Transkulturelle Kommunikation. Andreas Hepp
Читать онлайн книгу.kommunikativer Konnektivitäten. Eine solche Vergleichssemantik versucht, die Spezifik dieser Verdichtungen ebenso zu berücksichtigen wie die vielschichtigen Beziehungen zwischen ihnen. Letztlich zielt in einem solchen methodologischen Blickwinkel das vorliegende Buch also darauf, einen konzeptionellen Rahmen für ein vielschichtiges vergleichendes Vorgehen zu entwickeln.
2.4 | Integrative Analysen |
Ausgangspunkt dieses Kapitels war die Überlegung, dass sich im Ansatz der transkulturellen Kommunikation drei sich überlappende, gleichwohl sinnvoll zu unterscheidende Diskursfelder treffen: Erstens das der Auseinandersetzung mit transkultureller Kommunikation als Folge der Globalisierung, zweitens das der Betrachtung transkultureller Kommunikation als Teilaspekt der postkolonialen Kritik und drittens eine Konzeptionalisierung von transkultureller Kommunikation als methodologischer Reflexion. Betrachtet man diese drei Diskursfelder zusammenfassend, stellt man fest, dass diese – auch wenn ihre Referenzautoren jeweils unterschiedlich verortet sind – argumentativ in einer Beziehung zueinander stehen: So wird aus der Zunahme von kulturübergreifenden Kommunikationsbeziehungen mit fortschreitender Globalisierung der Medienkommunikation gefolgert, dass transkulturelle Kommunikationsprozesse auf alltagsweltlicher Ebene zunehmen (können), und dabei unterstellt, dass damit verschiedene Hybridisierungsprozesse ein Alltagsphänomen geworden sind. Gerade vor diesem Hintergrund erscheinen Inter-Vergleichssemantiken nicht hinreichend, und man benötigt für eine komparative Forschung komplexere Designs. Diese sollten Nationalstaaten und Nationalkulturen als Referenzgrößen nicht ausschließen, aber vermeiden, Letztere unproblematisiert zum containerhaften Ausgangspunkt von Forschung zu machen. Entsprechend kann man die unterschiedenen Diskursfelder wie folgt systematisieren:
Tabelle 1: Diskursfelder transkultureller Kommunikation
Diskursfeld | Forschungsfokus | Forschungsagenda |
Folgen der Globalisierung | transkulturelle Konnektivität | Kommunikationsbeziehungen |
Postkoloniale Kritik | Transkulturalisierung | Hybridisierungsprozesse |
methodologische Reflexion | transkultureller Vergleich | Mehrebenen-Untersuchungen |
Quelle: eigene Darstellung
Sieht man eine transkulturelle Kommunikationsforschung in einem solchen Gesamtrahmen, wird deutlich, dass es sich hier um einen Ansatz handelt, der die Analyse der [38]Komplexität von Kommunikationsbeziehungen, ihrer Grenzüberschreitungen und Grenzziehungen in einer globalisierten Welt einfordert. Doch wie ist ein solches Unterfangen praktisch zu realisieren?
Geht man von den Kernpunkten der bisherigen Argumentation aus, sollte eine Antwort auf diese Frage eine Systematisierung der in der obenstehenden Tabelle gefassten drei Forschungsfoki und -agenden leisten: Sie sollte eine Vorgehensweise umreißen, die in der Lage ist, die Komplexität von Kommunikationsbeziehungen in durch die Globalisierung gekennzeichneten, mediatisierten Welten zu fassen. Gleichzeitig sollte diese Vorgehensweise die hiermit einhergehende Hybridisierung verschiedenster Phänomene kritisch beschreiben können. Und sie sollte dies in vielschichtigen Mehrebenen-Untersuchungen realisieren. Genau dies leistet das Konzept der »kommunikativen Figuration« (Hepp 2013a: 84–90; Hepp/Hasebrink 2014), wie es im Weiteren als heuristischer Ansatzpunkt für eine transkulturelle Medien- und Kommunikationsforschung beschrieben werden soll.
Der Begriff der Figuration ist in den Sozialwissenschaften durchaus etabliert, häufig allerdings ohne weitere begriffliche Ausarbeitung. So spricht beispielsweise die Soziologin Saskia Sassen (2008: 29) in ihrer breit angelegten Untersuchung zur politischen »Etablierung« und »Demontage« des Nationalstaates davon, dass hierzu die Analyse »bestimmter historischer Konfigurationen« notwendig wäre. Hiermit betont sie, dass es nicht um die Betrachtung von Einzelphänomenen geht, sondern um deren Interaktionsgefüge. Der Wissens- und Techniksoziologe Bruno Latour spricht von der »Figuration« (Latour 2007: 93 f.) im Sinne einer konkreten sozialen Gestalt, die Bezugspunkt sozialwissenschaftlicher Erklärungen sein sollte. Es finden sich aber auch Verwendungsweisen des Konzepts der Figuration in der Kommunikations- und Medienforschung. Ein Beispiel hierfür wären die »Figurationen des Klatsches« (Leach 1997), in denen sich feministischer Gegendiskurs konkretisiere. Allgemein wird daneben von »kommunikativen Figurationen« gesprochen, die es historisch kontextualisierend zu erfassen gilt (Burkhardt/Werkstetter 2005: 430). Trotz ihrer je unterschiedlichen Akzentsetzungen treffen sich solche verschiedenen Verwendungsweisen des Ausdrucks »Figuration« darin, dass sie die Notwendigkeit der Analyse von Gesamtkonstellationen betonen: Beschreibung, Erklärung und Kritik soziokultureller Phänomene werden dann möglich, wenn man diese in dem ihnen jeweils spezifischen Gesamtzusammenhang erfasst.
Über eine solche allgemeine Verwendungsweise hinaus wurde der Begriff Figuration insbesondere vom Soziologen Norbert Elias theoretisiert (siehe Textbox 2). Dessen Begriff der Figuration durchschreitet die häufig statischen Analyseebenen von Mikro, Meso und Makro, indem man ihn »auf relativ kleine Gruppen ebenso wie auf Gesellschaften« (Elias 1993: 143) beziehen kann. Folgt man der Argumentation von Elias, sind Figurationen »Netzwerke von Individuen« (Elias 1993: 12), die in wechselseitiger Interaktion – wie beispielsweise im gemeinsamen Spiel oder gemeinsamen Tanz – ein größeres soziales Gebilde konstituieren. Dieses kann die Familie sein, die [39]Gruppe, der Staat oder die Gesellschaft: In all diesen Fällen lassen sich solche sozialen Gebilde als unterschiedlich komplexe Netzwerke von Individuen beschreiben. Mit diesem Zugang möchte Elias die Vorstellung vermeiden, »dass die ›Gesellschaft‹ aus Gebilden außerhalb des »Ichs«, des einzelnen Individuums bestehe und dass das einzelne Individuum zugleich von der Gesellschaft umgeben und von ihr durch eine unsichtbare Wand getrennt« (Elias 1993: 11 f.) sei. Für Elias gehören »Individuum« und »Gesellschaft« eng zusammen und können nicht voneinander separiert werden. Sie fassen eher zwei Aspekte eines Gesamts, das er mit dem Begriff der Figuration zu bezeichnen sucht. Figuration ist damit »ein einfaches begriffliches Werkzeug« (Elias 1993: 141), um soziokulturelle Phänomene in einem »Verflechtungsmodell« (Elias 1993: 141) interdependenter Handlungen zu fassen. Es geht – wenn man das Spiel als Beispiel für eine Figuration nimmt – darum, »das sich wandelnde Muster, das die Spieler als Ganzes miteinander bilden« (Elias 1993: 142), insgesamt zu beschreiben. Hierbei ist der Begriff der Figuration skalierbar, d. h., auf sehr unterschiedlichen Ebenen operationalisierbar. Der Begriff der Figuration zielt demnach darauf ab, soziale Entitäten als prozesshafte Verflechtungszusammenhänge einer empirischen Analyse zugänglich zu machen. Dabei geht es auch darum, zu klären, »was Menschen eigentlich in Figurationen zusammenbindet« (Elias 1993: 144).
Textbox 2: Norbert Elias zum Konzept der Figuration
»Der Begriff der ›Figuration‹ dient dazu, ein einfaches begriffliches Werkzeug zu schaffen, mit dessen Hilfe man den gesellschaftlichen Zwang, so zu sprechen und zu denken, als ob ›Individuum‹ und ›Gesellschaft‹ zwei verschiedene und überdies auch noch antagonistische Figuren seien, zu lockern. […] Man kann ihn auf relativ kleine Gruppen ebenso wie auf Gesellschaften, die Tausende oder Millionen interdependenter Menschen miteinander bilden, beziehen. Lehrer und Schüler in einer Klasse, Arzt und Patienten in einer therapeutischen Gruppe, Wirtshausgäste am Stammtisch, Kinder im Kindergarten, sie alle bilden relativ überschaubare Figurationen miteinander, aber Figurationen bilden auch Bewohner eines Dorfes, einer Großstadt oder einer Nation, obgleich in diesem Fall die Figuration deswegen nicht direkt wahrnehmbar ist, weil die Interdependenzketten, die die Menschen hier aneinander binden, sehr viel länger und differenzierter sind. Man versucht dann, die Eigentümlichkeiten solcher komplexer Figurationen indirekt, durch die Analyse der Interdependenzketten, dem eigenen Verständnis näherzubringen.« (Elias 1993: 141; 143)
Auf Grundlage solcher Überlegungen sind kommunikative Figurationen musterhafte (transmediale) Interdependenzgeflechte von Kommunikation. Um einige Beispiele zu nennen: Familien bilden auch eine kommunikative Figuration, für die – gerade in ihrer translokalen Zerstreuung – Kommunikation mittels (Mobil-)Telefon ebenso[40] zentral ist wie das Social Web, (digitale) Fotoalben, Briefe, Postkarten oder das gemeinsame Fernsehen. Begreift man (nationale