Systemische Interventionen. Jochen Schweitzer

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Systemische Interventionen - Jochen Schweitzer


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Wunsch von Teammitglied 1, der / die BeraterIn möge doch feststellen, dass alle Probleme darin begründet liegen, dass Teammitglied 2 schlicht und einfach unfähig sei. Nr. 2 wünscht sich dagegen unausgesprochen vor allem, vor Nr. 1 geschützt zu werden und Mitglied 3 vermittelt eine Harmonieregel des Teams.

      Immer wieder geschieht es in therapeutischen Prozessen – und mehr noch gilt dies in dem stärker fokussierenden Setting der Beratung / Paartherapie, dass die »logische Buchhaltung« durcheinander geht. Erkennbar ist dies daran, dass man beginnt miteinander zu arbeiten, als sei bereits ein klarer Kontrakt erarbeitet. Der Ablaufplan in Abbildung 3 hilft hier, sich darüber klar zu werden, auf welcher Ebene man sich jeweils befindet (aus von Schlippe 2009c, angelehnt an Loth 1998). Die Struktur kann dabei, auch wenn sie sich sehr »grundsätzlich« anhört und so, als sei sie nur im Erstgespräch bedeutsam, doch auch eine »Hintergrundstruktur« sein, die kontinuierlich wirksam ist und immer wieder innerlich abgefragt werden kann. Sie verhindert, dass man sich zu schnell vom Druck des geschilderten Problems oder Symptoms ergreifen lässt und zu arbeiten beginnt (also gewissermaßen aus dem Anlass sofort selbst den eigenen Kontrakt ableitet).

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      Abb. 2: Die Position des Beraters / der Beraterin im Geflecht der Aufträge: Teamsupervision

      Kernfragen sind dabei:

      – Weiß ich, was der Anlass ist, der den Ratsuchenden zu mir bringt?

      Meist ist es ein konkretes Ereignis, das den Ausschlag gab, aber das heißt nicht, dass es unbedingt die Basis für die gemeinsame Arbeit sein muss, auch wenn es vielleicht drastisch und plakativ ist, so dass man als BeraterIn unwillkürlich denkt, hier müsse Abhilfe geschaffen werden (erkennbar daran, dass man schnell Ideen entwickelt, wie das Problem angegangen werden könnte oder gar müsste).

      – Weiß ich, was das konkrete Anliegen ist, das er / sie verwirklichen möchte?

      Diese Fragerichtung hilft, schon genauer zu spezifizieren, in welche Richtung die Hoffnungen und Sehnsüchte, aber auch die Befürchtungen des Gegenübers gehen. In ihnen drückt sich implizit auch seine / ihre Alltagstheorie über das Zustandekommen des Problems / Symptoms aus, das daher an dieser Stelle erfragt werden sollte (ebenso wie die möglichen Anliegen anderer bedeutsamer Personen).

      – Weiß ich, was genau mein Gegenüber sich dabei von mir wünscht?

      Diese Frage zu stellen, kostet manchmal einiges an Überwindung: Der Gesprächspartner hat doch schon gesagt, was er / sie möchte! Doch ist diese Frage zentral, da sie beinhaltet, welche Rolle der Gesprächspartner sich für den Berater im Geschehen vorstellt. Erst wenn dies wirklich klar ist, kann man entscheiden, ob man sich auf das Geschehen einlassen will.

      – Bin ich bereit und in der Lage, genau dies zu bieten?

      Das ist dann sehr genau zu prüfen: Was von dem, was mein Gegenüber wünscht, kann ich leisten, was will ich, wozu bin ich bereit. Gegebenenfalls ist es möglich, an dieser Stelle einen guten Vorschlag ausarbeiten, der die Möglichkeiten und Grenzen beinhaltet.

      Abbildung 3 skizziert den Ablauf der logischen Buchhaltung – der natürlich nicht starr eingehalten, sondern in der Praxis beweglich »umspielt« wird.

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      Abb. 3: Vom Anlass über das Anliegen zum Contracting. Ein Leitfaden für das systemische Erstgespräch

      Die Strukturierung der Auftragssituation mit Hilfe von Abbildung 3 wird häufig von Beratern als sehr hilfreich erlebt. Es empfiehlt sich daher, bei der Bearbeitung dieses Textes diese im Rahmen von Rollenspielen oder auch kleineren Praxisprojekten auszuprobieren und zu nutzen. Es besteht dabei jedoch keine Notwendigkeit, Anlässe und Anliegen konsequent hintereinander zu ordnen. »In der Regel entspricht es eher einem organischen Gesprächsverlauf, Anlässe und Anliegen hin- und herzubewegen, mal mehr auf der einen, mal mehr auf der anderen Seite der Medaille« (Loth 2005). Methoden der ausführlicheren Erarbeitung der Auftragssituation mit Hilfe systemischer Fragen werden später vorgestellt.

      Während in informellen und kleinen Systemen (klassisch: Familien und Paare) die Auftragsklärung im ersten gemeinsamen Gespräch erfolgen kann, sollte sie nach unserer Erfahrung in der Organisationsberatung bereits im Vorfeld erfolgen. Zu Beginn der ersten Beratungssitzung sollten alle Anwesenden über Ziel und groben Ablauf derselben informiert sein – und damit die Chance gehabt haben, bei Ablehnung oder großem Unbehagen dieser Beratungssitzung fernzubleiben – notfalls per Krankmeldung, falls die Leitung die Teilnahme zur Pflicht macht. Man sollte als Berater nicht darauf vertrauen, dass dies durch den Auftraggeber schon geleistet wurde, sondern dies selbst sicherstellen. Man sollte auch nicht darauf vertrauen, dass eine Beratungsanfrage gut durchdacht ist und eine Einladung zu einer beiderseits Erfolg versprechenden Kooperation darstellt. Eine gute Auftragsklärung kann auch dazu führen, dass eine angedachte Organisationsberatungsmaßnahme nicht stattfindet.

      Für eine sorgfältige Auftragsklärung hat sich folgender Ablauf bewährt:

      1. Telefonisch oder schriftlich machen wir eine grobe Vorabklärung des Anliegens sowie der äußeren Rahmenbedingungen (zeitlicher Umfang, Ort, Honorar).

      2. In einem intensiven persönlichen Auftragsklärungsgespräch mit der Person oder Gruppe, die die Beratung sucht (im Folgenden »Auftraggeber« genannt) sprechen wir über diese Themen:

      (1) Ziele (gewünschte Beratungsergebnisse) und methodische Vorstellungen (gewünschte Beratungsmethode) des Auftraggebers

      (2) Beteiligte: Wer ist für diese Ziele wichtig? Wer soll eingeladen werden? Wer soll nicht eingeladen werden (und warum nicht)? Soll die Teilnahme verbindlich oder freiwillig sein (und warum)?

      (3) Euphorie, Skepsis und Einladungspolitik: Mutmaßliche Haltung der Eingeladenen wie der nicht Eingeladenen zu der vorgesehen Beratung; Überprüfung, ob die vorgesehene Einladungspolitik sinnvoll erscheint?

      (4) Vorerfahrungen: Gibt es Vorerfahrungen mit Organisationsberatung? Als wie erfolgreich oder erfolglos werden diese erinnert? An welche davon sollte man anknüpfen, an welche nicht?

      (5) Ablauf: Welche Themen sollten in welcher Reihenfolge und in welcher Form behandelt werden? Welche Beratungsformen wären für die Eingeladenen »allzu langweilig«, welche »allzu experimentell«, welche »anregend« und welche »genau passend«?

      (6) Bilanz: Lohnt sich nach den Ergebnissen des Auftragsklärungsgespräches die vorgesehen Beratung überhaupt? Soll es bei dem Plan bleiben, oder haben sich andere, evtl. erfolgversprechendere Handlungsideen entwickelt? Wie sähen diese aus?

      3. Eventuell ist nun die geplante Beratung schon beendet, bevor sie anfing. Erscheint sie sinnvoll, dann entwickeln wir als Berater einen Ablaufplan, der Ziele, Themen, Arbeitsformen, Zeitplan und Ort der Beratung beschreibt. Je mehr und je beratungsunerfahrenere Teilnehmer, umso genauer beschreiben wir unseren Ablaufplan. Nach unserer Erfahrung reduziert diese Transparenz jenen Teil der allfälligen Befürchtungen, die mit der Unvorhersehbarkeit des Beratungsereignisses zusammenhängen.

      4. Diesen Ablaufplan senden oder mailen wir allen vorgesehenen Teilnehmern zu – mit der Bitte, uns noch vor der Veranstaltung eine Rückmeldung zu geben. Idealerweise holen wir uns diese Rückmeldung »persönlich« ab, z.B. als kurze Besucher einer routinemäßigen Abteilungskonferenz oder in einer kurzen Telefonkonferenz mit den Vertretern wichtiger Teilnehmergruppen (z.B. Betriebsrat, Außendienstmitarbeiter, Pflegedienst).

      Es empfiehlt sich, sich daran zu gewöhnen, regelmäßig die Arbeit an dem vereinbarten Contracting und den bislang erarbeiteten Zwischenergebnissen zu evaluieren. Hargens (2005) schlägt vor, etwa jede siebte Frage so zu formulieren: »Wenn wir so darüber reden und an Ihrem Anliegen arbeiten, kommen Sie dann Ihrem Ziel näher oder nicht?«

      Literatur zum Weiterlesen

      Schlippe,


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