Tatort Nordsee. Sandra Dünschede

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Tatort Nordsee - Sandra Dünschede


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August setzte sich, und für ein, zwei Minuten hing jeder seinen Gedanken nach.

      Dann begann August, von seinem Telefongespräch mit Georg Redenius zu erzählen. Er versuchte, so objektiv wie möglich zu sein, verschwieg aber seinen Eindruck nicht, Redenius habe bei einigen Fragen etwas unsicher gewirkt.

      »Wenn er was weiß und an dem, was Wiard gesagt hat, etwas dran ist, und dafür spricht vieles, hat er allen Grund gehabt, unsicher zu sein«, meinte Henrike. »Aber aus den Aussagen kann man nichts konstruieren, was irgendwie Hand und Fuß hätte.«

      »Vielleicht sollte ich ihn mal persönlich in seinem Amt aufsuchen. Ich glaube, er weiß mehr, als er gesagt hat.«

      »Das wird nichts bringen, du bekommst aus dem nichts raus.« August war verblüfft über diese ungewohnt direkte Aussage Henrikes. »Der ist schon sensibilisiert. Mit ihm hat sich Wiard doch gestritten, als er anfing, über den Deich zu reden. Mit Redenius stimmt was nicht. Der weiß mehr, als er zugibt. Wie wär’s, wenn du mit Peter mal einen trinken gehst und ihm sagst, du würdest dich für diese Gerüchte um den Deich interessieren, und ob er seinem Schwager ein bisschen auf den Zahn fühlen könne …«

      »Ob Peter da mitmacht, weiß ich nicht.« August bewunderte Henrikes feste Meinung und die direkten Vorschläge zum Handeln, er selbst war oft viel zu zögerlich. »Aber es ist eine Möglichkeit. Immerhin sind seine Hinweise ja ein Fingerzeig auf das, was Wiard erzählt hat. Zusammen mit den Geschichten, die damals von der drohenden Pleite des Konsortiums in den Zeitungen gestanden haben, ist das eine Sache, die zu Pfusch führen könnte und was weiß ich noch für … für Sauereien.«

      »Ja, und Peter kann noch am ehesten etwas aus seinem Schwager herauskriegen. Ich weiß allerdings nicht, was für ein Verhältnis sie haben.«

      »Och, ich glaube, die verstehen sich ganz gut. Vielleicht nicht die große Schwagerliebe, dazu sind sie zu unterschiedlich, in jeder Hinsicht. Versuchen kann ich’s ja. So unauffällig wie möglich.« August musste ohnehin noch einen zweiten Getreidehänger nach Norden fahren, solange die Preise stimmten, sodass er die Gelegenheit beim Schopfe packen und mit Peter einen Termin für ein Bier im ›Schwarzen Bock‹ vereinbaren konnte. Früher hatte er dort einmal wöchentlich Doppelkopf gespielt, hatte sich allerdings nach dem dritten Kind endgültig aus der Runde zurückgezogen. Zu Hause war jetzt, neben der Arbeit auf dem Hof, zu viel zu tun. Immerhin war er einer der jungen Väter gewesen, die auch mal den Kinderwagen den Deichverteidigungsweg entlang geschoben hatten, oder, bei gutem Wetter, außendeichs.

      »Ich komme aber wieder, so in einem Jahr«, hatte er den anderen gesagt. Inzwischen waren jedoch vier Jahre seit der Geburt seines jüngsten Sohnes vergangen.

      Der ›Schwarze Bock‹ war eine Kneipe, in der sich in den letzten Jahrzehnten nichts verändert hatte. Selbst die Einrichtung war noch haargenau dieselbe. Der Wirt, den alle immer nur ›Joke‹ nannten, war längst über 70 Jahre alt, führte die Kneipe noch, allerdings hatte er den Gastraum um mehr als die Hälfte verkleinert. Einen Nachfolger gab es nicht, man würde für den alten Laden wohl auch keinen finden. So führte er die Kneipe weiter. »Bis ich hinter’m Tresen liege, aber nicht, weil ich duhn bin«, fügte Joke meistens noch hinzu. »Ich mache das, was die Regierung und die Arbeitgeberverbände immer als Allheilmittel gegen die Arbeitslosigkeit und zur Rentensicherung predigen – ich arbeite bis 80. Wenn ich einen Nachkommen hätte, würde ich allerdings nicht mehr hinter dieser gottverdammten Theke stehen …«

      Für den Lebensunterhalt brauchte er die Kneipe nicht mehr, er hatte zeit seines Lebens in die Rentenkasse eingezahlt, das reichte ihm jetzt, auch wenn es, angesichts einer erneuten Nullrunde bei den Renten, nichts würde mit den drei Wochen auf den Malediven, die Jokes Lebenstraum waren. Angesichts der mittlerweile um sich greifenden Billigflüge hatte August ihm vorgeschlagen, er könne doch wenigstens mal nach Mallorca fliegen, aber Joke brachte diese schöne Mittelmeerinsel ausschließlich mit dem Ballermann in Verbindung, was ein Fehler war, denn sie war zweifelsohne überaus schön. Sangria trinken mit überlangen Strohhalmen aus 10-Liter-Eimern, das wäre nichts für ihn. Und ein ordentliches friesisches Pils könne er sich auch selbst an der eigenen Theke zapfen. Seine Frau war schon seit über zehn Jahren tot, und Kinder hatte er keine. Von anderen Verwandten war nichts bekannt, und eigentlich wusste auch keiner, ob Joke tatsächlich Freunde hatte.

      Peter Kümmel hatte den Vorschlag gemacht, gemeinsam mit Schorsch ein Bier im ›Schwarzen Bock‹ zu trinken. Joke öffnete nur noch an drei Tagen pro Woche, von Mittwoch bis Freitag; sie hatten sich für den Freitag entschieden. Das war Georg Redenius’ Vorschlag gewesen, da könne er dann auch ein, zwei Bier mehr trinken, weil er am nächsten Tag nicht auf’s Amt müsse.

      Um die Runde aufzulockern, hatten sie beschlossen, Skat zu spielen, und das erwies sich als gute Idee, denn insbesondere Schorsch war ein begeisterter – und guter – Skatspieler. Doppelkopf, von August ins Gespräch gebracht, der zunächst anvisiert hatte, Wiard mitzunehmen, hatte Schorsch abgelehnt – das sei ihm zu kompliziert, und was das überhaupt solle, anstatt des Kreuz-Bauern, die Herz-Zehn zum höchsten Trumpf zu erklären. Außerdem, das müsse er gestehen, wäre er nicht besonders gut auf Wiard zu sprechen, seit diesem Sportfest, neulich. Da Wiard an diesem Abend ohnehin keine Zeit hatte, waren sie zu dritt, und damit hatte sich Doppelkopf von selbst erledigt. Joke stand hinter seiner Theke und sprach mit zwei Gästen, die hier jeden Freitag saßen, den Arbeitstag ausklingen ließen und das Wochenende einläuteten.

      Schorsch Redenius spielte gut, was natürlich auch durch gute Blätter bedingt war, die er gerade in der Anfangsphase zugespielt bekam. Im Moment stand er unangefochten auf Platz eins. Bis auf einen vergeigten Null-Ouvert war bei Schorsch alles im grünen Bereich, bis Peter sich nicht verkneifen konnte, zu Beginn des nächsten Spiels prahlerisch anzukündigen, dass er sie nun alle satt machen werde. Er legte einen Grand Hand hin, der ihm eine Menge Punkte bescherte, zumal er mit Dreien war. August sah sich indes auf Platz drei und hatte bisher kaum Land gewonnen.

      Während eines Spiels, bei dem August eine erneute Niederlage drohte, entschloss sich dieser, das Gespräch, das sich vorher nur um Kommentare zu den Spielen, Fußball und die Arbeit gedreht hatte (Frauen würden wohl erst bei weiterem Alkoholgenuss einbezogen), auf den Deich zu lenken.

      »Also, diese Geschichte um den Deich, die hat mich immer noch nicht ganz losgelassen, Herr Redenius«, begann er.

      »Herr Redenius«, sagte Georg beinahe etwas abfällig, »das ist das Stichwort, Joke, bring mal drei Corvit.«

      »Oh nee, bloß nicht«, kommentierte Peter Kümmel, allerdings schien das nicht ganz ehrlich gemeint, und Joke war auch schon blitzschnell mit drei eiskalten Corvit im Anmarsch. Umsatz.

      »Auf meinen Deckel.« Schorsch Redenius hob sein Glas und sagte: »Herr Redenius ist nun nicht mehr, Herr Saathoff. Ab jetzt Georg, oder besser, Schorsch.« Er hielt August sein Glas hin.

      »Na dann, von mir aus, ich bin August.«

      Die drei kippten den Klaren, nicht ohne sich danach kräftig zu schütteln.

      »Ich nehme noch einen«, raunte Schorsch Joke zu, sah in die Runde, aber die beiden anderen lehnten ab. Wenig später stand ein Schnaps da, und so schnell er vor Schorsch Redenius gelandet war, so schnell war er auch geleert.

      »Jetzt geht’s mir besser.« Schorsch atmete tief durch und fügte hinzu: »Wir können doch nicht bei Joke sitzen, Skat spielen und uns immer mit ›Herr Redenius‹, ›Herr Saathoff‹ ansprechen. So’n Tüdelkrams. Also, ab jetzt auf Du.« Er lachte etwas krampfig und fuhr fort: »Nun lass uns nicht über den vermaledeiten Deich reden, der steht, und der steht auch noch in 100 Jahren, das sage ich euch. Auch dir, Peter, du hast heute auch schon zweimal danach gefragt.« August sah kurz Peter an, der nichtssagend zurückblickte. Er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Schorsch Redenius’ plötzliche Freundschaftsgeste nicht ganz ehrlich, ja, gespielt war.

      »Na, Georg«, versuchte August es erneut, »ich wohne nun mal knapp hinter dem Deich, da interessiert man sich schon dafür, ob er stabil ist oder nicht. Davon hängt die Zukunft meiner Familie ab. Es hat schon mal einer behauptet, sein Bauwerk werde noch


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