Völkerrecht. Bernhard Kempen

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Völkerrecht - Bernhard  Kempen


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Außerdem – und das war seinerzeit ein Novum – stellte die FRD das Selbstbestimmungsrecht in einen direkten Zusammenhang zum Recht eines Volkes auf Sezession (→ Staatennachfolge).

      Neben der Mehrdeutigkeit einzelner Formulierungen trugen auch die am Ende der Deklaration aufgeführten Auslegungsmaßgaben zu einer weiteren Relativierung der substanziellen Aussagen bei, weil „bei ihrer Auslegung und Anwendung […] die vorstehenden Grundsätze voneinander abhängig [sind]; jeder Grundsatz ist im Zusammenhang mit den anderen Grundsätzen zu verstehen.“

III. Rechtliche Würdigung

      Die FRD hat – wie auch andere Beschlüsse der Generalversammlung (→ Allgemeine Erklärung der Menschenrechte; → Uniting for Peace-Resolution) – grundsätzlich nur den rechtlich unverbindlichen Charakter einer „Empfehlung“ (vgl. Art. 10 ff. UN-Ch.). Daran ändern auch die jeweils gewählten unterschiedlichen Bezeichnungen nichts, in denen regelmäßig von einer Resolution oder Erklärung (Deklaration) die Rede ist, hin und wieder aber auch der besonders feierliche Begriff der Charta gewählt wird (z. B. Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten, 1974). Auf der Konferenz von San Francisco (April – Juni 1945), die zur Gründung der Vereinten Nationen führte, hatten sich die Delegierten mit überwältigender Mehrheit gegen Legislativbefugnisse der Generalversammlung ausgesprochen.

      Aufgrund gewisser Besonderheiten ihrer Entstehung und ihres Inhalts wird jedoch bereits seit ihrer Verabschiedung diskutiert, ob die FRD – deklaratorisch – die in Bezug genommenen völkerrechtlichen Grundprinzipien inhaltlich zutreffend widergibt oder – konstitutiv – als Teilaspekt der Entstehung von Völkergewohnheitsrecht oder der Herausbildung eines Allgemeinen Rechtsgrundsatzes zu verstehen ist. Auch der konkludente Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrages kommt in Betracht.

      Die Abstimmung in einem internationalen Organ kann zwar durchaus als Abschluss eines → völkerrechtlichen Vertrages verstanden werden; eine derartige Konsequenz wird jedoch in der Regel damit nicht verbunden. Grundvoraussetzung wäre der Wille der Abstimmenden, über das Zustandekommen des Beschlusses der → Internationalen Organisation hinaus zumindest für alle zustimmenden (ggf. auch für die widersprechenden) Staaten eine vertragliche Bindung an den Beschlussinhalt zu begründen. Dem steht aber, soweit es die UN-Generalversammlung betrifft, bereits der von der UN-Charta explizit hervorgehobene lediglich empfehlende Charakter des Beschlusses, d. h. eines einseitigen Rechtsaktes, entgegen. Ohne eine ausdrückliche Klarstellung im Vorfeld der Abstimmung, dass diese ausnahmsweise zu einer völkerrechtlichen Bindung führen soll, kann eine solche Rechtswirkung nicht begründet werden. Es kommt hinzu, dass die Staatenvertreter regelmäßig auch gar nicht zu einem Vertragsabschluss bevollmächtigt sind und völkerrechtliche Verträge, die weitreichende Bindungswirkung für die Vertragsstaaten entfalten sollen, regelmäßig einer Ratifikation bedürfen (zur Ratifikationsnotwendigkeit im sog. mehrphasigen Verfahren → Völkervertragsrecht).

      Bei der FRD kommt hinzu, dass diese im Consensus-Verfahren verabschiedet worden ist (s. oben, I.). Dieses Verfahren, das eine förmliche (positive) Abstimmung nicht vorsieht, sondern schon dann zur Annahme des Rechtsaktes führt, wenn kein Staat explizit widerspricht, sollte den gegenüber dem Resolutions-Inhalt kritisch eingestellten Staaten eine einvernehmliche Verabschiedung ermöglichen, ohne sich insoweit ausdrücklich für oder gegen den konkreten Inhalt aussprechen zu müssen. Für die Zustimmung zu einem völkerrechtlichen Vertrag ist aber die Verlautbarung eines staatlichen Erklärungswillens erforderlich; das Schweigen des Staatenvertreters ist insoweit jedenfalls nicht ausreichend.

      Diskutiert wird der mögliche Beitrag von Resolutionen der Generalversammlung zur Bildung von → Völkergewohnheitsrecht sowohl im Hinblick auf (a) die objektive Staatenpraxis als auch (b) die subjektive Rechtsüberzeugung.

      Zum Beleg für eine bestimmte Staatenpraxis können neben Realakten zwar auch Willenserklärungen der Staaten herangezogen werden. Einmaligen Beschlüssen der Generalversammlung fehlt aber regelmäßig bereits die erforderliche Einheitlichkeit und Dauerhaftigkeit der Staatenpraxis, auf die schon aus Gründen einer gewissen Sicherheit in der Rechtserkenntnis bei der Entstehung von Völkergewohnheitsrecht grundsätzlich nicht verzichtet werden kann. Als weiteres Problem kommt hinzu, dass es sich nach traditionellem Verständnis um eine auf konkrete und reale Sachverhalte bezogene Staatenpraxis handeln muss, was bei abstrakt-generell formulierten Resolutionsinhalten – wie bei der FRD – gerade nicht gegeben ist. Insoweit kommt allenfalls in Betracht, dass entsprechende (auch einmalige) Beschlüsse der Generalversammlung eine kontinuierliche Staatenpraxis zu ersetzen vermögen, also ein gleichberechtigtes Aliud zur Staatenpraxis darstellen.

      Einer Qualifizierung des Resolutions-Textes als Ausdruck der Überzeugung der Staaten vom Bestehen eines bestimmten Rechtssatzes des Völkergewohnheitsrechts steht grundsätzlich der für sich genommen völkerrechtlich unverbindliche Charakter der Resolution entgegen. Doch wird in einzelnen Formulierungen der FRD ausdrücklich von einem Recht (right) oder einer Pflicht (duty) gesprochen. Und seit den 1960er Jahren ist es immer wieder vorgekommen, dass Staaten einen förmlichen Vorbehalt gegen einzelne Resolutionsbestimmungen erklärt haben, was nur dann Sinn macht, wenn die Resolution grundsätzlich rechtliche Verbindlichkeit beansprucht. Auch der IGH scheint in diesem Zusammenhang eine Berücksichtigungsfähigkeit von Resolutionsinhalten zu sehen (s. unten, IV.).

      Eine Qualifizierung der FRD-Inhalte als → Allgemeine Rechtsgrundsätze gem. Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut scheitert schon daran, dass es sich bei dieser Rechtsquelle um ursprünglich innerstaatlich geltende Rechtsnormen handelt, die auf die Ebene des Völkerrechts übertragen werden, soweit sie auch dort (lückenfüllend) problemadäquate Resultate hervorzubringen vermögen. Hingegen stellen die FRD-Grundsätze (mit Ausnahme des Prinzips von Treu und Glauben) originär und spezifisch völkerrechtliche Prinzipien dar, die ihren Ursprung im Völkervertrags- oder Völkergewohnheitsrecht finden. Als „Allgemeine Rechtsgrundsätze“ in einem weiten Verständnis zeichnen sie sich allein dadurch aus, dass sie inhaltlich besonders vage und konturenarm sind und deshalb der permanenten Konkretisierung bedürfen. Eine entsprechende, auf rechtliche Verbindlichkeit angelegte „Konkretisierungsbefugnis“ kommt der Generalversammlung in Ermangelung legislativer Befugnisse aber weder generell noch im Einzelfall zu.

      Im Übrigen besitzt die Generalversammlung auch keine Befugnis zur autoritativen Auslegung (der einzelnen Prinzipien) der UN-Charta. Eine solche Befugnis zur einseitigen und für alle anderen Rechtsanwender verbindlichen Norminterpretation durch ein Vertragsorgan sieht das Völkerrecht nur selten vor (z. B. Art. IX Abs. 2 S. 1 WTO-A) und ergibt sich im vorliegenden Zusammenhang weder unmittelbar aus dem Wortlaut der UN-Charta noch aus der organschaftlichen Stellung oder der Funktion der Generalversammlung als einziges alle Mitglieder repräsentierendes Organ der Vereinten Nationen. Irrelevant ist zudem die authentische Auslegung gem. Art. 31 Abs. 1 lit. a und b WVRK, da es regelmäßig


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