Hypnose und Achtsamkeit in der Psychoonkologie. Michael E. Harrer

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Hypnose und Achtsamkeit in der Psychoonkologie - Michael E. Harrer


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– insbesondere in der dramatischen Krisensituation, dem Anlass zur ersten Begegnung. Erst im Rückblick konnten bestimmte Entwicklungen erkannt, benannt und gemeinsam reflektiert werden.

      Die über viele Jahre gesammelten Erfahrungswerte sowie eine prinzipielle Zuversicht des Therapeuten (HE) im Hinblick auf die Fähigkeiten und Möglichkeiten von Menschen in extremen Belastungssituationen waren für beide Seiten hilfreich, auch wenn sie ein gutes Ergebnis keineswegs garantieren. Für Frau S. war die Weichenstellung wichtig, dass im Behandlungssystem einer Universitätsklinik endlich – nach Monaten – psychoonkologische Kompetenz hinzugeholt wurde. Vermutlich hätte Frau S. die ambulante Chemotherapie auch ohne psychotherapeutische Unterstützung »irgendwie« überstanden. Es bestand allerdings das Risiko einer schlechteren Prognose für den Fall, dass sie die Therapie nach dem ersten oder zweiten Zyklus wegen der – trotz entsprechender Medikation – unerträglichen Nebenwirkungen abgebrochen hätte.

      Die Beziehung des Psychoonkologen zum überweisenden verantwortlichen Onkologen war kollegial und anerkennend, insbesondere nachdem sich die Verträglichkeit der Chemotherapie auf beeindruckende Weise verbesserte. Die in diesem Fall gelungene und höchst wünschenswerte wechselseitige – die Patientin einschließende – positive Verstärkung und Unterstützung ist allerdings eher nicht die Regel.

      Jahre später besuchte Frau S. mich zu einem Nachgespräch, um das ich sie gebeten hatte. Dabei hob sie drei Punkte hervor, die für Sie damals besonders hilfreich waren: die erstaunliche Intensität der positiven Erfahrungen in Hypnose und Selbsthypnose, die Unterstützung beim Verstehen und Einschätzen der Bedeutung von Befunden und Aussagen der Ärzte und die Klärung wichtiger Themen und Konflikte bei ihrer Rückkehr in eine »neue Normalität«.

      Die Geschichte der Begleitung von Frau S. verdeutlicht einige für uns wesentliche Punkte:

      •Sie zeigt, dass eine psychoonkologische Begleitung die Durchführung von medizinischen Maßnahmen unterstützen oder gar erst ermöglichen kann. Sie gibt auch Einblicke, welche Rolle dabei ein hypnotherapeutisches Vorgehen in unterschiedlichen Settings spielen kann: im Rahmen einer Krisenintervention, in der Begleitung bei der Bewältigung der Krankheit und der Therapie, aber auch in einem psychotherapeutischen Setting im eigentlichen Sinne. Dabei ist vorauszusetzen, dass das Therapiekonzept dem aktuellen Stand des onkologischen Wissens entspricht, dass es erforderlich und sinnvoll ist und dass der Patient dem Vorgehen zustimmen kann.

      •Zum anderen veranschaulicht das Beispiel, wie mit einem hypnotherapeutischen Vorgehen ein den Patienten zunächst nicht bewusstes individuelles Potenzial erschlossen und therapeutisch wirksam wird. Indem die Betroffenen mit ihrem höchst subjektiven Erleben, ihren ureigenen Fähigkeiten, Möglichkeiten und Ressourcen mit einbezogen werden, wird jedes Behandlungskonzept wesentlich ergänzt und bereichert. Es öffnen sich Möglichkeitsräume, die dazu beitragen, aus einem objektiv angemessenen auch ein subjektiv zufriedenstellendes Gesamttherapiekonzept zu machen.

      •Persönliche Hindernisse und Schwierigkeiten von Betroffenen zu bekämpfen führt oft in Sackgassen bis hin zum Abbruch der Therapie. Werden diese Hürden stattdessen als Herausforderungen angenommen und ernst genommen, lassen sich in der Regel gemeinsam Möglichkeiten finden und individuelle Lösungswege entwickeln. Ein derartiges Vorgehen führt immer weiter, als wenn die Bedürfnisse der Betroffenen übergangen, ihnen etwas aufgezwungen wird oder ihre Erfahrungen nicht angemessen berücksichtigt werden. In der Onkologie werden wir immer wieder an Grenzen stoßen: an die individuellen Grenzen der Patienten, die Grenzen der Behandler, die Grenzen der Medizin und an jene existenziellen Grenzen, die das Leben setzt. Es lohnt sich immer, gemeinsam zu erkunden, wo genau diese verlaufen.

       3Arzt, Patient und Krankheit – eine Dreiecksbeziehung

      Der Titel des Klassikers von Michael Balint (1957/2019), Der Arzt, sein Patient und die Krankheit, beschreibt die in der Krankenbehandlung entstehende Dreiecksbeziehung. In der Onkologie wird die Behandlung heutzutage allerdings nicht mehr von einem einzelnen Arzt geleistet, sondern von einem multiprofessionellen Team von Behandlern, das sich im Idealfall gut vernetzt. Jeder Patient ist einzigartig und nur vor dem Hintergrund seiner Lebensgeschichte und seiner aktuellen soziokulturellen Einbettung zu verstehen. Meist hat auch er ein »Team« von Angehörigen, Bekannten, Selbsthilfegruppen, komplementären Mitbehandlern etc. um sich.

       3.1Krebs: Fakten, Mythen und Metaphern

      Unter Krebs wird eine Vielfalt höchst unterschiedlicher onkologischer Erkrankungen verstanden. So ist auch jeder Krebs auf seine Weise einzigartig – in seinen genetischen Charakteristika und Biomarkern, in seiner Lokalisation, seiner Wachstumsgeschwindigkeit und Ausbreitung sowie in seinem Ansprechen auf die zur Verfügung stehenden Therapiemöglichkeiten.

      Wenn Menschen an Krebs erkranken, sind sie kein unbeschriebenes Blatt. Sie verfügen über ein mehr oder weniger bewusstes, oft schwer in Worte fassbaresVorwissen über die Erkrankung, das sich aus unterschiedlichsten Quellen speist. Meist mischen sich Fakten mit Mythen und Metaphorischem, mit individuellen Erfahrungen und Erzählungen aus der Familie und dem Freundeskreis sowie mit Informationen aus digitalen Medien. Die so entstandenen Annahmen prägen die ersten Bedeutungsgebungen und Erwartungen, die Patienten mit ihrer Krebsdiagnose verknüpfen.

      Krebs ist sehr häufig. In Deutschland erkranken jährlich etwa 500.000 Personen neu an Krebs, bei über 230.000 Menschen war die Erkrankung im Jahr 2018 die Todesursache. Da mit zunehmender Lebenserwartung Krebserkrankungen immer häufiger werden und Krebs dank verbesserter und neuer Therapieoptionen immer mehr zu einer chronischen Erkrankung wird, ist mit einer Zunahme von Krebserkrankungen zu rechnen – trotz aller Bemühungen um Prävention und Früherkennung.

      Im Gegensatz zu gesunden Zellen vermehren Krebszellen sich ungezügelt. Unter Laborbedingungen können sie nach der Entnahme den an Krebs Erkrankten um Jahrzehnte überleben. Diese unkontrollierte Vitalität kann das Leben bedrohen (Mukherjee 2012). Krebszellen können umgebendes gesundes Gewebe infiltrieren und zerstören, Organgrenzen durchbrechen und Metastasen bilden.

      Trotz aller Möglichkeiten der modernen Medizin zur wirksamen Behandlung kann jede Krebsdiagnose als existenzielle Bedrohung erlebt werden – unabhängig von der medizinischen Prognose, der Malignität der Krebszellen und der Dynamik ihrer Ausbreitung im Organismus. Wenn sich die unvermeidliche Tatsache unserer Sterblichkeit nicht mehr beiseiteschieben lässt, sind wir mit der Endlichkeit der menschlichen Existenz konfrontiert. Es sind die eigenen Zellen, die durch unkontrolliertes Wachstum und ungebremste Verbreitung »bösartig« werden und letztlich das Leben kosten können. Oft ruhen Krebszellen über Jahre oder Jahrzehnte und bleiben im Verborgenen, bis sie sich in körperlichen Symptomen äußern. Oder – was oft noch mehr verunsichert – sie werden durch Zufall oder bei einer Vorsorgeuntersuchung entdeckt. Die mit Krebs verknüpften Vorstellungen sind oft geprägt von Assoziationen hilflosen Ausgeliefertseins, von Schmerzen und Leiden durch die Erkrankung selbst oder durch belastende Therapien.

      Der Wunsch, das Unberechenbare und »Böse«, das im eigenen Körper wächst, zu kontrollieren, nährt die Suche nach dessen Ursachen. Die Neigung oder Prädisposition, an Krebs zu erkranken, kann in den Genen vererbt werden, oder ein bestimmter Lebensstil kann die Krebsentstehung begünstigen. Nicht selten fühlen sich Menschen durch eine Krebserkrankung für ein Risikoverhalten und ihre ungesunde Lebensführung bestraft. Schuld- und Schamgefühle werden oft auch von ärztlicher Seite geschürt, sei es durch den Hinweis auf Risikoverhalten wie übermäßige UV-Licht-Exposition bei Hautkrebs, Rauchen bei Lungenkrebs, Alkoholabusus, ungesunde Ernährung und Übergewicht, Bewegungsmangel oder wechselnde Sexualpartner, versäumte Früherkennung oder durch zu späte Inanspruchnahme diagnostischer Maßnahmen.

      Bei Krebserkrankungen leben Teile des Organismus auf Kosten des Ganzen und können dessen Untergang herbeiführen. Dieses Charakteristikum führt in nichtmedizinischen Kontexten zur metaphorischen Verwendung des Begriffs »Krebsgeschwür« als Inbegriff des Schädlichen und Bösartigen.

      So trägt vieles dazu bei, dass es keineswegs


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