3:2 - Deutschland ist Weltmeister. Fritz Walter

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3:2 - Deutschland ist Weltmeister - Fritz Walter


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hält weniger von dieser Art zu trainieren.

      »In solchen Begegnungen tritt doch immer deutlich die Überlegenheit einer Mannschaft zutage. Und das ist für die Weltmeisterschaft, bei der man nur mit gefährlichen Gegnern zu rechnen hat, nicht ganz das Richtige.«

      Andere Trainer vertreten demgegenüber den Standpunkt, durch solche Spiele würde sich ein Team noch eher finden und noch besser kennenlernen. Unangefochten steht eine Ansicht neben der anderen. Jeder handelt nach seiner Fasson.

      Im Hotel Belvédère leben wir uns prächtig ein. Die Speisekarte ist reichhaltig, und wir haben keinen Grund, uns über irgend etwas zu beklagen. Hinter dem Büfett in unserem Speisesaal regiert eine energische Blondine, von der die hin und her flitzende Bedienung ganz nett am Gängelband gehalten wird. Werner Liebrich, bei uns nur der »Kleine« genannt, tauft sie dann auch bald »Feldwebel«, später heißt sie einfach »Sergeant«. Sie ist aber keineswegs beleidigt, und wir haben bald heraus, dass hinter ihrer rauen Schale ein weicher Kern steckt. Auch die Serviermädchen haben schnell ihren Spitznamen weg, eine rufen wir zärtlich »Schwärzchen«. Doch gleich ob »Sergeant« oder »Schwärzchen«, sie sind rührend um uns besorgt, und wir fühlen uns geborgen und gut aufgehoben.

      Helmut Rahn sprüht vor Kraft und Lebensfreude. In aller Herrgottsfrühe steht er auf dem Balkon und imitiert in zwerchfellerschütterndem Tonfall seine geliebte Essener Marktfrau:

       »Prima schnittfeste Tomaten heute, Leute!

       Kauft die prima Oma-Lutsch-Birnen!«

      Oder er wälzt sich mit Werner Liebrich in einem turbulenten Freistilringkampf am Boden, stellt seinem Gegner den Fuß auf den Bauch und verdreht ihm fürchterlich die Glieder. Zum Zeichen der Aufgabe klopft Werner dreimal auf den Boden. Beide Kämpfer sind nassgeschwitzt. Wir stehen im Kreis herum und klatschen hingerissen Beifall. Der Boss aber hat noch nicht genug. Er dreht Werner, der vor Lachen kaum noch Luft kriegt, auf den Bauch und beißt ihn mit aller Kraft in den Hintern. Der »Kleine« schreit wie am Spieß, und wir brüllen vor Vergnügen. Krumm genommen wird grundsätzlich nichts, das versteht sich ganz von selbst. Einer mag den anderen gern, auch wenn man sich mal ein wenig auf die Schippe nimmt.

      DAS ERSTE TÜRKEN-SPIEL

      Unter täglich gleich gewissenhaftem Training vergehen die Tage bis zum Spiel gegen die Türkei. Die Vorbereitungen lassen keinen Zweifel darüber, dass wir diesen Kampf auf alle Fälle gewinnen müssen. Schon als wir uns in Saarbrücken die nötigen Punkte holten, um in die Schweiz fahren zu können, war Herbergers Programm fix und fertig: Über die Ungarn würden wir es nie schaffen, unter die letzten Acht zu kommen, das stand für ihn fest. Alles dreht sich deshalb einzig und allein darum, gegen die Türken zu gewinnen. Selbst ein Unentschieden würde uns praktisch aus dem Rennen werfen, denn dann müssten wir die Ungarn besiegen, und diese Möglichkeit lässt der Chef, wie schon gesagt, ganz außer Betracht. Auch zwei Unentschieden, gegen die Ungarn und gegen die Türkei, nützen uns nichts. Wir hätten 2:2 Punkte, die beiden Rivalen aber durch Siege über Korea jeweils 3:1 Punkte. Ohne eine Niederlage erlitten zu haben, müssten wir ausscheiden! Es gibt also nur eine Möglichkeit: Wir versuchen, durch ein zweites Türken-Spiel, das natürlich auch gewonnen werden muss, in das Achtelfinale zu kommen.

      So alt wie diese Überlegung ist Herbergers Entschluss, nicht die stärkste Mannschaft gegen Ungarn einzusetzen, um einige Spieler für das zweite Treffen mit den Türken zu schonen. In vielen deutschen Zeitungen und auch in der breiten Öffentlichkeit hat man ihn dieses Planes wegen vernichtend kritisiert.

      Der 17. Juni, der Tag unseres ersten Spiels im Rahmen der Fußball-Weltmeisterschaft, kommt heran! Wir haben ihn brennend herbeigesehnt. Endlich werden wir zeigen können, dass trotz aller Unkereien etwas in uns steckt.

      Vor dem Mittagessen ruft Herberger zur heute besonders wichtigen Spielersitzung, bei der auch die endgültige Mannschaftsaufstellung bekanntgegeben wird. Der Stamm ist zwar schon lange bestimmt, nur in der Rechtsaußenfrage – Rahn oder Klodt? – und in der Torhüterbesetzung – Turek oder Kubsch? – wird noch hin und her überlegt? Die Elf spielt schließlich mit Turek; Laband, Kohlmeyer, Eckel, Posipal, Mai; Klodt, Morlock, O. Walter, F. Walter, Schäfer.

      »Die Türkei braucht, weil sie ›gesetzt‹ ist und weil sie gegen Korea bombensicher gewinnt, nur ein Unentschieden! Vergesst das nicht!« Herberger hämmert es uns immer wieder ein.

      »Sie wird betont auf Deckung spielen, uns anrennen lassen und dann versuchen, mit einem blitzschnellen Vorstoß ein Tor zu schießen. Ihr dürft euch in der ersten Viertelstunde auf keinen Fall überrumpeln lassen!« Aufmerksam hören wir zu. Der Chef studiert jede Nationalmannschaft gründlich, bevor er uns gegen sie aufs Feld schickt, und seine Ratschläge sind nur zu oft Stütze und Halt.

      »Versucht, möglichst bald ein Tor zu machen, damit die Türken aus ihrer zu erwartenden Defensive herausgehen. Das könnt ihr dann ausnutzen, um euren Vorsprung auszubauen.«

      Auch die Aufgaben der Verteidigung werden noch einmal durchgehechelt, die Zusammenarbeit von Außenläufern und Halbstürmern. Wenn sich die Außenläufer vorn in den Angriff einschalten, soll dafür der Halbstürmer zurückbleiben und Deckungsaufgaben übernehmen.

      Bei Einwürfen auf keinen Fall herumstehen und warten, bis der Ball kommt! Einer läuft hin zu dem, der einwirft, als ob er das Leder annehmen möchte. Damit zieht er den Gegner auf sich; der Ball aber wird in Wirklichkeit einem anderen Kameraden zugeworfen, der inzwischen in entsprechende Position gelaufen ist. Ständig soll Bewegung sein, der Gegner muss irritiert werden! Keinen Augenblick darf er wissen, woran er ist.

      Ein Problem für sich sind die gegnerischen Freistöße. Immer wieder, vor allem bei unserem Grünwalder Lehrgang, haben wir geübt, wie sie am sichersten abzuwehren sind. Einer legt den Ball in Strafraumnähe zum Freistoß bereit, die anderen mussten blitzschnell eine Mauer bilden. Toni Turek, oder wer gerade im Tor war, hatte fix den Standpunkt des Flügelmannes der Abwehrmauer zu bestimmen. Kam der Freistoß von rechts, war nach Möglichkeit unser rechter Läufer Flügelmann, kam er von links, war es der linke Läufer. Er hatte sich so zu stellen, dass dem Gegner kein freies Schussfeld blieb, dass er entweder die Mauer oder den Torwart anschießen musste. Bei eigenen Freistößen gilt als abgemacht, dass sie kurz vor dem gegnerischen Strafraum von mir getreten werden. Mit Effet hebe ich sie über die Mauer. Im Mittelfeld übernehmen Leute mit kräftigem Schuss, wie Ottmar oder Max Morlock, die Ausführung.

      Bei eigenen Eckbällen halten wir uns an folgende Regel: Von rechts schießt sie der Rechtsaußen, die von links übernehme ich. Sie sind meine Spezialität; in einem einzigen Training habe ich sie oft dreißig- bis vierzig Mal geübt. Ich schieße Ecken von links mit dem rechten Fuß und gebe ihnen – Gefühlssache! – den nötigen Effet. Um den Gegner zu irritieren, haben wir eine oft erfolgreiche List ausgeheckt: Bei der ersten Ecke läuft ein Spieler dem Ball entgegen, als rechne er damit, dass er kurz hereinkommt. Dadurch zieht er einen oder auch zwei Deckungsspieler auf sich. Die Ecke kommt aber lang. Zwei, drei Spieler von uns, die sich von vornherein darauf eingestellt haben und am langen Eck lauern, sind dadurch weniger bewacht. Sie haben oft eine Chance, das Leder ins Tor zu schießen oder zu köpfen. Beim zweiten Eckball läuft wieder einer unserer Stürmer dem Ball entgegen. Die gegnerische Abwehr, die sich nicht an der Nase herumführen lassen will, reagiert auf die vermutliche Finte nicht, weil sie, gewarnt durch das erstemal, mit einer langen Ecke rechnet. Aber die Ecke kommt wirklich kurz.

      Eine Kriegslist, die man beliebig variieren kann, und die komplizierter klingt als sie ist.

      Dann die Elfmeter! Am Anfang hab’ ich mich heftig gesträubt, sie auszuführen. Herberger aber hat angeordnet:

      »Bei mir schießen Sie die Elfmeter! Auch wenn es in Ihrer Vereinsmannschaft ein anderer macht! Sie können ruhig einen Strafstoß verschießen. Die Verantwortung dafür übernehme ich. Hauptsache, dass Sie schießen!«

      Es kann natürlich vorkommen, dass der Elfmeterschütze aus irgendwelchen Gründen gerade nicht einsatzfähig ist. Vor dem Spiel wird deshalb schon ein Schütze Nummer Zwei bestimmt. Beim Türken-Spiel hieß er Jupp Posipal.


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