt gilt, dass weder die Sinngewissheit noch die nihilistische Sinnleugnung eindeutig widerlegbar sind. Hinsichtlich der Sinnfrage muss deshalb vorerst alles in der Schwebe bleiben. Am Ende des Gedankengangs von Weischedel steht daher der freie Entschluss zum Philosophieren als radikales Fragen unter Zulassung eines offenen Nihilismus. Die zu bedenkende Alternative des Selbstmords wird verworfen, denn er würde die Entscheidung zur absoluten Sinnlosigkeit voraussetzen, die nicht gerechtfertigt werden kann.

      Am Anfang des Bemühens Weischedels um eine zeitgemäße philosophische Theologie steht also der Grundentschluss zum Philosophieren, aufgefasst als radikales Fragen. Das radikale Fragen setzt eine entsprechende Fraglichkeit des Seins und des Sinns der Wirklichkeit voraus. Diese Fraglichkeit tritt (nach Weischedel) als Grunderfahrung des Menschen auf, etwa bei der Konfrontation mit Tod und Vergänglichkeit, Krankheit und schwerer Behinderung, Unrecht und Mord, Betrug und Verrat, aber auch bei identisch wiederkehrenden Vorgängen oder im Zustand der Langeweile.

      Kennzeichnend für die genannte menschliche Grunderfahrung ist deren Unmittelbarkeit und Präsenz, was sie von den Wirkungen eines Schlusses unterscheidet. Sie ist für das menschliche Dasein vom Grunde her bestimmend und nicht auf andere Erfahrungen rückführbar. Aus ihr kann Philosophieren und damit philosophische Theologie entstehen. Die Grunderfahrung der Fraglichkeit tritt somit bei Weischedel an die Stelle der in bisherige Entwürfe eingegangenen metaphysischen Erfahrungen oder positiven Setzungen.

      Die Grunderfahrung tritt als schwebende Erfahrung der Fraglichkeit von Sein und Sinn auf. Sie hält die Mitte zwischen Sein und Nichtsein bzw. zwischen Sinn und Sinnlosigkeit. Sein und Sinn sind dabei eng verwoben. Nur der jeweils vorherrschende Grundzug markiert den Unterschied.

      Wahrheit und Wirklichkeit der vorstehend beschriebenen philosophischen Grunderfahrung bestimmen sich aus dem Merkmal der unmittelbaren Präsenz. Wiederum ist die Verbindung eng, denn eine Erfahrung ist wahr, wenn das in ihr Erfahrene wirklich ist. Die Grunderfahrung des Schwebens ist wahr und das in ihr Erfahrene wirklich. Andererseits stürzt die Grunderfahrung alles vermeintlich Wirkliche ins Fraglichsein. Folglich ist das Wesen des Wirklichen Fraglichkeit.

      Ausgehend von der philosophischen Grunderfahrung der Fraglichkeit von Sein und Sinn vollzieht Weischedel den Schritt zu seiner philosophischen Theologie. Zunächst ist die Bedingung der Möglichkeit von Fraglichkeit zu klären. Die radikale Fraglichkeit kann von drei Ausgangspunkten her begriffen werden, die sich überschneiden. Es kann nach der Bedingung der Möglichkeit von Fraglichkeit gefragt werden: Von woher kommt das Schweben in Gang? Es kann gefragt werden, wieso Sein und Sinn ohne Halt erscheinen und doch nicht dem Nichtsein und der Sinnlosigkeit verfallen: Wie ist das Sich-Halten in der Haltlosigkeit zu erklären? Schließlich kann nach der Hinfälligkeit von Sein und Sinn gefragt werden: Woher rührt die ständige Bedrohung bei gleichzeitiger Vermeidung des Absturzes? Weischedel umgeht die naheliegenden Begriffe »Grund«, »Ursprung« oder »Herkunft«, weil sie Substanzhaftigkeit bzw. Statik ausdrücken. Er bevorzugt die Neubildung »Vonwoher«, die den Geschehenscharakter hervorhebt.

      Das Vonwoher ist das Letzte, wohin das philosophische Fragen in seinem Rückgang hinter die Grunderfahrung der radikalen Fraglichkeit gelangen kann. Das ist insofern spekulativ, als es nicht mehr unmittelbarer Gegenstand der Erfahrung ist, auch wenn es an die Erfahrung anknüpft. »Spekulativ« ist somit im ursprünglichen Wortsinn als »schauend« zu interpretieren.

      Das Vonwoher der Fraglichkeit ist der einzige noch verwendbare Begriff, wenn im Rahmen eines offenen Nihilismus von Gott gesprochen werden soll. Die traditionellen Bestimmungen von Gott sind gemäß dem Grundsatz der radikalen Fraglichkeit nicht durchhaltbar, etwa »höchstes Seiendes«, »absoluter Geist« oder »absolute Person«. Weischedels philosophische Theologie wird daher zu einer Theologie des Vonwoher.

      Die von Weischedel umsichtig ausgearbeitete philosophische Theologie wird am Wesen des Vonwoher erläutert. Dieses erschließt sich über die nachfolgend zusammengefassten unterschiedlichen Bestimmungen.

      Die Aufgabe, das Vonwoher seinem Wesen nach auszulegen, soll über die Sprache gelöst werden. Sprache ist aber (nach Weischedel) von der Erfahrung her gebildet. Wie ist dann ausdrückbar, was nicht der unmittelbaren Erfahrungsebene angehört? Andererseits würde Schweigen dem auch nicht gerecht, denn was als Problem entgegentritt, will durchdacht sein, und Denken erfolgt mittels Sprache. Sprache knüpft an das Bekannte an, um auch das Unbekannte verständlich zu machen. Da die gemeinte Sache, das Wesen des Vonwoher, den Zustand des Schwebens beinhaltet, muss die Sprache diesem Aspekt gerecht werden. Um den Geschehens- und Beziehungscharakter in den Vordergrund zu stellen, will Weischedel den Verben den Vorzug vor den Substantiven geben.

      Aber das ist noch unzureichend für das Reden vom Vonwoher als Gott. Dieses Reden bedarf zusätzlich der Analogie: Reden von etwas im Hinblick auf ein anderes (Gott). Trotz der bemühten Ähnlichkeit wird der qualitative Unterschied der Seinsebenen nicht aufgehoben. Wenn analoges Reden der Erhebung vom Endlichen zum Unendlichen, vom Zeitlichen zum Ewigen dient, dann entsteht daraus eine »überschwängliche« Theologie. Wird dagegen das Endliche negiert, um zum Unendlichen zu gelangen, dann ist dies die Grundlage der negativen Theologie. Beide Sprechweisen sind im vorliegenden Fall nur mit Einschränkungen anwendbar. Am deutlichsten wird sich das Schweben im Begriff des Vonwoher durch dialektisch-analoges Reden ausdrücken lassen. Erst in Verbindung von Begriff und Gegenbegriff, Aussage und Gegenaussage erscheint im vorliegenden Fall die Wahrheit.

      Ein erster analog gebrauchter Begriff, der sich für die Aufklärung des Vonwoher eignet, ist der des Geheimnisses, denn er beinhaltet in besonderer Weise das Schweben: das nicht von vornherein Begreifbare, die mit dem Verstand nicht ergründbare Tiefe, die gleichzeitig beunruhigende und faszinierende Wirkung, die Mischung von Offenheit und Verborgenheit mit verschiebbarer Grenze, das wesensmäßig nie völlig Enträtselbare.

      Der philosophischen Theologie des Vonwoher obliegt es, dem Geheimnis


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