Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Heinz Pürer

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Publizistik- und Kommunikationswissenschaft - Heinz Pürer


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angloamerikanischen Raum in der deutschsprachigen Publizistikwissenschaft wieder Fuß fasste (vgl. Reimann 1989; Wagner 1997, S. 109).

      Noch in den 1960er-Jahren stiegen die Studentenzahlen in der Publizistik bzw. Kommunikationswissenschaft an – ein »Ergebnis der neuen Attraktivität des Faches« (Bohrmann 1997, S. 60). Infolge der schlechten Ausstattungen der bestehenden Institute mit zu wenig Lehrenden und zu vielen Studierenden führte dies zu Spannungen, in denen Bohrmann Vorbedingungen für die ab 1968 offen ausbrechende Studentenrevolte sieht (ebd.). Die Publizistikwissenschaft war folglich auch Ziel studentischer Aktionen mit Polemik gegen das Fach, mit Institutsbesetzungen in Mainz, Berlin, Münster und München, mit »Gegenvorlesungen« und anderen Aktionen und Agitationen (vgl. Bohrmann 1997).

      Die Studentenrevolte basierte, was ihren geistigen bzw. gesellschaftspolitischen Hintergrund betraf, auf Gedankengut der »Kritischen Theorie«. Diese entstand Ende der 1920er-Jahre am Frankfurter Institut für Sozialforschung. Sie ist eine ursprünglich von Friedrich Hegel, Karl Marx und Sigmund Freud inspirierte Gesellschaftstheorie und v. a. mit den Namen Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Herbert Marcuse verbunden (später auch mit Jürgen Habermas, Oskar Negt und anderen). Ihre Bezeichnung »Kritische Theorie» geht auf eine 1937 veröffentliche Aufsatzsammlung Max Horkheimers mit dem Titel »Traditionelle und kritische Theorie« zurück (Horkheimer 1937). [48]»Der Philosoph Max Horkheimer fokussierte das Forschungsprogramm der Kritischen Theorie in den dreißiger Jahren auf das Projekt einer interdisziplinär zu erschließenden materialistischen Gesellschaftstheorie, die neben der ökonomischen Analyse der gesellschaftlichen Machtverhältnisse auch eine sozialpsychologische Untersuchung mit Blick auf kulturtheoretische Betrachtungen der Wirkungsweise der Massenkultur umfasste« (Schicha 2010, S. 104). (Da Vertreter der Frankfurter Schule marxistisches Ideengut aufgriffen und neu diskutierten, ist bei Ansätzen der Kritischen Theorie von verschiedenen ihrer Repräsentanten auch von ›neomarxistischen‹ Theorien bzw. Ansätzen die Rede.)

      Auch die Ende der 1960er-Jahre entstehende »Kritische Kommunikationsforschung« steht in der Tradition der Frankfurter Schule. Ihre Akteure (wie Horst Holzer, Franz Dröge, Dieter Prokop und andere) versuchten, diese Denkrichtung in der deutschen Kommunikationswissenschaft zu etablieren; sie hatte jedoch nicht sonderlich lange Bestand. Eine Ausnahme stellt Jürgen Habermas dar (der übrigens nicht der Kommunikationswissenschaft entstammt, dessen Publikationen für sie jedoch von Bedeutung sind): Seine 1962 erstmals erschienene Publikation »Strukturwandel der Öffentlichkeit« (Habermas 1962) sowie seine »Theorie des kommunikativen Handelns« (1981) finden nach wie vor große Aufmerksamkeit. Um weitere Repräsentanten wie etwa Franz Dröge (u. a. 1973) oder Horst Holzer (u. a. 1971) und andere ist es dagegen sehr still geworden. Mit ihnen befasst sich Andreas Scheu in seiner 2012 publizierten Dissertation »Adornos Erben in der Kommunikationswissenschaft« (Scheu 2012).

      Die »Kritische Kommunikationsforschung« der 1970er- und 1980er-Jahre verstand sich v. a. als Gegenpol zur empirisch-sozialwissenschaftlichen Perspektive (vgl. Scheu 2012, S. 13). »Die empirischsozialwissenschaftliche Kommunikationswissenschaft […] ist der Perspektive des ›Kritischen Rationalismus‹ und dem Ideal der Werturteilsfreiheit verpflichtet. ›Kritische Kommunikationsforschung‹ hingegen steht in der Tradition […] der ›Kritischen Theorie‹ und sieht sich in der Pflicht, Gesellschaft, Medien und Wissenschaft auf theoretischer Basis herrschaftskritisch zu hinterfragen, normativ zu beurteilen und so aktiv an der Verbesserung gesellschaftlicher Strukturen mitzuwirken. Deutungshoheit im Feld Kommunikationswissenschaft haben die empirisch-sozialwissenschaftlichen Akteure erlangt« (ebd.). Der hinter diesen beiden wissenschaftlichen Positionen stehende Konflikt wurde bereits in den 1960er-Jahren durch Karl R. Popper (Kritischer Rationalismus) und Theodor W. Adorno (Kritische Theorie) ausgetragen.

      Scheu widmet sich auf der Basis der Theorie sozialer Felder und individueller Akteure nach Pierre Bourdieu Repräsentanten der »Kritischen Kommunikationsforschung«. Dazu beschreibt er die Entwicklung der »Kritischen Kommunikationswissenschaft« der 1970er- und 1980er-Jahre. Er versucht v. a. herauszufinden, »warum die Perspektive und die Akteure, die sie vertreten, aus dem heutigen kommunikationswissenschaftlichen Feld verschwunden zu sein scheinen« (Scheu 2012, S. 14). Exemplarisch führt Scheu dies mit Hilfe von Einzelfallanalysen an den ausgewählten Fachvertretern Horst Holzer, Franz Dröge, Manfred Knoche, Siegfried Weischenberg und Hanno Hardt aus. Er gelangt zu dem Befund, dass die Geschichte der Kritischen Kommunikationsforschung keine reine Verdrängungsgeschichte ist. Vielmehr handelte es sich um einen vielschichtigen Prozess mit unterschiedlichen Einflussfaktoren (vgl. Scheu 2012, S. 269ff, S. 294ff). So hätten es die Protagonisten z. B. versäumt, sich zu vernetzen oder Nachwuchs auszubilden, es habe Abgrenzungen gegenüber »einer ›positivistischen‹, affirmativen empirischen Forschung« gegeben (Scheu 2012, S. 295). Politische Einflüsse hätten z. B. im »Radikalenerlass« (vgl. Scheu 2012, S. 270ff, S. 295) oder in der versuchten Einflussnahme auf Berufungsverfahren gelegen (vgl. ebd.), aber auch im Bedarf nach handlungsrelevantem Wissen und empirischen Daten über Massenkommunikation und Medienwirkungen vonseiten der Politik, Wirtschaft und Medien (Scheu 2012, S. 282, S. 296), den die Vertreter einer Kritischen Kommunikationsforschung »nicht erfüllen wollten« (S. 282, S. 295).

      Ab Mitte der 1970er-Jahre erfolgte an mehreren deutschen Universitäten die Errichtung von Diplomstudiengängen für Journalistik. Ursache und Anlass der Gründungen war auch die von Teilen der Berufspraxis mitgetragene Erkenntnis, dass die traditionellen Wege der Ausbildung von Journalisten vorwiegend in Form eines zweijährigen Volontariats in Zeitungs-, Hörfunk- oder Fernsehredaktionen den gewachsenen Anforderungen an diesen verantwortungsvollen Beruf nicht mehr entsprachen (und übrigens weder davor noch danach jemals auch nur annähernd entsprochen haben bzw. hätten). Eine intensiv von allen Betroffenen – Journalisten, Verleger, Rundfunkanstalten, Berufsverbände, Publizistikwissenschaft – geführte Ausbildungsdebatte machte sich breit (vgl. Aufermann/Elitz 1975; Publizistik 3–4/1974 sowie 1–2/1975). Den Anstoß zur Errichtung berufsbezogener Diplomstudiengänge gab schließlich u. a. auch das aus 1971 stammende Memorandum des Deutschen Presserates für einen Rahmenplan zur Journalistenausbildung, an dessen Erarbeitung auch Publizistikwissenschaftler mitwirkten. Darin waren mehrere Möglichkeiten und Wege der Ausbildung von Journalisten festgehalten, zumal der Beruf des Journalisten weiterhin ein prinzipiell frei zugänglicher Beruf bleiben sollte. Wenige Jahre später entstanden Grundstudiengänge für Diplom-Journalistik zunächst in Dortmund (1976) und München (1978), in Eichstätt (1983) und – nach der Wiedervereinigung – auch in Leipzig (1993). Sie boten eine sowohl kommunikationstheoretische wie auch mehrmediale praktisch-handwerkliche Ausbildung und qualifizierten durch verpflichtend zu absolvierende Nebenfächer auch für eine Tätigkeit in einem Ressort. Ausbildungsziel war eine berufsqualifizierende Ausbildung für den Journalismus in Zeitung, Zeitschrift, Radio und Fernsehen (sowie ab Mitte der 1990er-Jahre auch für den Onlinejournalismus). Aufbau- oder Nebenfachstudiengänge wurden errichtet in Stuttgart-Hohenheim (1974), Mainz (1978), Hamburg (1982), Bamberg (1983) und Hannover (1985). Diese Studiengänge vermittelten in aller Regel eine kommunikationswissenschaftliche und praktisch-handwerkliche Ausbildung im Anschluss an ein bereits ganz oder teilweise abgeschlossenes Fachstudium (vgl. Hömberg 1978; Wilke 1987). Neben den an Universitäten eingerichteten Grund-, Aufbau und Nebenfachstudiengängen Journalistik gesellten sich ab Ende der 1990er-Jahre auch Fachhochschulstudiengänge, so z. B. 1997/98 der Internationale Studiengang Fachjournalistik an der Hochschule Bremen (Dernbach 2002), die 1999 geschaffenen Studiengänge Journalistik und PR/Öffentlichkeitsarbeit an der Fachhochschule Hannover (Gröttrup/Werner 2002) oder der ebenfalls 1999 etablierte Studiengang Technikjournalismus an der Fachhochschule Bonn-Rhein-Sieg (Deussen 2002). Weitere Fachhochschulstudiengänge, etwa jene an der Fachhochschule Darmstadt für Onlinejournalismus und für Wissenschaftsjournalismus folgten. Die universitären Studiengänge Journalistik wurden im Zuge der sog. Bologna-Reform in Bachelor- und/oder Masterstudiengänge Journalismus/Journalistik umgestaltet. 2010 gab es solche Studiengänge an den Universitäten Eichstätt und Dortmund (Bachelor) sowie an den Universitäten München und Leipzig (Master). Nähere Informationen über diese Studiengänge sind den jeweiligen Onlineauftritten der sie durchführenden Institute oder Lehrstühle zu entnehmen. Ähnliche praxisorientierte


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