TEXT + KRITIK 232 - Wolfgang Welt. Sascha Seiler
Читать онлайн книгу.Me« gesungen hatte. Das war aber auch schon die letzte der sieben Fragen, die mir gestellt wurden, die ich beantworten konnte. »Wer sang ›Sea Cruise‹ als Erster?« Der Belgier hatte es mir noch tags zuvor verraten. Frankie Ford. Es ging also in die Hose. Ich wurde Sechster. Der Belgier gewann einen Kassettenrekorder mit einem großen Mikrofon. Ich war sauer. Hatte ich doch die ganze Zeit daran gedacht – ich war kurz davor, mein Studium abzubrechen –, vielleicht beim WDR einsteigen zu können. Als Nachwuchs-DJ. Ich traute mich erst gar nicht, mich an den Tisch von »Buddha« und dem mitgereisten Abteilungsleiter zu setzen, als wir nach dem Quiz erneut eingeladen waren. Diesmal zu einem kalten Büfett. Stattdessen nahm ich neben Tim Rice Platz, der gerade in den Vorbereitungen für die »Evita«-Premiere steckte. Ich war schnell blau und weiß nicht mehr, was ich mit ihm laberte. Ich hatte wohl im Hinterkopf die Frage, ob ich nicht seine »Evita« ins Deutsche übersetzen könnte, aber ich stellte diese Frage nicht. Also abgefüllt ging’s ins Hotel zurück. Ich ging mit dem Belgier und seinen Betreuern in die Bar und soff und soff. Selbst als die Bar schloss, hatte ich noch nicht genug. Ich kaufte noch eine Flasche Wodka und ging mit ihr und dem Belgier auf sein Zimmer. Ich erinnere mich nur noch, dass ich plötzlich elendig zu schwitzen anfing und mich am Oberkörper frei machte. Es muss so sechs gewesen sein, als ich irgendwie in mein Zimmer getorkelt bin. Ich war so doof gewesen, beim Portier zu bestellen, dass ich um zehn Uhr geweckt werden wollte. Das machte der dann auch. Doch ich war noch so groggy, so besoffen, dass ich mich umdrehte und weiterpennte. Irgendwann wachte ich noch mal auf und dachte, jetzt wird es Zeit. Ich ging runter zum Frühstück, ohne eine Ahnung, wie spät es war. Als ich in den Saal reinkam, war nichts mehr von einem Büfett zu sehen. Ich erkundigte mich nach der Zeit. Halb zwei. Ach du Scheiße. Ich ging, immer noch benebelt, schnell auf mein Zimmer und packte meine paar Brocken zusammen. Eilig ging ich zur Rezeption und zahlte für die beiden Nächte. Von da aus lief ich zum Bahnhof und fuhr heim, wo ich heulte, weil ich so versagt hatte. Endlich erschien der »Musikexpress« mit meiner Kevin-Coyne-Kritik. Brachte zwar nur fuffzig Mark, aber ich war einen Schritt weiter in Richtung Erste Bundesliga. Ich rief Gockel an. »Was kann ich jetzt für dich tun?« »Chaz Jankel.« Kannte ich, hatte mal bei Ian Dury gespielt. Die Platte besorgte ich mir selber von der CBS in Köln. Von da erreichte mich ein Schreiben von June Miller. Nikolausfeier in der Stollwerck-Fabrik mit Alfred Biolek. Special Guest: das Penguin Cafe Orchestra. Die kannte ich nur vom Hörensagen. Eine obskure Gruppe aus dem Dunstkreis von Eno. Ich rief Diederichsen an. »Ist das was für ›Sounds‹?« Ja, das war was. Ich sollte ’ne Story machen. »Länge egal, schreib mal.« Ich teilte June mit, dass ich mit den Jungs – oder waren auch Girls dabei? – ein Interview machen wollte. Das würde sie am Nikolaustag mit mir vereinbaren. Vorher aber machte ich noch eine Stippvisite in der Zeche. Ich war mit Paul und Rainer im Roger-Chapman-Konzert. Nicht dass ich ein besonderer Fan von Chapman gewesen wäre, aber bei der Pressekonferenz anlässlich des letzten »Rockpalastes« war er ganz nett gewesen. Auch sein Saxofonist Nick Pentelow, dem ich die Lounge-Lizards-LP an jenem Tag besorgt hatte. Der Gig ist nicht weiter erwähnenswert. Vor dem Konzert verteilten die Propagandisten von Marlboro kleine Zigarettenpackungen und irgendwelchen Schnickschnack. Ich haute eine der Frauen an, die in einem Cowboy-Outfit erschienen war, ob’s Spaß machte. »Kaum.« Wir plauderten so ein bisschen, bis die Halle sich füllte. Sie war hübsch. Schließlich, bevor das Gedränge zu voll wurde, wollte sie wissen, ob ich ihr keine Wohnung besorgen könnte. Sie käme als Schauspielschülerin nach Bochum. Ich ließ mir ihre Adresse geben und vergaß sie sofort. Meckie. Nach dem Konzert gingen Paul, Rainer und ich noch nebenan in die Zechenkneipe. Chapman kam auch noch rein. Paul ging hin und besorgte sich ein Autogramm, auch eins für seine Mutter. Nach ein paar Bier hauten wir ab. Paul wollte mit seinem Peugeot zuerst den Rainer nach Hause fahren. Als wir bei Appel vorbeikamen, trat er leicht in die Bremse, um zu sehen, ob noch was los war. War nicht, aber plötzlich waren Bullen hinter uns. Paul hielt vor Rainers Wohnung an. Schon baten die Polizisten uns um unsere Papiere. Es dauerte nicht lange, und Paul und Rainer mussten aussteigen. Ich durfte sitzen bleiben. Wahrscheinlich, weil ich noch nichts auf dem Kerbholz hatte. Im Gegensatz zu den beiden andern, die zumindest registriert waren. Der Paul hatte mal so was angedeutet. Offensichtlich suchte die Polente nach Rauschgift. Während die beiden draußen, mittlerweile auf Socken, sich einen abfrieren mussten, suchte ein Polizist mit einer Taschenlampe im Handschuhfach nach. Ich war froh, dass ich einige Wochen vorher mein Briefchen Benzedrin in den Lokus gestreut hatte. Nach fünf Minuten kamen die Jungs wieder rein. »Arschlöcher.« Zum ersten Mal spürte ich so was wie Hass gegen die Polizei. Paul nahm’s gelassen hin und fuhr mich ruhig hoch zur Wilhelmshöhe. Ich hatte noch Durst, aber der Dellmann hatte schon zu. Wir wollten mit vier Mann nach Köln fahren. Christoph Biermann, der auch eine Einladung bekommen hatte, nahm den Omo mit. Ich hatte Andreas, den Fotografen, bestellt. Wir tankten noch und fuhren dann los. Das Geld für den Sprit müsste das »Marabo« bezahlen. Das würde Andreas schon regeln, der mittlerweile ein paar tausend Mark von den Verlegern zu kriegen hatte. Ohne große Umwege erreichten wir unser Ziel, die Stollwerck-Fabrik. Im Hof standen ein paar Mercedes, die da gar nicht hinpassten. Am Eingang stand June Miller. »Was, so viele?« Und fotografieren sollte der Andreas nur das Geschehen auf der Bühne, es wären einige sehr prominente Leute im Publikum. Als wir den eigentlichen Saal erreichten, sah ich Alfred Biolek, der alle Leute, die er kannte, mit einem Küsschen begrüßte. Ich bekam fast das Kotzen, als ich meine alte Feindin Helen Schneider hörte. Zum Glück würde die nicht auftreten. Der Bau war voll, ein paar hundert Leute waren erschienen. Ein paar auch von »Spex«, die Christoph kannte. Mir war nur mal vom Omo die Clara vorgestellt worden. Auf dem Scheißhaus pisste ich zuerst neben dem Zeltinger, dann stand Herbert Grönemeyer wieder neben mir. Wir redeten nicht großartig zusammen. Mittlerweile waren die illustren Gäste erschienen. Baum und Scheel samt Gattin. Auch ihre Tochter war da. Zu meinem Erstaunen paffte sie Selbstgedrehte, obwohl wir doch aus dem Munde ihrer Mutter wussten, wie schädlich das ist. Ich ging zu June. »Was ist mit dem Interview?« »Frag mal in der Garderobe nach Dave, dem Tourmanager.« Den fand ich auch. Er stellte mich Simon Jeffes vor, dem Chef des Orchesters. Sie würden noch ein paar Tage bleiben, um in »Bio’s Bahnhof« aufzutreten. »Wie wär’s mit Mittwoch, hier in Köln, Lasthaus, zehn Uhr?« War okay. Ich ging erst mal ein Würstchen essen und stellte mich an den Bühnenrand. Ein Engländer, älteres Semester, fragte mich nach Kokain, das ich natürlich nicht hatte. Ich sagte ihm, dass wohl auch zu viele Bullen hier wären. Er nickte und deutete auf die Politiker. »I know what happened in Stammheim.« Endlich trat die Kapelle auf, ein halbes Dutzend Leute. Sie klangen orientalisch. Auch ihre Version von »Walk, Don’t Run«, das ich von den Ventures her aus den 60er Jahren kannte. Das Publikum schien sich wenig um die Musik zu kümmern. Jedenfalls soffen die meisten ungeniert und laut weiter. Schickeria. Hier erlebte ich das zum ersten Mal direkt. Ich ging rum und versuchte festzustellen, wer wohl ein Polizist in Zivil war. Nicht rauszukriegen. Nach ’ner halben Stunde Konzert, während dem Andreas Fotos gemacht hatte, hatte ich endgültig die Schnauze voll. Ich animierte die andern zum Abhauen. Die hatten auch keine Lust mehr. Irgendwie passten wir alle nicht hierher. Ich ließ mich noch ins Rotthaus bringen und trank ein paar Bier. Ich wäre am liebsten noch länger geblieben, denn Heike, in die ich verliebt war, bediente. Einmal mit der ficken. Es war aber Polizeistunde und sie warf mich sanft raus. Am nächsten Tag war ich morgens in der Stadt, unter anderem im ALRO. Ich sagte dem Charly, dass ich einen Artikel über das Penguin Cafe Orchestra in der Mache hätte. Ob er mir vielleicht noch die erste LP von denen besorgen könnte, die war ja nun schon jahrelang aus dem Handel. Einen Moment. Dann zog er die schwarze Platte aus dem Regal. Ich hörte mir die Scheibe ein paar Mal an und wurde so zum Fan des Penguin Cafe Orchestras. Mein Vater fuhr mich und Karl-Heinz abends in die Zeche. Scheißwetter, da wird kaum einer kommen. Selbst Monika war noch nicht da. Ich sagte einem Zechenangestellten, er solle die Schallplattenanlange ins Café bringen. Machte er auch freundlich. Karl-Heinz ging schon mal hoch und machte eine Art Generalprobe. Ich wartete und wartete. Endlich kam Monika. Nicht ganz überraschend meinte sie: »das Wetter.« Sie würde um acht als Erste lesen. Danach käme ich dran und schließlich, da es sich um eine offene Lesung handelte, konnte, wer wollte, noch was zum Besten geben. Ein paar Leute, offensichtlich Bekannte von Monika, trudelten ein. Sie ging schon mal mit ihnen ins Café, während ich weiter unten warten wollte, auf das ein paar meiner Fans kommen würden. Immerhin erschien der treue Hiby und zu meiner großen Überraschung die Sabine, die mir noch einige Tage vorher im Rotthaus erklärt hatte, in die kommerzielle Zeche ginge sie nicht rein. Nun war sie also doch da. Ich fragte mich,