Kleine Igel – große Probleme. Manuel Enders

Читать онлайн книгу.

Kleine Igel – große Probleme - Manuel Enders


Скачать книгу
es ist bloß Regen«, sagte sie.

      Gekonnt vermied Tyran es, auf die Stellen am Boden zu treten, die bei Berührung immer knarrten. Er kannte diese Tücken genau, weil er schon das ein oder andere Mal heimlich für seinen Bruder und sich einen Mitternachtssnack stibitzt hatte, obwohl die Señora ihnen dies in aller Deutlichkeit verboten hatte. Schließlich hatten ihre Sprösslinge, wenn sie im Bett lagen, bereits die Zähne geputzt und sollten keine Albträume bekommen.

      In der dunklen Wohnküche stieß Tyran sich dann aber seine Pfote an einem Stuhl und hoffte, dass ihn niemand gehört hatte. Er biss sich auf die Lippen und humpelte weiter in Richtung Hintertür. Der Wind drückte so stark dagegen, dass Tyran die riesige Tür kaum aufbekam. Als er es schließlich doch vor die Tür geschafft hatte, ging er eine Runde um das Haus.

      »Ist da jemand?«, flüsterte er.

      Im Kräutergarten seiner Mutter entdeckte er ein durchweichtes Stück Papier im Zaun hängen. Das musst der Wind dorthin getragen haben, dachte er. Und dann hat es sich im Zaun verfangen.

      Tyran betrat hastig das Kinderzimmer. »Guck mal!« Er hielt Timmy das Stück Papier unter die Nase.

      »L-Lies vor«, sagte Timmy mit großen Augen.

      Als Tyran das Papier auf dem Boden ausgebreitet hatte, räusperte er sich und las:

      »Bo-Boah!«, rief Timmy.

      »Psst«, machte Tyran. »Es geht noch weiter.«

      »Mama, Mama!«, dröhnten Tyran und Timmy, während sie ins Schlafzimmer ihrer Mutter rannten.

      Die Señora schreckte im Bett auf. »Ist was passiert?«

      Pablo, der neben ihr auf dem Boden lag, schaute zu den Jungs auf und wedelte mit dem Schwanz.

      »Sch-Schau!«, sagte Timmy und drückte seiner Mutter das Stück Papier in die Pfote.

      Tyran bemerkte den skeptischen Blick der Señora und wie sie das Papier murmelnd überflog.

      »Ein Zirkus? Wo habt ihr den Flyer her?«

      »Der lag vorm Haus«, antwortete Tyran.

      Die Señora runzelte die Stirn. »Ein Casting, am großen Platz, nahe dem Waldrand?«

      »Wir wollen da unbedingt hin!«

      »Kommt nicht infrage!«, sagte sie wütend.

      »Warum das denn nicht?«, schoss es aus Tyran heraus wie Lava aus einem Vulkan.

      »Weil sich dort Menschen aufhalten könnten!«

      »Mir doch egal!«, entgegnete Tyran und stampfte wütend auf den Boden.

      Daraufhin zerknüllte die Señora den Flyer und schob ihn unter ihre Bettdecke, die sich dadurch enorm wölbte.

      Pablo legte sich wieder neben das Bett und schlug jaulend seine Pfoten vor die Augen.

      »A-Alles okay, Mama?«, fragte Timmy vorsichtig.

      Sie verschränkte die Arme vor der Brust und atmete tief aus, ohne auf die Frage zu antworten.

      »Was ist los?«, hakte Tyran nach.

      Es wurde still im Schlafzimmer. Nur das Plätschern des Regens in einer Holztonne vor dem Fenster war zu hören.

      »Setzt euch«, sagte die Señora und klopfte sanft auf ihr Bettlaken.

      Tyran und Timmy folgten ihrer Bitte.

      »Habt ihr euch denn noch nie gefragt, wie Pablo zu mir gekommen ist?«

      »Wir dachten, dass er schon immer hier gelebt hat.«

      »No, no, Tyran. Aber –« Die Señora brach ab.

      »Aber was, Mama?«, fragte Tyran. Sie verheimlichte ihnen etwas, das spürte er.

      »Aber ich finde, dass es jetzt der richtige Zeitpunkt ist, es euch zu erzählen.«

      »Na, dann schieß mal los!«

      »Ich war eines Tages im Wald, um Beeren zu sammeln. Als ich in der Nähe des großen Platzes den Waldrand erreichte, sah ich dort einen Menschen. Ich versteckte mich hinter einem Baum, damit er mich nicht bemerkte. Mein Herz raste, als ich vorsichtig zu ihm hinsah. Der Mensch stellte einen Karton auf dem Boden ab und verschwand. Der Karton bewegte sich und ich vernahm ein Winseln. Eine Weile wartete ich ab, ob der Mensch wiederkommen würde, doch nichts geschah. Dann ging ich zu dem Karton und öffnete ihn. Ein kleiner süßer Welpe schaute mich verängstigt an. Unser Pablo!«

      »Was?!« Tyran war schockiert. Er hockte sich neben Pablo und streichelte ihn.

      Die Señora nickte. »Es wäre sein sicherer Tod gewesen, wenn ich ihn nicht mit nach Hause genommen hätte.«

      »A-Armer Pablo«, sagte Timmy und gesellte sich zu Tyran und dem Briard.

      »Menschen sind so böse!« Die Señora rümpfte die Nase. »Ohne sie würden wir alle in Frieden zusammenleben und Pablo könnte jetzt spre–« Aufgebracht hielt sie inne und holte erneut aus. »Was ich damit sagen will, ist, dass Noblas für ihr Wesen nichts können. Sie sind ein Produkt des Menschen!«

      »Mama«, sagte Tyran, »du weiß doch, dass wir niemals was mit Menschen zu tun haben wollen!« Er wandte sich an seinen Bruder. »Nicht wahr, Timmy?«

      Timmy nickte eifrig.

      »¡Muy bien!, dann werdet ihr auch niemals enttäuscht werden!«

      »Hast du denn schon mal mit einem Menschen gesprochen?«

      »¡No! Das würde gegen unseren Ehrenkodex verstoßen!«

      Tyran bemerkte Tränen in den Augen seiner Mutter und hakte nach: »Bist du dir sicher oder verschweigst du uns etwas? Wir sind doch schon zehn!«

      »Erst zehn!«, flüsterte sie mit gebrochener Stimme. Ein Donnern ließ sie zusammenzucken. Kurz danach blitzte es. Ein Gewitter war aufgezogen. »Also merkt euch: Sprecht niemals –«

      »Mit einem Menschen«, ergänzten Tyran und Timmy, die den Satz schon unzählige Male von ihrer Mutter gehört hatten.

      Die Señora nahm ihre Sprösslinge an die Pfote. »Gut! Als Familie müssen wir aufeinander aufpassen. Nur gemeinsam sind wir stark!«

      Tyran ließ nicht locker. »Mama, wir versprechen dir hoch und heilig, uns von den bösen Menschen fernzuhalten, aber können wir nicht trotzdem zum Casting?«

      »¡Nooo!«, schrie die Señora.

      Tyran wies beleidigt die Pfote seiner Mutter zurück, eilte aus dem Schlafzimmer, warf mit lautem Knallen die Tür hinter sich zu und lief ins Kinderzimmer.

      Pablo war aufgesprungen und kratzte an der verschlossenen Tür. Mit einem fragenden Blick sah er zu Timmy.

      »G-Gute Nacht, Ma-Mama«, sagte Timmy verlegen und verließ ebenfalls das Zimmer.

      »Gute Nacht, Timmy«, antwortete die Señora abwesend.

       Smokeys Auftrag

      Am frühen Morgen stand Smokey in Mister Darks Wohnwagen. Er schmunzelte.

      »Und?«, fragte Mister Dark, während er ein Geldbündel nach dem anderen auf dem Tisch zu einer hohen Pyramide aufstapelte.

      Der Schimpanse antwortete nicht.

      Argwöhnisch blickte der Zirkusdirektor an der Pyramide vorbei zu Smokey. »Was hast du ausgefressen?«

      »Ich werde den Höllenkreisel nochmals versuchen.«

      »Bist du bescheuert? Wegen dieser Aktion musste ich


Скачать книгу