Taxi nach Paris. Ruth Gogoll
Читать онлайн книгу.widersprechen. Er hatte einfach recht. Und ehrlich gesagt war das wahrscheinlich der einzige Grund, warum wir überhaupt zusammengekommen waren. Es hatte mich gereizt, ihr kühles An-mir-vorbei-Blicken, ihre Gleichgültigkeit, gespielt oder echt. Mittlerweile sollte ich vielleicht doch erkennen, dass es echt gewesen war. Ich hätte gern etwas anderes vermutet.
»Gut, aber bevorzugst du einen bestimmten Tag?« Meine Stimme klang ganz sicher etwas sarkastisch. Ich hatte keine Lust, jeden Tag bei ihr anzurufen und erst nach der ganzen Woche Erfolg zu haben. So weit ging mein Masochismus denn doch nicht.
Sie lachte – tatsächlich, sie lachte! »Du bist sauer«, bemerkte sie.
»Wundert dich das?« Jetzt war ich wirklich eingeschnappt. Sie hatte mich ausgelacht! So etwas vertrug ich überhaupt nicht. Und im Übrigen wurden meine Einladungen zum Essen im Allgemeinen mit mehr Begeisterung aufgenommen. Ich müffelte vor mich hin.
Und sie ging nicht darauf ein! »Ich bin vor Mittwoch nicht zu erreichen, wenn dir das hilft.«
»Oh ja, das hilft mir sehr. Vielen Dank!« Ich knallte wütend den Hörer auf die Gabel. Wofür hielt sie mich eigentlich? Wahrscheinlich für genau das, was ich war: eine Hündin, die an ihrer Tür kratzte. Ich war mir selbst peinlich, aber ich konnte noch nicht aufgeben. Immerhin hatte sie nicht Nein gesagt.
Ich überhäufte mich selbst mit Arbeit und versuchte, nicht ständig an sie zu denken. Das Projekt hatte schon lange nicht mehr so schnelle Fortschritte gemacht.
Mit dem Nicht-an-sie-Denken hatte ich weniger Erfolg. Jede freie Minute war mit Gedanken an sie gefüllt. Mitten im Bearbeiten eines Formulars, mit dem ich eine Erweiterung des Projektbudgets um eine halbe Million beantragen wollte, sah ich sie in ihrem Morgenmantel vor mir, wie sie mir zulächelte.
Ich wollte sie ausziehen, um mich an ihr zu rächen, aber es ging nicht. Ich konnte sie mir einfach nicht nackt vorstellen. Ich wusste schon, warum. Ihren Körper hatte sie mir bereitwillig zur Verfügung gestellt. Dort verhüllte sie nichts. Von ihrer Seele hatte ich jedoch bisher nur ein winziges Stück erhascht, als sie nicht aufpasste. Das, was mich interessierte, war der Rest, der zu diesem kleinen Stück gehörte. Der war allerdings sehr verhüllt. Und sie würde ihn kaum freiwillig preisgeben.
Im Laufe der Woche kam ich zu dem Entschluss, es nur noch ein letztes Mal zu versuchen. Ich konnte mich doch nicht lächerlich machen! Ob ich diesen Entschluss würde einhalten können, wusste ich nicht. Sie beherrschte meine Gedanken vollkommen.
Das Schlimmste daran war, dass ich mir vorstellte, sie würde sicher keinen einzigen Gedanken an mich verschwenden. Wahrscheinlich amüsierte sie sich mit irgendeiner Frau, die ihr mehr zu bieten hatte als ich.
Die Tage schlichen dahin wie Szenen in einem schlechten Film. Mir fiel unsere erste Begegnung wieder ein, in einem Frauencafé namens Bella Donna. Wie merkwürdig bezeichnend. Genau das war sie: eine schöne Frau und – wie es mir jetzt vorkam – ein schleichendes, tödliches Gift.
Und wie hatte sie mich gereizt! Sie war hereingekommen, eine majestätische Erscheinung, schien alle und niemand zu kennen. Sie hätte genauso gut das erste wie das tausendste Mal da sein können. Ich konnte nicht feststellen, ob die Frauen, mit denen sie sprach, sie angesprochen hatten, weil sie sie ebenso faszinierend fanden wie ich oder weil sie sie schon kannten. Sie behandelte jede mit der gleichen unverbindlichen Nonchalance und setzte sich zu keiner an den Tisch. Sie saß allein, und die anderen kamen zu ihr, wirklich wie eine Königin, die Hof hielt.
Ich beobachtete sie von Weitem, und nach einiger Zeit beschloss ich, ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Aber sie beachtete mich einfach nicht. Und das reizte mich noch mehr. Vielleicht war es auch meine etwas frustrierte Stimmung, die mich dazu trieb, mir unbedingt ein Erfolgserlebnis verschaffen zu wollen. Sie schien höchst desinteressiert.
Wie es dann wirklich passierte, konnte ich später nicht mehr nachvollziehen. Ich fand mich einfach plötzlich in einer Situation wieder, in die hineingeraten zu sein ich mich nicht erinnern konnte.
Und das war nun das Ergebnis!
Beim besten Willen konnte ich nicht den ganzen Tag nur an sie denken. Ich musste manchmal auch noch etwas anderes tun, ein bisschen arbeiten zum Beispiel. Diese erzwungene Ablenkung war mein Glück. Sonst wäre die Zeit wohl nie herumgegangen. Und tatsächlich: Nach einem öden und in selbstgewählter Einsamkeit verbrachten Wochenende – warum tat ich mir das an? – wurde es langsam Mittwoch. Nein, nein, nein! verbot ich mir den ganzen Vormittag, sie anzurufen. Wer wusste, was mich erwartete?
Ich dachte darüber nach, dass sie am Vormittag wahrscheinlich am ehesten ›ausgebucht‹ war. Die einen gingen zum Friseur, die anderen zum Einkaufen . . .
Ich fragte mich, was die Frauen dabei empfanden: sie so zwischen Metzger und Gemüsefrau einzuschieben? Hatte das etwas Frivoles für sie oder einen besonderen Reiz? Oder war es nur das, was sie ohnehin immer taten: sich die Zeit vertreiben? Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr wurde mir bewusst, dass das nicht meine Welt war. Und ich hatte mich in sie verliebt!
Ha, ha, ha! Du machst dich lächerlich, du machst dich lächerlich! Wie beim Seilspringen früher in der Schule, wenn das Seil sirrend durch die Luft schnitt, bevor es klatschend den Boden berührte, drehte sich der Singsang in meinem Kopf. Wütender Trotz stieg in mir hoch. War ich nicht Herrin meiner selbst? Konnte ich etwa nicht selbst entscheiden, was gut für mich war und was nicht?
Ist das hier gut für dich? Nein, wahrscheinlich nicht. Warum tust du es dann? Eben.
So war es. Ich musste mich damit abfinden. Ich sehnte mich nach ihr, und ich wollte beileibe nicht nur mit ihr essen gehen. Ich machte mir etwas vor.
Besondere Frauen erfordern besondere Mittel. – Du Idiot!
Also rief ich sie am Nachmittag an. Es war fast wie beim ersten Mal. Sie meldete sich ruhig und ohne Namen.
Eine belanglose Begrüßungsfloskel fiel mir nicht ein, also fragte ich, direkt, nachdem ich meinen Namen genannt hatte, »Hast du dir meinen Vorschlag überlegt?«
»Welchen Vorschlag?«, fragte sie zurück.
Das hätte ich mir denken können! Eine Woche war ja auch so entsetzlich lang. Wie konnte ich da erwarten, dass sie sich noch an meine Einladung erinnerte? Sie war sicher mit ganz anderen angenehmen Dingen beschäftigt gewesen! Ich fürchtete, etwas zu sagen, weil meine Wut dann deutlich hörbar gewesen wäre.
»Bist du noch da?«, fragte sie nach einer Weile.
»Ja«, sagte ich, mühsam beherrscht, aber ich hoffte, das war durchs Telefon nicht unbedingt zu spüren. »Ich hatte dich gefragt, ob du mit mir essen gehst.«
»Ach ja«, sagte sie, so, als ob sie sich vage erinnern könnte. »Ich habe darüber nachgedacht.« Das war ein Kunststück! Sie hatte es vergessen und trotzdem darüber nachgedacht. Das sollte ihr mal jemand nachmachen!
»Und?« Bissig war gar kein Ausdruck für den Tonfall, der jetzt bei ihr ankommen musste. »Zu welchem Ergebnis bist du gekommen?« Ich wusste wirklich nicht, wie lange ich mich noch beherrschen konnte. Aber sie würde ohnehin ablehnen, dessen war ich mir sicher. Und diese Aussicht beruhigte mich. Ein kurzes, schmerzloses – na ja, schmerzloses . . . – Ende konnte mir schließlich nur guttun.
»Ich weiß es noch nicht genau«, antwortete sie ruhig.
»Du hattest eine Woche Zeit, es dir zu überlegen!« Der Ausruf entschlüpfte mir mehr verblüfft als gekränkt. Aber natürlich: Sie hatte nicht eine Woche Zeit gehabt, sondern sie war gerade erst durch meinen Anruf wieder darauf gestoßen worden.
Warum löste sie gleichzeitig so viel Wut und Begehren in mir aus? Wenn sie jetzt vor mir gestanden hätte, wäre ich nicht gegangen wie das letzte Mal, das war mir klar, bezahlen hin oder her. Doch was ich von ihr wollte, hätte ich dennoch nicht bekommen. Aber wenigstens guten Sex. Halt den Rand, das weiß ich selbst!
»Eine Woche ist kurz«, bemerkte sie weniger entschuldigend als feststellend.
Oh ja! Ich war überzeugt, dass es ihr im Gegensatz zu mir so vorgekommen war. Bei einer kurzweiligen