Die Traumdeutung / Толкование сновидений. Книга для чтения на немецком языке. Зигмунд Фрейд
Читать онлайн книгу.sittliche Natur des Menschen bleibt auch im Traume bestehen: »Aber während kein noch so handgreiflicher Rechnungsfehler, keine noch so romantische Umkehr der Wissenschaft, kein noch so scherzhafter Anachronismus uns verletzt oder uns auch nur verdächtig wird, so geht uns doch der Unterschied zwischen Gut und Böse, zwischen Recht und Unrecht, zwischen Tugend und Laster nie verloren. Wie vieles auch von dem, was am Tage mit uns geht, in den Schlummerstunden weichen mag, – Kants kategorischer Imperativ hat sich als untrennbarer Begleiter so an unsere Fersen geheftet, daß wir ihn auch schlafend nicht los werden . . . . . Erklären aber läßt sich (diese Tatsache) eben nur daraus, daß das Fundamentale der Menschennatur, das sittliche Wesen, zu fest gefügt ist, um an der Wirkung der kaleidoskopischen Durchschüttelung teilzunehmen, welcher Phantasie, Verstand, Gedächtnis und sonstige Fakultäten gleichen Ranges im Traume unterliegen« (p. 45 u. ff.).
In der weiteren Diskussion des Gegenstandes sind nun merkwürdige Verschiebungen und Inkonsequenzen bei beiden Gruppen von Autoren hervorgetreten. Streng genommen wäre für alle diejenigen, welche meinen, im Traume zerfalle die sittliche Persönlichkeit des Menschen, das Interesse an den unmoralischen Träumen mit dieser Erklärung zu Ende. Sie könnten den Versuch, den Träumer für seine Träume verantwortlich zu machen, aus der Schlechtigkeit seiner Träume auf eine böse Regung in seiner Natur zu schließen, mit derselben Ruhe ablehnen wie den anscheinend gleichwertigen Versuch, aus der Absurdität seiner Träume die Wertlosigkeit seiner intellektuellen Leistungen im Wachen zu erweisen. Die anderen, für die sich »der kategorische Imperativ« auch in den Traum erstreckt, hätten die Verantwortlichkeit für unmoralische Träume ohne Einschränkung anzunehmen; es wäre ihnen nur zu wünschen, daß eigene Träume von solch verwerflicher Art sie nicht an der sonst festgehaltenen Wertschätzung der eigenen Sittlichkeit irre machen müßten.
Nun scheint es aber, daß niemand von sich selbst so recht sicher weiß, inwieweit er gut oder böse ist und daß niemand die Erinnerung an eigene unmoralische Träume verleugnen kann. Denn über jenen Gegensatz in der Beurteilung der Traummoralität hinweg zeigen sich bei den Autoren beider Gruppen Bemühungen, die Herkunft der unsittlichen Träume aufzuklären, und es entwickelt sich ein neuer Gegensatz, je nachdem deren Ursprung in den Funktionen des psychischen Lebens oder in somatisch bedingten Beeinträchtigungen desselben gesucht wird. Die zwingende Gewalt der Tatsächlichkeit läßt dann Vertreter der Verantwortlichkeit wie der Unverantwortlichkeit des Traumlebens in der Anerkennung einer besonderen psychischen Quelle für die Unmoralität der Träume zusammentreffen.
Alle die, welche die Sittlichkeit im Traume fortbestehen lassen, hüten sich doch davor, die volle Verantwortlichkeit für ihre Träume zu übernehmen. Haffner sagt (p. 24): »Wir sind für Träume nicht verantwortlich, weil unserem Denken und Wollen die Basis entrückt ist, auf welcher unser Leben allein Wahrheit und Wirklichkeit hat . . . Es kann eben darum kein Traumwollen und Traumhandeln Tugend oder Sünde sein.« Doch ist der Mensch für den sündhaften Traum verantwortlich, sofern er ihn indirekt verursacht. Es erwächst für ihn die Pflicht, wie im Wachen, so ganz besonders vor dem Schlafengehen seine Seele sittlich zu reinigen.
Viel tiefer reicht die Analyse dieses Gemenges von Ablehnung und von Anerkennung der Verantwortlichkeit für den sittlichen Inhalt der Träume bei Hildebrandt. Nachdem er ausgeführt, daß die dramatische Darstellungsweise des Traumes, die Zusammendrängung der kompliziertesten Überlegungsvorgänge in das kleinste Zeiträumchen und die auch von ihm zugestandene Entwertung und Vermengung der Vorstellungselemente im Traume gegen den unsittlichen Anschein der Träume in Abzug gebracht werden muß, gesteht er, daß es doch den ernstesten Bedenken unterliege, alle Verantwortung für Traumsünden und –schulden schlechthin zu leugnen.
(p. 49): »Wenn wir irgend eine ungerechte Anklage, namentlich eine solche, die sich auf unsere Absichten und Gesinnungen bezieht, recht entschieden zurückweisen wollen, so gebrauchen wir wohl die Redensart: Das sei uns nicht im Traume eingefallen. Damit sprechen wir allerdings einerseits aus, daß wir das Traumgebiet für das fernste und letzte halten, auf welchem wir für unsere Gedanken einzustehen hätten, weil dort diese Gedanken mit unserem wirklichen Wesen nur so lose und locker zusammenhängen, daß sie kaum noch als die unsrigen betrachtet werden dürfen; aber indem wir eben auch auf diesem Gebiete das Vorhandensein solcher Gedanken ausdrücklich zu leugnen uns veranlaßt fühlen, so geben wir doch indirekt damit zugleich zu, daß unsere Rechtfertigung nicht vollkommen sein würde, wenn sie nicht bis dort hinüber reichte. Und ich glaube, wir reden hier, wenn auch unbewußt, die Sprache der Wahrheit.«
(p. 52): »Es läßt sich nämlich keine Traumtat denken, deren erstes Motiv nicht irgendwie als Wunsch, Gelüste, Regung vorher durch die Seele des Wachenden gezogen wäre.« Von dieser ersten Regung müsse man sagen: Der Traum erfand es nicht, – er bildete es nur nach und spann‘s nur aus, er bearbeitete nur ein Quentlein historischen Stoffes, das er bei uns vorgefunden hatte, in dramatischer Form; er setzte das Wort des Apostels in Szene: Wer seinen Bruder haßt, der ist ein Totschläger. Und während man das ganze breit ausgeführte Gebilde des lasterhaften Traumes nach dem Erwachen, seiner sittlichen Stärke bewußt, belächeln kann, so will jener ursprüngliche Bildungsstoff sich doch keine lächerliche Seite abgewinnen lassen. Man fühlt sich für die Verirrungen des Träumenden verantwortlich, nicht für die ganze Summe, aber doch für einen gewissen Prozentsatz. »Kurz verstehen wir in diesem schwer anzufechtenden Sinne das Wort Christi: Aus dem Herzen kommen arge Gedanken, – dann können wir auch kaum der Überzeugung uns erwehren, daß jede im Traume begangene Sünde ein dunkles Minimum wenigstens von Schuld mit sich führe.«
In den Keimen und Andeutungen böser Regungen, die als Versuchungsgedanken tagsüber durch unsere Seelen ziehen, findet also Hildebrandt die Quelle für die Unmoralität der Träume, und er steht nicht an, diese unmoralischen Elemente bei der sittlichen Wertschätzung der Persönlichkeit einzurechnen. Es sind dieselben Gedanken und die nämliche Schätzung derselben, welche, wie wir wissen, die Frommen und Heiligen zu allen Zeiten klagen ließ, sie seien arge Sünder[22].
An dem allgemeinen Vorkommen dieser kontrastierenden Vorstellungen – bei den meisten Menschen und auch auf anderem als ethischem Gebiete – besteht wohl kein Zweifel. Die Beurteilung derselben ist gelegentlich eine minder ernsthafte gewesen. Bei Spitta findet sich folgende hieher gehörige Äußerung von A. Zeller (Artikel »Irre« in der allgemeinen Enzyklopädie der Wissenschaften von Ersch und Gruber) zitiert (p. 144): »So glücklich ist selten ein Geist organisiert, daß er zu allen Zeiten volle Macht besäße und nicht immer wieder nicht allein unwesentliche, sondern auch völlig fratzenhafte und widersinnige Vorstellungen den stetigen, klaren Gang seiner Gedanken unterbrächen, ja die größten Denker haben sich über dieses traumartige, neckende und peinliche Gesindel von Vorstellungen zu beklagen gehabt, da es ihre tiefsten Betrachtungen und ihre heiligste und ernsthafteste Gedankenarbeit stört.«
Ein helleres Licht fällt auf die psychologische Stellung dieser Kontrastgedanken aus einer weiteren Bemerkung von Hildebrandt, daß der Traum uns wohl bisweilen in Tiefen und Falten unseres Wesens blicken lasse, die uns im Zustand des Wachens meist verschlossen bleiben (p. 55). Dieselbe Erkenntnis verrät Kant an einer Stelle der Anthropologie, wenn er meint, der Traum sei wohl dazu da, um uns die verborgenen Anlagen zu entdecken und uns zu offenbaren, nicht was wir sind, sondern was wir hätten werden können, wenn wir eine andere Erziehung gehabt hätten; Radestock (p. 84) mit den Worten, daß der Traum uns oft nur offenbart, was wir uns nicht gestehen wollen, und daß wir ihn darum mit Unrecht einen Lügner und Betrüger schelten. J. E. Erdmann äußert: »Mir hat nie ein Traum offenbart, was von einem Menschen zu halten sei, allein was ich von ihm halte und wie ich hinsichtlich seiner gesinnt bin, das habe ich bereits einige Male aus einem Traume gelernt zu meiner eigenen großen Überraschung.« Und ähnlich meint J. H. Fichte: »Der Charakter unserer Träume bleibt ein weit treuerer Spiegel unserer Gesamtstimmung, als was wir davon durch die Selbstbeobachtung des Wachens erfahren.« Wir werden aufmerksam gemacht, daß das Auftauchen dieser unserem sittlichen Bewußtsein fremden Antriebe nur analog ist zu der uns bereits bekannten Verfügung des Traumes über anderes Vorstellungsmaterial, welches dem Wachen fehlt oder darin eine geringfügige Rolle spielt, durch Bemerkungen wie die von Benini: »Certe nostre inclinazioni che si credevano soffocate e spente da un pezzo, si ridestano; passioni vecchie e sepolte rivivono; cose e persone a cui non pensiamo mai, ci vengono dinanzi« (p. 149) und von Volkelt: »Auch Vorstellungen,
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Es ist nicht ohne Interesse zu erfahren, wie sich die heilige Inquisition zu unserem Problem gestellt. Im Tractatus de Officio sanctissimae Inquisitionis des Thomas Careña, Lyoner Ausgabe, 1659, ist folgende Stelle: »Spricht jemand im Traum Ketzereien aus, so sollen die Inquisitoren daraus Anlaß nehmen, seine Lebensführung zu untersuchen, denn im Schlafe pflegt das wiederzukommen, was unter Tags jemand beschäftigt hat.« (Dr. Ehniger, S. Urban, Schweiz.)