Die Geschichte von der 1002. Nacht / Сказка 1002-й ночи. Книга для чтения на немецком языке. Йозеф Рот

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Die Geschichte von der 1002. Nacht / Сказка 1002-й ночи. Книга для чтения на немецком языке - Йозеф Рот


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geraten. Nicht einen Augenblick vermochte sie die Hoffnung aufzugeben, daß der Baron Taittinger kommen würde, um die Frucht seiner Lenden zu sehen. Aber der Taittinger kam nicht.

      Als Xandl drei Jahre alt war, lernte Mizzi Schinagl auf einer Bank im Schönbornpark, durch Zufall sozusagen, eine geschwätzige und gefällige Frau kennen, die ihr sagte, es gäbe da ein Haus auf der Wieden, da wäre man gut aufgehoben – und noble Menschen verkehrten dort – und was wäre schon eine Pfaidlerei – und was wäre das überhaupt schon für ein Leben so, mit einem Kind und unverheiratet und mit einer Pfaidlerei. Was war das für ein Leben? Mizzi Schinagl hatte es schon oft selber gedacht, wörtlich das gleiche.

      »Was sind das für noble Menschen, die dort verkehren?« fragte Mizzi Schinagl.

      »Die nobelsten«, erwiderte die fremde Frau. »Namen kann ich Ihnen auch sagen. Ich muß nur die Liste holen.«

      Sie eilte dahin und brachte die Liste.

      Die Mizzi wußte selbst nicht, weshalb sie zur Frau Matzner am nächsten Tage ging. Was kümmerte sie die Frau Matzner? Was hatte sie jemals von der Frau Matzner gehört? Es war Sommer, Spätsommer. Es war auch sehr heiß. Verspätete, immer noch leichtsinnige Amseln flöteten auf dem immer noch grünen Rasen, zwischen dem Kopfsteinpflaster. Es schlug sechs Uhr, als sie vor dem Hause der Josephine Matzner stand. »Josephine Matzner, Masseurin, IIter Stock, dreimal läuten« war unten gedruckt. Sie läutete dreimal.

      Ein geradezu niederschmetternder Duft von Maiglöckchen, von Flieder, von Veilchen, von Verbenen, von Reseda schlug Mizzi entgegen. Noch eh’ sie wußte, was mit ihr geschah, stand sie in dem sogenannten rosa Salon: aus rosa Seide waren die Vorhänge vor den Fenstern; aus rosa Seide die Vorhänge vor der Tür; aus rosa Rosen bestand die Tapete; in eine Rosenknospe aus Porzellan ging selbst der Knopf der Türklinke aus.

      Eines Tages, eines Abends vielmehr, kommt er, der geliebte Taittinger. Seit vielen Jahren ist er im Haus der Josephine Matzner heimisch.

      Als er die Mizzi Schinagl in diesem Hause erblickte, war er durchaus nicht erstaunt, wie es wahrscheinlich viele andere Männer an seiner Stelle gewesen wären, sondern er strengte sich an, eine den Umständen angemessene Frage zu finden. Er erinnerte sich nicht mehr, auf welche Weise sein Notar die Mizzi Schinagl abgefunden hatte, ob durch eine Wäscherei, Näherei oder Pfaidlerei. Dagegen glaubte er sich genau erinnern zu können, daß Fräulein Schinagl ein Kind weiblichen Geschlechts von ihm bekommen hatte, und eine höfliche Frage nach dem Befinden dieser Kleinen hielt er wohl für angebracht. »Grüß Gott!« sagte er also. »Was macht unsere Kleine?«

      »Wir haben einen Buben!« sagte die Mizzi, und sie errötete zum erstenmal wieder nach langen Jahren, als hätte sie nicht etwa die pure Wahrheit gesagt, sondern eine Lüge.

      »Ach ja, es ist ein Bub!« sagte der Baron. »Entschuldige!«

      Eine Weile später bestellte er Champagner, um mit Mizzi auf das Wohl dieses Buben, seines Buben, zu trinken. Er hörte nicht mehr alles, was die Mizzi vom Buben erzählte. Er hörte nicht, daß er gut untergebracht war bei Frau Schyschka, einer Frau, die zwar aus Bielitz-Biala stammte, aber dennoch durchaus zuverlässig war. Sie verwaltete auch die Pfaidlerei, die ganz gut ging. Insoweit war Mizzi Schinagl zufrieden. Sie trug ein tief ausgeschnittenes, weißes Seidenkleid, und von Zeit zu Zeit nestelte sie an ihrem rechten Strumpfband, offenbar um sich zu überzeugen, daß ihr Geld, ein Zehnguldenschein, den sie heute erworben hatte, noch vorhanden war. Obwohl sie wußte, daß der Baron nur aus Gewohnheit zu der Josephine Matzner gekommen war, begann sie sich nach zwei Gläsern Champagner einzureden, er sei ihretwegen allein gekommen. Alsbald schien es auch dem Rittmeister so, daß er der Mizzi wegen heute den Weg hierher genommen hatte. Der Baron hatte ein kleines Herz, aber es war ebenso schnell gerührt wie vergeßlich. Er mochte die Mizzi noch sehr gerne, und er fragte sich, warum er sie eigentlich verlassen habe. Er begehrte sie sogar, aber es gab nun ein gewaltiges Hindernis: es schien ihm einfach unschicklich, eine Frau zu kaufen, die man umsonst gehabt hatte, sozusagen umsonst, abgesehen von der Pfaidlerei. Es war ebenso unschicklich, wenn nicht noch unschicklicher, eines der anderen Mädchen zu nehmen, sozusagen vor den Augen der Mizzi. In der Hoffnung, daß er dadurch allen peinlichen Überlegungen entgehen könnte, gab er der Mizzi zuerst ein Geldstück, ein goldenes Fünfguldenstück. Sie nahm es in die Hand, spuckte darauf und sagte: »Gehn wir hinauf, zu mir, ich hab’ ein nettes Kabinett!«

      Der Baron ging ins Kabinett und blieb dort bis Mitternacht, in Erinnerungen versunken. Er versprach, oft wiederzukommen, und er hielt auch sein Versprechen. Er wußte nicht, ob ihn ein Fluch trieb oder ein Segen; ob er eigentlich die Gräfin liebte oder die Mizzi; ja ob er überhaupt liebte; ob er überhaupt noch der alte Taittinger war. Es fehlte nur noch wenig, und er wäre imstande gewesen, sich selbst in die dritte und letzte Kategorie der Menschen einzureihen: in die Kategorie der »Langweiligen«.

      IX

      Der mächtige Herr von Persien, der Herr der dreihundertfünfundsechzig Frauen und der fünftausenddreihundertzehn Rosen von Schiras war nicht gewohnt, ein Begehren, geschweige denn eine Begierde zu unterdrücken. Kaum hatte sein Auge die Gräfin W. auserkoren, und schon winkte er dem Großwesir. Der Großwesir neigte sich über die Sessellehne. »Ich hab’ dir was zu sagen«, flüsterte dar Schah. »Ich möchte«, sagte der Schah weiter, »die kleine jungenFrau heute, die silberblonde, du weißt, welche ich meine.«

      »Herr«, wagte der Großwesir zu erwidern, »ich weiß, welche Eure Majestät meinen. Aber es ist, es ist – « Er wollte »unmöglich« sagen, aber er wußte wohl, daß solch ein Wort das Leben kosten konnte. Also sagte er: » – – es ist hierzulande sehr langsam!«

      »Heute!« sagte der Schah, dem nichts von dem, was er befohlen hatte, unausführbar erschien.

      »Heute!« bestätigte der Minister.

      Der Tanz war eine Weile unterbrochen. Der Herr und der Diener begaben sich würdig und langsam zu ihren Plätzen zurück. Der Kaiser lächelte ihnen freundlich entgegen. Die Musik setzte wieder ein. Der Tanz begann aufs neue.

      Vor Mitternacht erhoben sich die Majestäten. Sie verschwanden, die doppelflügelige Tür hinter den Thronsesseln verschlang sie. Der Schah wartete in einem Nebenraum. Ihm gegenüber und so, daß er sie genau betrachten kann, steht eine Diana aus Silber auf einem schwarzen, runden Brett. Sie scheint ihm das getreue Abbild der begehrten Frau zu sein. Alles in diesem Raum erinnert überhaupt an die begehrte Frau: der dunkelblaue Diwan, die seidene, blaßblaue Tapete, der Flieder in der schlankhalsigen Majolikavase, der kristallene Lüster sogar, der wunderbare Schwung des vierfüßigen Leuchters mit den vier schlanken Ärmchen und das silberne Ornament auf dem tiefblauen, samtenen Teppich zu Füßen des Herrn von Persien. Man wartet, man wartet! Und der Schah ist nicht gewohnt zu warten.

      Er muß leider warten. Kaum zwanzig Meter von ihm entfernt, findet eine Konferenz statt, deren Teilnehmer sind: der Großwesir, der Hofzeremonienmeister und der Adjutant Seiner Majestät. Man beschließt, auch den Polizeipräsidenten herbeizurufen. Und man sieht trotzdem keinen Ausweg: der Großwesir möchte seinen Freund, den Adjutanten Kirilida Pajidzani, zur Seite haben, er wird ihn suchen lassen, er läßt ihn schon suchen. Man findet ihn nicht, den jungen, lebenslüsternen, schönen Pajidzani.

      Was steht zur Debatte? Es handelt sich darum, ob man die Gesetze des Anstands oder ob man die Gesetze der Gastfreundschaft verletzen darf.

      Der Hofzeremonienmeister lehnte mit würdiger Entschiedenheit ab; der Adjutant des Kaisers ebenfalls. Es war selbstverständlich. Es kam für keinen von den beiden Herren in Betracht, etwa Seine Majestät in Kenntnis zu setzen von dem sonderbaren Wunsch des hohen Gastes. Aber es kam auch nicht in Betracht, dem hohen Gast einen Wunsch zu verweigern.

      Der Polizeipräsident sagte schließlich, daß man einen geeigneten Mann finden müsse, einen vom privaten Festkomitee. Und kaum war das Wort vom »privaten Festkomitee« gefallen, als der Hofzeremonienmeister den Namen Taittinger ausrief.

      Man beschloß, eine Pause eintreten zu lassen. Zwei Herren begaben sich in den blauen Raum zum wartenden Schah. Er saß würdig in seinem Sessel, spielte mit seinem Perlenarmband und fragte nur: »Wann?« – »Es handelt sich nur darum«, log der Großwesir, »die Dame zu finden. Im Gewirr des Festes ist sie verschwunden. Wir suchen sie mit allen Kräften.«

      »Mit


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