Kulturgeschichte der Überlieferung im Mittelalter. Oliver Jens Schmitt

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Kulturgeschichte der Überlieferung im Mittelalter - Oliver Jens Schmitt


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Datenbank Clauss-Slaby (EDCS): http://db.edcs.eu/epigr/epi_de.php, Zugriff: 24. 03. 2016 und für griechische Inschriften: Packard Humanities Institute, Greek Epigraphy: Searchable Greek Inscriptions http://epigraphy.packhum.org/inscriptions/, Zugriff: 24. 03. 2016

      Für archäologische Beschreibungen und Bildmaterial epigrapischer Monumente aus dem Donau-Balkan-Raum: http://www.ubi-erat-lupa.org/about.php, Zugriff: 24. 03. 2016

      Quellenwert der Inschriften

      Der Quellenwert der griechisch-lateinischen Epigraphik beruht vor allem darauf, dass sie realien-, struktur- und mentalitätsgeschichtliche Aspekte und Zusammenhänge erhellt, die durch keine andere Quellengruppe einsichtig gemacht werden. In seltenen Fällen wird aber auch die Ereignisgeschichte bedient. Dies gilt auch für das hier behandelte Material. Im Folgenden seien einige Beispiele angeführt:

      Ein herausragendes politisches Ereignis dokumentiert die berühmte Weihung der Tetrarchen anlässlich ihrer Konferenz zu Carnuntum (östlich des heutigen Wien) im Jahre 308 n. Chr. für den Gott Mithras, den Gönner und Förderer ihrer Herrschaft (fautor imperii sui). Es liegen ferner Grabsteine von Soldaten vor, die in einem der zahlreichen Bürgerkriege des Zeitalters fielen (in proelio Romanorum; bello civili). Gelegentlich haben sich kaiserliche Konstitutionen auf Bronze erhalten, insbesondere zu Fragen der Rechtsstellung von Soldaten (Brigetio/Silistra, [Bulgarien], 311 n. Chr.; Durostorum/Szőny, [Ungarn], 311 n. Chr.).

      Von besonderer historischer Relevanz ist die Existenz intakter römischer Herrschaftsstrukturen, repräsentiert etwa durch Meilensteine [<<69] und andere Bauinschriften der Kaiser oder durch Ehreninschriften lokaler Akteure wie Statthalter oder Städte für Kaiser. Besonders prägnant tritt dabei die Funktion der Herrscher als Garanten für eine erfolgreiche Abwehr der Barbaren hervor (z. B. ad confirmandam provincialium suorum aeternam securitatem; ad confirmandam limitis tutelam). Solches läßt sich im gesamten Donau-Balkan-Raum bis zum Ende des 4. Jahrhunderts nachweisen, danach nur noch in den oben angesprochenen Übergangszonen im Nordwesten und Südosten.

      Aus der Verwendung der Konsulatsdatierung auf Grabsteinen mag auf ein Zugehörigkeitsempfinden auch unterer Bevölkerungsschichten zum Reich geschlossen werden; interessant ist daher die Tatsache, dass in Salona nach dem Ende des Westreichs die (nunmehr oströmischen) Konsuln nur noch vereinzelt genannt werden. Als Echo auf den Auflösungsprozess römischer Herrschaft können auch Fürbitten von Reichsbewohnern für den Erhalt der res publica Romana (Salona, ca. 450–600 n.Chr.) bzw. der Romania (Sirmium, 578–582 n.Chr.) gelten. Unter den Grabsteinen, die mehr als nur die Namen der Verstorbenen liefern, stechen jene der Soldaten hervor. Die detailreichen Angaben zu ihren Karrieren bieten wertvolles Material für die sonst nur schlecht dokumentierte Militärgeschichte des Zeitalters. Eine Gruppe von Inschriften aus Novae (bei Svištov, Bulgarien) beleuchtet die logistischen Strukturen der Donauarmee, die damals aus dem Ägäisraum und der Levante mit Proviant beliefert wurde.

      Die Prominenz von Epitaphen aus dem militärischen Milieu kontrastiert auffällig mit der geringen Zahl von Mitgliedern der städtischen Führungsschichten; im einen Fall liegt also gegenüber dem 1.‒3. Jahrhundert weitgehende Kontinuität, im anderen ein deutlicher Einschnitt vor.

      Aus religionsgeschichtlicher Sicht fällt neben der allgemeinen Erscheinung der Christianisierung das vereinzelte Fortleben paganer Kulte und deren Förderung durch allerhöchste Repräsentanten des Reichs ins Auge. Man denke etwa an die bereits angesprochene Weihung der Tetrarchen für Mithras in Carnuntum oder aber an die Neuerrichtung eines seit fünfzig Jahren aufgelassenen Mithräums durch den norischen Statthalter (Virunum [bei Maria Saal, Kärnten], 311 n. Chr.).

      Zur nach wie vor anhaltenden Mobilität und wirtschaftlich bedingten Migration der Reichsbevölkerung liefern die Inschriften viele [<<70] höchst interessante Detailinformationen. Hervorgehoben sei etwa die starke Präsenz syrischstämmiger Personen im Salona des 4. bis 6. Jahrhunderts.

      Ausklang

      Die epigraphische Kultur der Spätantike endete im Donau-Balkan-Raum teils um 400, teils im Laufe des 6. Jahrhunderts. Sie war ein wesentlicher Bestandteil der städtischen Kultur des Altertums gewesen. Mit dem Verschwinden von Urbanität und der Auflösung städtischer Eliten verlor sie die elementaren Voraussetzungen für ihre Existenz und Entfaltung. Zugleich ist die Spätantike aber auch der Beginn der christlich geprägten Inschriftenkultur im sakralen Raum ebenso wie auf Friedhöfen, mit neuen Formularen und Symbolen. Diese „christliche Epigraphik“ wurde in den folgenden Jahrhunderten bruchlos fortgeführt und erschloss sich neben Latein und Griechisch allmählich auch die neuen Sprachen und Schriften des Donau-Balkan-Raumes. Aber selbst die „politische“ Epigraphik findet zumindest in rudimentärer Form eine Fortsetzung, sowohl in den „barbarischen“ Nachfolgereichen als auch im mittelalterlichen Byzanz, freilich unter völlig veränderten Rahmenbedingungen und mit neuen Merkmalen.

      2.2.3 Linguistische Quellen zum Frühmittelalter: Zur Aussagekraft der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft

      Joachim Matzinger, Wien

      Zwei bedeutende historische Ereignisse haben die Sprachenlandschaft Südosteuropas vor dem Beginn der Neuzeit einschneidend verändert: Zum einen in antiker Zeit – zu Beginn des 2. vorchristlichen Jahrhunderts – die römische Eroberung, die als Folge der schrittweisen Eingliederung dieses Territoriums unter die Herrschaft Roms die lateinische Sprache als weitreichendes Kommunikationsmedium (d. h. als Sprache der Verwaltung, des Militärs, des Handels sowie der Neusiedler) nach Südosteuropa brachte; zum anderen am Ausgang der Antike ab ca. dem 6. Jahrhundert n. Chr. die Ankunft slawischer Verbände, die sich dauerhaft in Südosteuropa ansiedelten. Besonders die frühmittelalterlichen Veränderungen sind in schriftlichen Quellen kaum dokumentiert. Hauptzeugnis der sprachlich-ethnischen Verschiebungen sind die in Südosteuropa überlieferten Sprachen selbst. Diese werden von der vergleichenden Sprachwissenschaft erforscht. [<<71] Dieses Kapitel gibt einen vertieften Einblick in die Arbeits- und Denkweise einer Disziplin, von deren Befunden historische Forschung zum südosteuropäischen Frühmittelalter in hohem Maß abhängig ist.

      Die antike Sprachenlandschaft Südosteuropas vor der Ausbreitung des Lateinischen kann folgendermaßen skizziert werden: Im Süden lag seit der Bronzezeit das Sprachgebiet des Griechischen. Griechische Kolonisierungstätigkeit und Binnenhandel brachten andere Bewohner Südosteuropas in Kontakt mit dem Griechischen (vor allem mit der hellenistischen Gemeinsprache, der sog. Koiné), das wegen des hohen Prestiges der materiellen und geistigen Kultur der Griechen die Funktion eines Ausdrucksmediums lokaler Eliten übernahm. Dies äußert sich u. a. darin, dass sich diese auf Inschriften des Griechischen bedienten und nicht ihrer eigenen Sprachen. Dieses hohe soziale Prestige des Griechischen als Sprache der „Kultiviertheit“ erklärt, warum in Südosteuropa nur wenige etwas längere Inschriften gefunden wurden, die in lokalen Sprachen verfasst sind. An der Adriaküste, von Epirus im Süden bis Istrien im Norden wird vielfach der Siedlungsraum der Illyrer angenommen. Während dieser illyrische Siedlungsraum nach einem heute überholten Forschungskonzept sogar noch viel weitergehend gefasst wurde (z. T. weite Gebiete Europas einnehmend), wird er nach neueren archäologischen sowie sprachwissenschaftlichen Erkenntnissen nur noch im Bereich des heutigen Albaniens (Mittel- und Nordalbanien) und Montenegros mit ihren jeweiligen Hinterländern lokalisiert.

      Die vielen lokalen Stämme nördlich Montenegros, d. h. auf dem Gebiet Dalmatiens, sollten hiervon besser getrennt werden, da ihre (sprachliche) Verbindung mit dem illyrischen Kerngebiet keineswegs gesichert ist. So hat z. B. die Sprachwissenschaft zeigen können, dass im Ostadriabereich mehrere ganz verschiedene Personennamengebiete vorliegen, von denen sich nur eines auch mit dem Siedlungsraum der eigentlichen Illyrer deckt. Im Osten, zur Schwarzmeerküste und Ägäis hin (heute Nordostgriechenland, Bulgarien und die europäische Türkei), liegt der Siedlungsraum jener zahlreichen Stämme, die mit dem allgemeinen Sammelbegriff Thraker benannt und denen auch die Geten im Donaudeltaraum zugerechnet werden.

      Für


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