Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Heinz Pürer
Читать онлайн книгу.beträchtliche Anzahl fester Freier. Auf diese Gruppe, die Freien, greifen nun in vergleichsweise stärkerem Ausmaß auch Fernsehen und Hörfunk zurück (vgl. Weischenberg et al. 2006b, S. 40).
Rollenbild: »Größte Zustimmung von den Journalisten erhalten […] Rollenbilder, die auf Information und Vermittlung gerichtet sind«: »das Publikum möglichst neutral und präzise informieren« (89 Prozent); »komplexe Sachverhalte erklären und vermitteln« (79 Prozent); »dem Publikum möglichst schnell Informationen vermitteln« (74 Prozent); »Realität genau so abbilden, wie sie ist« [126](74 Prozent). Wichtig erscheint den Journalisten aber auch, Kritik an Missständen zu üben (58 Prozent), den Menschen Gehör zu verschaffen (34 Prozent), sich für Benachteiligte in der Bevölkerung einzusetzen (29 Prozent), Bereiche wie Politik und Gesellschaft zu kontrollieren (24 Prozent). Dagegen wollen nur 14 Prozent »die politische Tagesordnung beeinflussen und Themen auf die politische Agenda setzen« (Weischenberg et al. 2006b, S. 106f). Absicht und Rollenumsetzung (tatsächliche Handlungsrelevanz) weichen jedoch voneinander ab, wobei es auch mediale Unterschiede (Medientyp) gibt (Weischenberg et al. 2006b, S. 107ff).
Tätigkeiten: Die Wochenarbeitszeit beträgt den Angaben der Befragten zufolge 45 Stunden (und ist damit um eine Stunde weniger als 1993). Der tägliche zeitliche Aufwand für die Recherche beträgt 117 Minuten, jener für das Auswählen 33 Minuten, für das Redigieren des Informationsmaterials 33 Minuten, für das Redigieren der Texte von Kollegen und Mitarbeitern 55 Minuten. »Gleich geblieben ist mit zwei Stunden auch die Zeit, die für das Texten und Verfassen von Beiträgen aufgebracht wird […] wohingegen die Moderation (nur bei Rundfunkjournalisten) deutlich an Bedeutung verloren hat« (28 Minuten; 1993: 46 Minuten) (Weischenberg 2006b, S. 80f). Neu hinzugekommen sind Internettätigkeiten (Kommunikation und Recherche, 122 Minuten), E-Mail-Kontakte und Kommunikation mit dem Publikum (44 Minuten). Das Mitte der 1990er-Jahre neu hinzu gekommene Internet blieb für die Arbeit der Journalisten also nicht ohne Folgen.
Arbeitszufriedenheit: Die Arbeits- bzw. Berufszufriedenheit ist relativ hoch. Geschätzt wird v. a. das Verhältnis zu Mitarbeitern (93 Prozent), Arbeitskollegen (88 Prozent) und Vorgesetzten (74 Prozent). Hohe Wertschätzung genießt auch die Möglichkeit, sich die Arbeit selbst einzuteilen (79 Prozent) und mit der politischen und weltanschaulichen Linie des Medienbetriebs gut zurecht zu kommen. Auch mit der Qualität der Ausbildung sind die Befragten zufrieden (72 Prozent), die Fernsehjournalisten besonders. Mit der Höhe der Bezahlung sind 54 Prozent zufrieden, mit der beruflichen Sicherheit immerhin die Hälfte (50 Prozent). Aufstiegsmöglichkeiten werden von Chefredakteuren (56 Prozent) und Ressortleitern (46 Prozent) naturgemäß höher eingeschätzt als von Redakteuren (26 Prozent Zufriedene) oder Volontären (33 Prozent Zufriedene). Ähnlich sind die Verhältnisse bezüglich der beruflichen Absicherung (Weischenberg et al. 2006b, S. 89ff).
Arbeitsklima, Ethik, Publikumsbild: Das Arbeitsklima wird durchweg als gut bezeichnet, mit der Arbeitsbelastung am wenigsten zufrieden sind die Zeitungsjournalisten, »deren Redaktionen personell am meisten von der Medienkrise betroffen sind« (Weischenberg et al. 2006, S. 93). Gegenüber der Legitimität umstrittener Recherchemethoden herrscht noch stärkere Zurückhaltung vor als 1993, jüngere Journalisten sind vergleichsweise weniger zurückhaltend (vgl. Weischenberg et al. 2006, S. 174ff). Das Publikumsbild ist differenziert; im Durchschnitt wird es für politisch interessiert und gebildet, an Informationen noch mehr interessiert gehalten als an Unterhaltung und politisch überwiegend der Mitte zugeordnet (vgl. Weischenberg et al. 2006, S. 157ff).
Parteipräferenzen: Was die Parteipräferenzen der Befragten betrifft, so gaben 36 Prozent der Befragten an, eine Neigung für Bündnis 90/Die Grünen zu haben, gefolgt von 26 Prozent der Respondenten mit Neigung zur SPD, neun Prozent mit Neigung zu CDU/CSU, sechs Prozent mit Neigung zur FDP und ein Prozent zur PDS (heute: Die Linke). Weitere 20 Prozent geben an, ohne Parteineigung zu sein. Gegenüber 1993 finden die Grünen fast doppelt so viel Zuspruch (plus 19 Prozent), in der Altersgruppe der 36- bis 45-Jährigen ist er mit 42 Prozent am höchsten.
Bei den hier dargestellten Befunden handelt es sich nur um einige wenige (notgedrungen relativ undifferenziert wiedergegebene) Ergebnissplitter, vorwiegend nackte Daten. Die Studie enthält eine große Fülle von Erklärungen und Interpretationen dieser und weiterer Daten und Fakten, die ein differenziertes und facettenreiches Bild über die Berufsgruppe der Journalisten in Deutschland vermitteln. Die Autoren gelangen gegenüber 1993 zu einem Berufsbild, das auch die Folgen der Digitalisierung und der Wirtschaftskrise im Mediensektor zu spüren bekam; das Berufsfeld selbst hat sich [127]u. a. durch Fachmedien und spezielle Themengebiete sowie durch das Internet ausdifferenziert. Der Berufsstand franst seit geraumer Zeit bekanntlich an seinen Rändern aus, so etwa auch im Onlinejournalismus. »Man lernt, wie schwer es geworden ist zu entscheiden, ob jemand nun ein Journalist ist oder nicht. Diese Identifizierungsprobleme werden im Online-Zeitalter immer größer« (Weischenberg et al. 2006, S. 20). Die Studie wirft auch einen Blick auf die Wertschätzung von Berufen in der Bevölkerung, die für Journalisten laut Allensbacher Umfrage von 2005 mit 10 Prozent der Befragten sehr gering ist. Mittlerweile weist diese Wertschätzung wieder etwas bessere Ergebnisse auf (vgl. w. u.). In dem Band wird auch das Thema der sog. »Alphatiere« (z. B. Sabine Christiansen, Anne Will, Günther Jauch, Johannes B. Kerner, Hans-Ulrich Jörges, Sandra Maischberger etc.) im Journalismus angesprochen, teilweise konkretisiert an kontinuierlich gesammelten, veröffentlichten Äußerungen der Protagonisten bzw. betroffenen Medienstars selbst (Weischenberg et al. 2006, S. 52–53).
Mit Journalisten in Deutschland befasst sich auch eine 2009 veröffentliche, qualitative Studie (Meyen/Riesmeyer 2009). Befragt wurden mittels Leitfadeninterviews 501 nach dem Prinzip der theoretischen Sättigung ausgewählte deutsche Journalisten (vgl. Meyen/Riesmeyer 2009, S. 49ff). Die Studie erhebt keinen Anspruch auf Repräsentativität, Verallgemeinerungen lässt sie infolge der relativ großen Zahl von Befragten tendenziell jedoch zu. Theoretisch basiert die Studie auf Bourdieus Konzept von Feld, Kapital und Habitus, aus welchem die Autoren eine Theorie des journalistischen Feldes herleiten (Meyen/Riesmeyer 2009, S. 25ff). Die Autoren finden u. a. heraus, dass sich viele Befragte dem Publikum verpflichtet fühlen, was Meyen/Riesmeyer dazu verleitet, von einer »Diktatur des Publikums« (so der Titel der Untersuchung) zu sprechen.
Eine empirische Studie über »Freie Journalisten in Deutschland« wurde 2009 von Michael Meyen und Nina Springer vorgelegt (Meyen/Springer 2009). Es handelt sich dabei um eine Onlinebefragung von 1.543 freien Journalisten, ergänzt um 82 Tiefeninterviews (vgl. Meyen/Springer 2009, S. 12). Dieser »Report« gibt u. a. Aufschluss über die Berufsstruktur, den Arbeitsalltag, das Selbstverständnis, die Auftragslage und die Berufszufriedenheit von freien Journalisten in Deutschland. Außerdem nahmen die Autoren eine Typenbildung vor. Durchgeführt wurde die Studie im Auftrag des Deutschen Fachjournalisten-Verbandes (DFJV).
Im Zusammenhang mit dem Berufsbild Journalismus ist schließlich auch auf Berufsauffassungen bzw. Berufsverständnisse zu verweisen, die im Journalismus vorzufinden sind. Dabei ist es nicht unproblematisch, journalistisches Handeln typischen beruflichen Rollenmustern zuzuordnen, zumal Journalisten nicht oder nur selten »ausschließlich einem einzigen Rollenmuster folgen. Vielmehr wechseln sie zwischen verschiedenen Rollen, wie es ihre Aufgabenstellungen eben von Fall zu Fall erfordern« (vgl. Haas/Pürer 1996, S. 355). Auch ist darauf hinzuweisen, dass für die Ausprägung journalistischer Berufsauffassungen individuelle wie mediensystemische Faktoren eine Rolle spielen. Dazu gehören u. a. persönliche Lebensläufe der Journalisten, ihre Bildungs- und Ausbildungswege sowie Erwartungen und Ansprüche an den Beruf. Zu erwähnen sind auch Erfahrungen der beruflichen Sozialisation, Sachzwänge des medienspezifischen Umfeldes und der konkreten Arbeitsbedingungen sowie Funktion und Position eines Journalisten innerhalb des Medienbetriebes selbst. Nicht zuletzt spielen für die Ausprägung des Berufsverständnisses aber auch Haltungen eines Journalisten zu den politischen und sozialen Funktionen des Journalismus und der Massenmedien eine Rolle (vgl. Haas/Pürer 1996, ebd.). Auf folgende, mehr oder weniger typische und auch empirisch vorfindbare journalistische Berufsauffassungen (Haas/Pürer 1996; Haas 1999) bzw. Journalismus-Konzeptionen (vgl. Bonfadelli/Wyss 1998; Haller 2004) ist zu verweisen (die hier nicht in ihren einzelnen Details beschrieben, sondern nur im kurz gerafften Überblick vorgestellt werden):
[128]• Objektive Vermittlung: Journalismus als neutrale Vermittlungsaufgabe