Ein Sizilianer von festen Prinzipien. Leonardo Sciascia

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Ein Sizilianer von festen Prinzipien - Leonardo Sciascia


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der Inquisitor zur gewohnten Stunde in die Verliese gegangen war, um das übliche Werk zum Wohle der Gefangenen zu tun: Dieser Ausdruck hat ein weites Bedeutungsfeld, das vom Überzeugungsgespräch bis zur Folter durch Seilhochziehen reicht. Es heißt darin außerdem, dass Fra Diego vor den Inquisitor geführt wurde, also nicht auf ihn zugekommen ist. Aus diesen beiden Hinweisen können wir zuverlässig schließen, dass er einem Verhör samt der dazugehörigen Folter unterzogen werden sollte.

      Was den heiligmäßigen Tod des Monsignore de Cisneros angeht, so heißt es bei Matranga nur, dass er keine anderen Worte als solche des Sich-Ergebens in den göttlichen Willen geäußert habe: Und so stieg er in die ewige Heimat auf, um seine Jugend wiederzugewinnen. Keine Vergebung für den Ungläubigen, keine außerordentliche Liebe.

      Weder aus dem Tagebuch Aurias noch aus dem Bericht Matrangas geht hervor, wie viele Tage Monsignore de Cisneros in Agonie gelegen hat: wenige, sagt der Theatiner; sehr wenige, wenn wir in Betracht ziehen, dass Auria in ein und derselben Aufzeichnung die Notiz über die Verwundung und die über das Begräbnis unterbringt. Es gab auf jeden Fall feierliche Exequien: Alle Glocken der Stadt läuteten zum Leichenbegängnis, und die Uhr am Palazzo Chiaramonte wurde für den ganzen Tag angehalten. Jene Uhr ist beim Volk sprichwörtlich geworden: Lu roggiu di lu Sant’Ufficio nun conzigna mai, sie entlässt nie in die Freiheit, schlägt nie die Stunde der Befreiung8.

      In der spanischen Kapelle der Chiesa della Gangia existiert noch heute das Grabmal des Monsignore de Cisneros. Der Stein trägt folgende Inschrift:

      Aquí yace el licenziado Don Juan López de Cisneros, natural de Castromocho en Castilla la Vieja, provvisor y vicario general dei obispado de Orense, collegial mayor del insigne colegio de San Ildefonso, universidad de Alcalá de Henares, y pariente de su fundador, fiscal y inquisidor apostolico en este reyno de Siçilia. Murió en el mismo exercitio de inquisidor a 4 de abril 1657, a los 71 de su edad. Fundó una capillania perpetua en esta capilla de que son patrones los inquisidores deste reyno.

       (Hier ruht der Lizentiat Don Juan López de Cisneros, gebürtig aus Castromocho in Castilla la Vieja, Provisor und Generalvikar des Bischofs von Orense, geachtetes Mitglied des ehrhaften Kollegiums Sankt Ildefonso, der Universität zu Alcalá de Henares, Verwandter des Gründers, Fiskal und apostolischer Inquisitor unseres Königreichs Sizilien. Er starb bei der Ausübung seines ihm anvertrauten Amtes als Inquisitor am 4. April 1657 im 71. Jahr seines Lebens. Er stiftete eine ständige Kaplanstelle für diese Kapelle, deren Fürsprecher die Inquisitoren des Königreichs sind.)

      Auf der Schrifttafel ist ein Schild zu sehen, ein Wappen, auf dem zwei senkrechte und vier waagrechte Linien eine Art Gitter bilden: passendes Symbol für seine Nächstenliebe und diejenige seines Verwandten; das ist eben jener Kardinal [Francisco] Jiménez de Cisneros, auf den D’Ors einen Heldengesang anstimmt: die Hand, die erstickt und zugleich eine Stütze ist. Aber die Hand von Diego La Matina hatte diese Gabe nicht, und so starb der Verwandte des großen Cisneros bei der Ausübung ebendieses Amtes als Inquisitor. Durch Hiebe mit den Handschellen: ein Arbeitsunfall, wie er einem Schergen, einem Folterknecht nun mal zustoßen kann. Etwas besser war im Jahr 1485 in Aragon der Inquisitor Pedro Arbues gestorben: in einem nächtlichen Hinterhalt; durch die Hand von conversos, das heißt von konvertierten Juden, welche die Inquisition niemals aus den Augen ließ9. Das sind, soweit wir wissen, die beiden einzigen Fälle, in denen Inquisitoren eines gewaltsamen Todes starben.

      Diego La Matina, Sohn des Vincenzo und der Francesca di Gasparo, wurde am 15. März 1622 in der Chiesa Santa Maria dell’Annunziata von Racalmuto getauft; Taufpaten waren ein gewisser Sferrazza, dessen Vornamen wir nicht entziffern können, und eine Giovanna di Gerlando aus Gueli. Es zelebrierte Pfarrer Paulino d’Asaro10.

      Herrscher von Racalmuto war damals Girolamo II. del Carretto, ein grausamer und habsüchtiger Mensch: Kaum zwei Monate später, am 6. Mai, sollte einer seiner Diener, ein gewisser Antonio Di Vita, ihn mit einem Büchsenschuss ins Jenseits befördern. Wie es scheint, war Di Vita vom Prior des Klosters der reformierten Augustiner mit diesem Auftrag betraut worden, aus Rache für eine Geldsumme, die der Graf ihm abgenommen hatte. Laut örtlicher Überlieferung hatte der Prior einen hübschen Batzen Geld einsammeln können, und zwar in der frommen Absicht, das Kloster auszubauen und die dazugehörige Chiesa di San Giuliano zu verschönern. Aber del Carretto schaffte es, sich dieses Geld aushändigen zu lassen. Als Beweis für das Vorhaben des Priors und die räuberische Intervention des Grafen verweist das Volk auf die halbfertigen Säulen neben dem alten Kloster, unweit vom Kalkofen.

      Dass an dieser Überlieferung etwas Wahres dran ist, finden wir im Epilog der Volkslegende selbst bestätigt, der besagt: Der Diener Di Vita sei ungestraft davongekommen dank Donna Beatrice, der dreiundzwanzigjährigen Witwe des Grafen: Nicht nur verzieh sie dem Di Vita und hielt den Rachsüchtigen unbeirrt entgegen, dass der Tod des Dieners den Herrn nicht wieder ins Leben zurückbringt, sondern sie ließ ihn auf freien Fuß setzen und versteckte ihn auch. Nun schimmert in diesem Epilog deutlich die schadenfreudige Anspielung auf einen gehörnten und abgeschossenen Grafen del Carretto durch: Aber das dürfte ein eher zweitrangiger Grund für sein Ende gewesen sein, der gewichtigste bleibt der Hass des Priors. Und daher: Hätte es keine konkreten Anhaltspunkte gegeben, die den Prior der Augustiner als Auftraggeber ausweisen, hätte das Volk gern die Geschichte von den Hörnern des Grafen in Umlauf gebracht.

      Der Prior war gewiss kein Heiliger. Aber diesen Büchsenschuss hatte der Graf mit dem Segen der Bewohner eines ganzen Ortes abbekommen. Ein Memorandum vom Ende des 17. Jahrhunderts (heute unauffindbar, aber transkribiert und zusammengefasst von Nicolò Tinebra Martorana, dem Verfasser einer brauchbaren Lokalgeschichte11) berichtet von der erdrückenden Steuerlast, welche die del Carretto dem Volk auferlegten, und Don Girolamo II. tat das auf besonders grausame und räuberische Weise. Der terraggio und der terraggiolo, auf die Erbpacht zu leistende Abgaben und Steuern, wurden mit Härte und Willkür eingetrieben: und nicht nur bei denen, die tatsächlich Erbpächter in der Grafschaft Racalmuto waren, sondern auch bei jenen, die in der Grafschaft lediglich ihren Wohnsitz, ihr Pachtland jedoch außerhalb des Territoriums hatten; und nicht wenige dürften genau in dieser Lage gewesen sein. Daher hielt die Abwanderung der Bauern aus dem Herrschaftsgebiet der del Carretto über die Jahrhunderte stetig an, ja in bestimmten Phasen wurde daraus sogar eine Massenflucht; die erzwungenen Wiederansiedlungen oder solche, die gefördert durch Steuerfreiheit zustande kamen, genügten nicht, um die hinterlassenen Lücken gänzlich zu schließen.

      Das von Tinebra Martorana zusammengefasste Dokument besagt, dass genau unter der Herrschaft von Girolamo II. die borgesi, also die Ackerbürger von Racalmuto, die zwecks Abschaffung der willkürlich auferlegten Steuern bereits Beschwerde auf den Weg gebracht hatten, einem äußerst schlimmen Betrug aufsaßen: Der Graf täuschte nämlich seine Bereitschaft vor, diese Abgaben für immer abschaffen zu wollen; allerdings gegen Zahlung einer großen Summe, genauer von vierunddreißigtausend Scudi. Die Höhe der Summe lässt uns denken, dass es sich nicht um den Freikauf von bestimmten Steuern handelte, sondern um die endgültige Auslösung der Gemeinde aus der Herrschaft des Despoten, also um den Übergang von der Baronie in Königsland mit Selbstverwaltung.

      Um eine solche Summe zusammenzubringen, genehmigte das Königliche Gericht eine außerordentliche Selbstbesteuerung: Kaum aber waren die neuen, außerordentlichen Steuern erhoben, erklärte Don Girolamo del Carretto, dass er sie als gewöhnliche Steuern betrachte – ohne Zweckbindung an den Freikauf. Die borgesi reichten selbstverständlich Beschwerde ein; aber die schmerzliche Angelegenheit wurde auf gewisse Weise erst 1784 zu ihren Gunsten gelöst, unter der Herrschaft des Vizekönigs Caracciolo.

      Der Augustinerprior und der Diener Di Vita übten also Rache für eine ganze Stadt, wie auch immer die grässliche Bescherung gewesen sein mag, deren Hauptfiguren sie zusammen mit dem Verstorbenen und Donna Beatrice gewesen sind. (Merkwürdig ist die Aussage eines Pergaments, das höchstwahrscheinlich ein Jahr später in den Sarkophag aus Granit gelegt wurde, wohin der Leichnam des Grafen überführt worden war. Darauf ist das Alter von Donna Beatrice, vierundzwanzig Jahre, vermerkt, das des Grafen aber verschwiegen. Nun verfügen wir tatsächlich nicht über das Original, sondern nur über eine Abschrift von 1705; doch haben wir keinen Grund,


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