Nachhaltigkeit interdisziplinär. Группа авторов

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Nachhaltigkeit interdisziplinär - Группа авторов


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Nach Ausführungen zur Entwicklung des jeweiligen Nachhaltigkeitskonzepts und zum disziplinären Forschungsstand skizzieren sie fachspezifische Praktiken, schildern Projekte und Fallbeispiele und diskutieren Probleme und Potenziale, bevor sie mit weiterführenden Literaturempfehlungen enden.

      Da die hier versammelte Vielfalt an Perspektiven aus unterschiedlichsten disziplinären Forschungskontexten insgesamt ein differenziertes Panorama ergibt, das gerade nicht auf disziplinübergreifende Gemeinplätze reduziert werden will, verzichtet diese Einleitung bewusst auf eine letztlich immer unvollständig bleibende Zusammenschau des Forschungsstands zur derzeit in alle Richtungen wuchernden Nachhaltigkeitsdebatte. Stattdessen lassen wir die Disziplinen selbst zu Wort kommen mit der ihnen entsprechenden Gewichtung der historisch und aktuell signifikantesten Denkansätze zum Thema. Jedes Kapitel verweist eigenständig auf die für die jeweilige disziplinäre Perspektive relevante Forschung. Dennoch gibt es natürlich gemeinsame Bezugspunkte, die den Dialog und die Zusammenarbeit der Disziplinen erleichtern: die wirkmächtigsten, meistdiskutierten Berichte und Resolutionen, die Nachhaltigkeit einfordern und definieren. Um unnötige Redundanzen innerhalb des Kompendiums zu vermeiden, sind drei Kapitel vorangestellt, die disziplinübergreifendes Basiswissen über die Nachhaltigkeitsdebatte vermitteln: Sowohl das Kapitel zur Wissensgeschichte (Tobias Schlechtriemen) als auch dasjenige zur Nachhaltigkeitskommunikation (Daniel Fischer) diskutieren die kanonischen Modelle und Metaphern für Nachhaltigkeit, ergänzt durch das Kapitel aus der Forstwirtschaft (Roderich von Detten), das auf die Wurzeln und die Weiterentwicklung des Konzepts in forstlichen Kontexten eingeht und dabei gerade auch Kritik am Begriff und der diesbezüglichen Debatte bedenkt.

      Um den Nachhaltigkeitsdiskurs wissens- und ideengeschichtlich zu erfassen, entwickelt Tobias Schlechtriemen ein Analysewerkzeug mit fünf Kriterien, die es erlauben, verschiedene Verständnisse von Nachhaltigkeit klarer zu konturieren und miteinander zu vergleichen. Er betrachtet (1) den Anlass oder die Motivation für die Entstehung des Textes, (2) die zu erhaltende Ressource, (3) die Bezugseinheit, auf die sich die Berechnung des zu Erhaltenden bezieht, (4) das nötige Wissen für entsprechende Berechnungen und (5) die Akteure und das institutionelle Setting. Mithilfe dieser Heuristik werden drei zentrale Schriften untersucht, auf die in der Nachhaltigkeitsdebatte immer wieder Bezug genommen wird: Hans Carl von Carlowitz’ Sylvicultura oeconomica, die als Bericht des Club of Rome bekannt gewordene, von Meadows et al. publizierte Schrift The Limits to Growth (dt.: Die Grenzen des Wachstums) und schließlich der sogenannte Brundtland-Report, den eine unabhängige UNO-Kommission unter dem Titel Our Common Future (dt.: Unsere gemeinsame Zukunft) vorgestellt hat. Der einheitliche Kriterienkatalog erlaubt dabei konkrete Rückschlüsse auf die (gesellschaftlichen, politischen, kulturellen etc.) Kontexte, in denen spezifische Verständnisse von Nachhaltigkeit geprägt wurden. Für Schlechtriemen bildet die Kenntnis derselben eine Grundvoraussetzung für die Diskussion über Nachhaltigkeit jenseits enger wirtschaftlicher Vorstellungen. Sein Beitrag zeigt damit eine Möglichkeit auf, den Weg für die Integration verschiedenster Ansätze zur Nachhaltigkeit zu ebnen, und er stellt einen konkreten Ansatz vor, um das Hauptanliegen dieses Kompendiums zu verwirklichen: die Erleichterung der Kommunikation über Nachhaltigkeit unter den verschiedensten disziplinären und gesellschaftsrelevanten Blickwinkeln.

      Wie aber werden Ideen von Nachhaltigkeit an ein größeres Publikum kommuniziert und popularisiert? Nachhaltigkeitskommunikation – verstanden als Teilgebiet der Nachhaltigkeitswissenschaft – spielt eine entscheidende Rolle für die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit. Daniel Fischer stellt zunächst am Beispiel verschiedener Nachhaltigkeitsmodelle dar, auf welche verschiedenen Weisen die Idee der Nachhaltigkeit konkretisiert wurde, welche Kontroversen mit diesen Konkretisierungen verbunden sind und warum es der Kommunikation bedarf, um gesellschaftliche Meinungs- und Willensbildung zu bewirken. Um die Frage zu beantworten, wo, wie und was als Nachhaltigkeit kommuniziert wird, unterscheidet er verschiedene gesellschaftliche Bereiche (z. B. Politik, Bildung, Wirtschaft), verschiedene Intentionen (Kommunikation von, über und für Nachhaltigkeit) sowie inhaltliche Varianten (Nachhaltigkeit als Umweltschutz oder als humanitäre Aufgabe zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse). Eine exemplarische Medienanalyse, in der sowohl Umfang als auch die Art der Verwendung des Nachhaltigkeitsbegriffs in deutschen Printmedien untersucht wurde, zeigt Veränderungen in der Nachhaltigkeitskommunikation zwischen 2001 und 2013. Der Beitrag schließt mit dem Plädoyer, die Idee der Nachhaltigkeit wieder stärker mit Diskussionen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen zu verknüpfen, um die Verständigung über Werte und Zukunftsfragen zu beflügeln.

      Zu erinnern ist an die Grundannahme dieses Kompendiums, dass konkurrierende Verständnisse von Nachhaltigkeit nicht nur disziplinär, sondern auch kulturell geprägt sind. Da im deutschsprachigen Raum dank Hans Carl von Carlowitz die ‚Erfindung‘ der Nachhaltigkeit als Konzept und Praxis der Forstwirtschaft zugeschrieben wird, darf ihre Perspektive auf die Diskursentwicklung nicht fehlen, zumal hier eine besonders intensive und kritische Auseinandersetzung mit Begriff und Konzept stattgefunden hat. Roderich von Dettens Bestandsaufnahme in der forstlichen Praxis und in den Forstwissenschaften zeigt, dass das Konzept vor allem im Kontext der charakteristischen Anforderungen von Langfristentscheidungen unter den Bedingungen von Komplexität, Risiko und Unsicherheit wirksam werden konnte. Hier entlastet der Gebrauch des Nachhaltigkeitsbegriffs und verschiebt die Problematik des Entscheidens unter Unsicherheit auf die Ebene eines ethischen Anspruchs und wirkt auf rhetorischer Ebene kompensierend. Die Vielfalt der Nachhaltigkeitsverständnisse ist kennzeichnend für die Geschichte der Waldbewirtschaftung: Über die vergangenen drei Jahrhunderte hat sich der semantische Umfang des Nachhaltigkeitsbegriffs – auch durch Einflüsse der globalen Debatte um eine ‚nachhaltige Entwicklung‘ – sehr stark ausgeweitet. Dass es der Begriff nicht erlaubt, die praktische Bewirtschaftung von Wäldern konkret und eindeutig anzuleiten, zeigen zahlreiche Beispiele ‚nachhaltiger Planungen‘, deren tatsächliche ‚Nachhaltigkeit‘ oft erst über 100 Jahre später beurteilt werden kann. Nachhaltigkeit im Sinne des fortwährenden Erhalts eines Naturgutes bedeutet daher vor allem, dass mit dem Unvorhersehbaren gerechnet werden muss. Forstliche Nachhaltigkeit, so schließt von Detten, ist also die über Jahrhunderte erworbene Fähigkeit, sich darauf so gut es geht einzustellen.

      Damit rückt die Diskussion um Nachhaltigkeit in die Nähe der Resilienz, die in einigen Disziplinen als Alternativkonzept oder notwendiges Komplementärkonzept ins Spiel gebracht wird. Auch und gerade die Nachhaltigkeitswissenschaft interessiert sich für die Geschichte und Konturen von Nachhaltigkeitskonzepten und ihre praktische Relevanz, ohne jedoch derart eng wie etwa die Forstwirtschaft an disziplingeschichtliche Entwicklungen gebunden zu sein. Das relative junge, sich erst seit der Jahrtausendwende etablierende Forschungsfeld verbindet selektiv diverse Ansätze und Methoden aus anderen Fachgebieten, denn die globale Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung fordert einen gesamtgesellschaftlichen Prozess, um die Mensch-Umwelt-Beziehungen auf eine nachhaltige Basis zu stellen. Cordula Ott legt dar, welche transdisziplinären Konzepte und Praktiken die Nachhaltigkeitswissenschaft beisteuert, um dieses Ziel zu erreichen. Das Kapitel erläutert, welche Akteure, Werte und Wissensarten sich integrieren lassen und wie demokratische Wissensgenerierung und gleichberechtigte Teilhabe ermöglicht und gefördert werden können, so dass Legitimität und Effektivität einer eigentlichen globalen Nachhaltigkeitsgouvernanz wachsen. Dank der Verweise auf Meilensteine der internationalen und interdisziplinären Debatte über Nachhaltigkeit übernimmt auch dieses Kapitel eine einführende Funktion in diesem Kompendium.

      Während das Kapitel zu Nachhaltigkeitsgouvernanz aufzeigt, wie eine gesamtgesellschaftliche Transformation zur Nachhaltigkeit schrittweise realisiert werden kann, erinnert das Kapitel zur Landwirtschaft zunächst wieder daran, wie nachhaltiges Wirtschaften in langer Tradition immer schon praktiziert wurde, um die natürlichen Ressourcen für das Gedeihen der Kulturpflanzen über Generationen hinweg zu erhalten. Hanns-Heinz Kassemeyer skizziert eine komplexe Entwicklung: Durch die Technisierung der Landwirtschaft wurden die Erträge erheblich gesteigert und die Produktionskosten gesenkt. Die Folgen der industrialisierten Produktion waren jedoch eine Verarmung der Kulturlandschaft und ein Rückgang der Biodiversität. In den letzten Jahrzehnten haben Forschung und Praxis der Agrarökologie gezeigt, dass eine hohe Artenvielfalt und eine reich strukturierte Agrarlandschaft gerade in der mechanisierten Landwirtschaft einen hohen Mehrwert besitzen. Ein vielfältiges und intaktes Agroökosystem erbringt eine Reihe von Dienstleistungen, die in vielen Fällen die


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