Der Pontifex. Karla Weigand

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Der Pontifex - Karla Weigand


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junger Mann zur Kunstform erhoben. Damit schafft der Heilige Vater es, auch Leute, die keine Sympathie für ihn empfinden, ja, die ihm eigentlich feindselig gegenüberstehen, am Ende doch noch für sich einzunehmen.

      Zu den Dingen, die er sich selbst auferlegt, gehört auch das Absolvieren zahlreicher Reisen rund um den Globus. Etwas, das ihn weit über die Hälfte seiner Zeit vom Kirchenstaat fernhält.

      Eine Tatsache, die dem Heiligen Vater nicht unlieb ist; wohl fühlt er sich nämlich im Kirchenstaat keineswegs, obwohl er „die Schlangengrube von den schlimmsten Ottern und Vipern gesäubert“ hat, wie er seiner zunehmend frustrierten Geliebten Monique in ruhigen Augenblicken gerne mal verrät. Es will ihr einfach nicht gelingen, Maurice’ Aufmerksamkeit auf ihre Person zu lenken; banal ausgedrückt möchte sie, dass er endlich wieder einmal mit ihr zu schlafen geruht.

      Die Einladungen in sämtliche Winkel der Erde stapeln sich geradezu. Und Leo Africanus ziert sich nicht; er ist Reisender aus Leidenschaft. Angst vor Attentaten empfindet er keine.

      Daraufhin angesprochen zitiert er oft und gerne den schönen Satz: „Die Seelen der Gerechten sind in Gottes Hand. (Weisheiten 3, 1).“

      Eine beinah kindlich zu nennende Neugier auf Orte des Erdballs, die ihm bislang unbekannt gewesen sind, treibt ihn in immer kürzeren Abständen dazu an, ein Flugzeug zu besteigen. Er plant bereits eine neue Pastoralreise, oder „Missionstour“, wie er es nennt.

      „Wenn unsere Tage verdunkelt sind und unsere Nächte finsterer als tausend Mitternächte, so wollen wir stets daran denken, dass es in der Welt eine große segnende Kraft gibt, welche Gott heißt.“

      (Martin Luther King)

      „Überall empfängt man dich, mein Liebster, mit großer Begeisterung und geradezu überschwänglicher Freundlichkeit!“

      Schwester Monique ist beeindruckt über diese gar nicht so selbstverständliche Tatsache: Bekanntlich ist „Kirche“ und alles, was dazu gehört, derzeit nicht gerade besonders „in“. Und diese Aversion ist keineswegs nur auf den Kontinent Europa beschränkt. Umso erstaunlicher die Beliebtheit des „Leo Africanus“. „Man lobt deine geistreichen Predigten, in denen du ‚der Tugend der Humanität das Wort redest und dabei eine Sanftmut und Milde ausstrahlst, die deine Zuhörer förmlich verzaubert’: So stand es zumindest neulich im Corriere de la Sera!“

      „Weißt du, Liebes“, der Heilige Vater lächelt geschmeichelt, antwortet aber gespielt bescheiden: „Vielleicht liegt es daran, dass ich grobe Fehler vermeide. Etwa Schnitzer von jener Art, die sich einst einer meiner Vorgänger, ein Papst aus Polen, geleistet hat.

      Der brachte es doch tatsächlich fertig, in einer Predigt in Südamerika ausgerechnet vor einem Indio-Publikum zu behaupten, die einstige Invasion der Spanier mit all ihren Gräueln sei ‚ein ausgesprochener Segen und ein großes Glück für die indigene Bevölkerung’ gewesen! Das Wort ‚Invasion’ hat er natürlich nicht benutzt und von ‚Gräueln’ war selbstverständlich auch keine Rede.“

      Monique scheint irritiert; darüber hat sie noch nichts gehört.

      „Ja, meine Liebe, das hat er tatsächlich so formuliert! Im Grunde hätten die damals heidnischen Indios doch geradezu auf die katholischen Weißen gewartet, damit diese ihnen die Segnungen des Christentums brächten! Und in der Tiefe ihres Herzens wären sie – damals wie heute – dankbar dafür gewesen.“

      Der Heilige Vater kann ein bitteres Lachen nicht mehr zurückhalten.

      „In der Tat ein starkes Stück angesichts der Ermordung und Versklavung Hunderttausender indigener Bewohner und der brutalen Zerstörung ihrer einzigartigen Hochkultur! Ein Aderlass, von dem sie sich nie mehr erholt haben.“

      „Das ist ja unglaublich! Davon habe ich nichts gewusst“, erwidert Schwester Monique und kann ihren Widerwillen nur schwer verbergen.

      „Da konnte dieser Heilige Vater ja von Glück sagen, dass man ihn nicht ausgepfiffen oder mit Tomaten beworfen hat! Es wäre auch kein Wunder gewesen, wenn sie ihn sofort aus dem Land komplimentiert hätten.“

      „Von wegen! Geklatscht und gejubelt hat das dämliche Volk!“, regt Leo sich noch nachträglich auf. Dann senkt er etwas die Stimme: „Aus verständlichen Gründen ist man damals aber auch nicht gerade mit diesem Teil seiner Ansprache hausieren gegangen. Schließlich waren ja nicht alle ungebildet und viele wussten durchaus Bescheid, wie das mit den ‚frommen Spaniern’ damals tatsächlich abgelaufen ist.“

      „Du sprichst von Papst Johannes Paul II., nicht wahr? Das war doch jener Papst, der das Zweite Vatikanische Konzil am liebsten ungeschehen gemacht hätte! Ich meine, davon gehört zu haben. Eigentlich hätte dieser Heilige Vater mit seinen Ansichten zwei-, dreihundert Jahre früher leben sollen. Ich erinnere mich, ebenfalls gelesen zu haben“, fügt die schwarze Ordensfrau dann leiser und kopfschüttelnd hinzu, „dass gleich nach seinem Tod seine Anhänger auf dem Petersplatz ‚Santo subito!’ geschrien und seine sofortige Heiligsprechung verlangt haben!“

      Aber Leo Africanus hört Monique bereits nicht mehr zu; er widmet sich weiter ganz intensiv der Abfassung einer Predigt, die er in Kürze zu halten gedenkt. Barmherzigkeit und Milde, Verständnis und Verzeihen soll sie zum Ausdruck bringen. Der Heilige Vater hat aus den Reaktionen auf seine verunglückte „Antrittsrede“ im Petersdom gelernt …

      Für die Ausarbeitung seiner Reden und Predigten und für Überlegungen, seine ganz speziellen Pläne betreffend, bleibt ihm meist nur die Zeit nach der „Geisterstunde“, die er zu nutzen pflegt, ehe er sich in den frühen Morgenstunden zur Ruhe begeben kann. Was ihn allerdings nicht daran hindert, jeden Morgen bereits um sechs Uhr wieder aufzustehen. Gut, dass Seine Heiligkeit zu jenen Menschen gehört, die mit wenigen Stunden Schlaf auskommen, worauf er auch nicht wenig stolz ist. Leo Africanus betont oft und gerne, dass er diese großartige Eigenschaft mit Napoleon Bonaparte teile …

      Ein Vergleich, den ihm schon einige schwarze Politiker und Kirchenleute sehr übel genommen haben: Statt eines weißen Usurpators, meinen sie, solle er sich lieber einen Farbigen wie Martin Luther King oder Desmond Tutu zum Vorbild nehmen …

      Das mangelnde positive Echo seiner ersten Ansprache hat Papst Leo zwar enttäuscht, wenn auch nicht allzu stark verwundert. Anschließend ist es gewesen, als habe man die Rede überhört oder gar nicht verstehen wollen. Entsprach diese doch so gar nicht den Erwartungen, die man in ihn gesetzt hatte – dessen war er sich bewusst …

      Auf einmal erfasst Leo XIV. das ungute Gefühl, es ergäben sich hier womöglich Parallelen zwischen ihm und genau diesem vorhin erwähnten Vorgänger aus Krakau, der als Papst ebenfalls ständig unterwegs gewesen ist und gelegentlich absurde Dinge von sich gegeben hat – und den er persönlich überhaupt nicht sympathisch findet.

      Kurzzeitig gerät der Heilige Vater stark ins Grübeln.

      „Denn bei Dir ist die Quelle des Lebens, und in Deinem Lichte sehen wir das Licht.“

      (Psalm 36)

      Schwester Monique hat sich mittlerweile längst zurückgezogen, und zwar in ihr eigenes kleines, aber feines Appartement, das sie mit ihrer Nichte Angélique teilt. Ihr Geliebter hat wieder einmal durch nichts erkennen lassen, dass er heute Nacht (wie während der vergangenen Nächte auch) „ihre Gesellschaft wünscht“ …

      Und sich ihm förmlich aufzudrängen ist ihre Sache nicht. Das hat die schöne Frau, die ihr ganzes Leben nur nach ihm, seinen Launen, Bedürfnissen und Gelüsten ausgerichtet hat, noch nie getan.

      Es mag widersprüchlich erscheinen, aber es ist dennoch die Wahrheit: Trotz jahrzehntelanger häufiger und äußerst lustvoller und abwechslungsreicher Sexualpraktiken ist Monique im Grunde ihres Herzens eine demütige, treue, bescheidene und – ja, man kann sagen, eine keusche Geliebte gewesen und geblieben. Er hat sie geformt nach seinen Bedürfnissen und sie war eine gelehrige Schülerin, die nicht einmal im Traum daran denken würde, ihn jemals mit einem anderen Mann zu hintergehen.

      Alles,


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