The New Jim Crow. Michelle Alexander

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The New Jim Crow - Michelle Alexander


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im Norden und Süden nahmen den New Deal ebenso positiv auf wie die Afroamerikaner. So entwickelte sich die Koalition des demokratischen New Deal zu einer Allianz urbaner ethnischer Gruppen mit dem weißen Süden, die in den Wahlen zwischen 1932 und 1960 eine beherrschende Rolle spielte.

      Dies fand ein jähes Ende mit der Entwicklung der sogenannten »Southern Strategy«. Die große Wirkung der rhetorischen Floskel von Recht und Ordnung bei der weißen Arbeiterklasse und die besonders im Süden anhaltend massiven Vorbehalte gegenüber einer Reform der Rassenbeziehungen ließ bei den Parteistrategen der Republikaner die Idee reifen, ihrer Partei zu einer »New Majority«, einer neuen Mehrheit, zu verhelfen – mit der traditionellen Basis der Republikaner, dem weißen Süden und der Hälfte der katholischen Arbeiterschaft in den großen Städten.50 Einige von ihnen gaben offen zu, ein wesentlicher Bestandteil dieser Strategie bestehe darin, an die Ängste und die Feindseligkeit der Weißen gegen die Schwarzen zu appellieren, freilich nur verdeckt. H. R. Haldeman, einer der engsten Berater Nixons, erinnert sich, dass sein Chef selbst ganz bewusst eine rassistische Linie im Sinne der Southern Strategy verfolgte: »Er [Präsident Nixon] betonte die Notwendigkeit, sich der Tatsache zu stellen, dass die Schwarzen das große Problem seien. Es kommt nur darauf an, ein System zu finden, das dies anerkennt, ohne dass es offensichtlich wird.«51 Ähnlich erklärte John Ehrlichman, Sonderberater des Präsidenten, Nixons Wahlstrategie von 1968 mit den Worten: »Wir holen uns die Rassisten.«52 Laut Ehrlichman war »dieser unterschwellige Appell an die schwarzenfeindlichen Wähler in Nixons Verlautbarungen und Reden ständig präsent«.53

      Kevin Phillips, Wahlkampfstratege der Republikaner, gilt als einer der Erfinder dieser Strategie. In The Emerging Republican Majority, erschienen 1969, legte er dar, dass Nixons erfolgreicher Präsidentschaftswahlkampf den Weg zu einer langfristigen politischen Neuausrichtung und zur Bildung einer neuen republikanischen Mehrheit weisen könne, wenn die Republikaner ihren Wahlkampf weiterhin in erster Linie mit Rassenthemen unter Verwendung einer verschleierten schwarzenfeindlichen Rhetorik führten.54 Die weiße Wählerschaft der Demokraten im Süden habe sich durch deren Engagement für Bürgerrechtsreformen von ihrer Partei entfremdet und könne leicht für die Republikaner gewonnen werden, wenn sie sich dort mit ihren Rassenressentiments aufgehoben fühle. Warren Weaver, der das Buch für die New York Times rezensierte, wies darauf hin, dass der Erfolg von Phillips’ Strategie vor allem davon abhinge, ob es den Republikanern gelänge, die Politik mit dem Thema Rasse zu polarisieren. »Totale rassische Polarisierung ist ein wesentlicher Bestandteil von Phillips’ politischem Pragmatismus. Er wünscht sich eine schwarze demokratische Partei, besonders im Süden, weil das der Republikanischen Partei genau jene schwarzenfeindlichen Wähler in die Arme treibt, die ihr helfen können, eine neue Mehrheit zu gewinnen. Zu diesem Zweck unterstützt er sogar gewisse Bestrebungen der Bürgerrechtsbewegung.«55 Ende des 19. Jahrhunderts hatte man die Populistische Partei aus dem Feld geschlagen, indem man den Rassismus und die Sorgen und Nöte der weißen Arbeiterklasse aufgriff, und jetzt war eine wachsende Zahl von Konservativen dafür, genau dies zu wiederholen, nur etwas versteckter.

      So bildeten sich Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre zwei Denkrichtungen über Rasse, Armut und Gesellschaftsordnung aus. Konservative argumentierten, dass die Gründe für Armut nicht in strukturellen Faktoren, die mit Klasse oder Hautfarbe zu tun hatten, liegen, sondern mehr mit der Kultur zu tun hätten – insbesondere der schwarzen Kultur. Diese Sicht der Dinge wurde vom mittlerweile berühmt-berüchtigtem Moynihan Report über die schwarze Familie unterstützt, in dem die schwarze Armut einer mit vielen Problemen behafteten schwarzen »Subkultur« zugeschrieben wurde. Die Soziologin Katherine Beckett meint dazu: »Das (angebliche) Fehlverhalten der Armen wurde nicht mehr als Anpassungsleistung an die Bedingungen der Armut angesehen, die sie im Ergebnis unglücklicherweise reproduzierte, sondern als Charaktermangel, der die Armut überhaupt erst verursachte.«56 Die Gründe für die »Sozialpathologie« der Armen, insbesondere Straßenkriminalität, Drogenkonsum und Kleinkriminalität, wurden von den Konservativen nun vor allem in zu großzügigen Hilfsprogrammen gesehen. Schwarzer »Sozialbetrug« und seine gefährlichen Folgen wurden erstmals Thema im politischen Diskurs und in den Medien.

      Liberale hingegen hielten daran fest, dass Reformen wie der Krieg gegen die Armut und die Bürgerrechtsgesetze die Ursachen der Kriminalität an den Wurzeln packen würden, und verwiesen auf die gesellschaftlichen Bedingungen, die zwangsläufig Kriminalität förderten. So stellte Lyndon Johnson beispielsweise 1964 im Präsidentschaftswahlkampf gegen Barry Goldwater Programme gegen die Armut letztlich als Programme gegen Kriminalität dar: »Es ist grundverkehrt, wenn ein Kandidat für das höchste Amt die Gewalt auf den Straßen beklagt, aber gegen den Krieg gegen die Armut, gegen den Civil Rights Act und gegen wichtige Bildungsreformen stimmt, die ihm als Abgeordnetem vorgelegt werden.«57

      In den Debatten wurde das Bild »unverschuldeter« gegen das »selbst verschuldeter« Armut gesetzt. Mit rassischen Untertönen versehen wurde dieses Bild zu einem entscheidenden Argument der Konservativen. Es diente ihnen dazu, ihre Ideen von Recht und Ordnung mit den Ressentiments in der weißen Arbeiterschaft zu verknüpfen, von denen sich viele durch den Aufstieg der Afroamerikaner bedroht fühlten. Wie Thomas und Mary Edsall in ihrem aufschlussreichen Buch Chain Reaction darlegen, trugen die Unterschicht und die untere Mittelschicht der Weißen einen überproportional großen Teil der Kosten der Integration und der Rassengleichheit, da sie auf einmal mit den Schwarzen unter denselben Bedingungen um Arbeitsstellen und Status konkurrieren mussten und in Vierteln wohnten, die an die Gettos der Schwarzen grenzten.

      Ihre Kinder – und nicht die Kinder der Wohlhabenden – besuchten die Schulen, die am ehesten vom »Busing«, der staatlich angeordneten Integration durch Schülertransporte, betroffen waren. Die wohlhabenden weißen Liberalen, die sich für die Forderungen von Schwarzen und anderen Minderheiten starkmachten, »waren in ihrem Privatleben großenteils abgesichert und meist nicht betroffen von den Kosten, die die Umsetzung der Forderungen von Minderheiten mit sich brachte«.58 So konnten die Konservativen vom »liberalen demokratischen Establishment« reden, dem sie vorwarfen, den Kontakt zu den arbeitenden Menschen verloren zu haben – was eines der zentralen Probleme löste, mit denen sich die Konservativen konfrontiert sahen: Wie die Armen und die Arbeiterklasse davon überzeugen, dass die Interessen der Konzerne und der konservativen Elite auch die ihren waren? Im Jahr 1968 stimmten laut einer Gallup-Umfrage 81 Prozent der Einschätzung zu, »Recht und Ordnung haben in den USA keine Geltung mehr«, und die Mehrheit machte dafür »aufrührerische Neger« und »Kommunisten« verantwortlich.59

      In der Präsidentschaftswahl jenes Jahres machten sowohl der Kandidat der Republikanischen Partei, Richard Nixon, als auch George Wallace, der für Rassentrennung eintrat und als Unabhängiger kandidierte, »Recht und Ordnung« zum zentralen Thema ihres Wahlkampfs. Damit erhielten sie zusammengenommen 57 Prozent der Stimmen.60 Nixon widmete 17 Reden ausschließlich dem Thema Recht und Ordnung, und in einem Wahlkampfspot forderte er die Wähler explizit auf, der Gesetzlosigkeit der Bürgerrechtsaktivisten eine Absage zu erteilen und für die »Ordnung« in den Vereinigten Staaten zu stimmen.61 Der Spot zeigte in rascher Bilderfolge und dramatischer Musikuntermalung Demonstranten, blutüberströmte Opfer und Krawalle. Eine tiefe Stimme sprach dazu den Kommentar:

      Es ist Zeit für einen ehrlichen Blick auf das Problem der Ordnung in den Vereinigten Staaten. Meinungsverschiedenheiten gehören notwendig zu jedem Wandel, aber in einem Regierungssystem, das friedlichen Wandel ermöglicht, ist Gewalt durch nichts zu rechtfertigen. Bedenken wir, dass das wichtigste Recht eines jeden Amerikaners ist, im eigenen Land keine Gewalt fürchten zu müssen. Ich versichere Ihnen, für Ordnung in den Vereinigten Staaten zu sorgen.

      Am Ende des Wahlspots wurde der Text eingeblendet: »Wählen Sie diesmal … als würde Ihre ganze Welt davon abhängen … NIXON.« Nixon soll die Vorführung des Spots mit den Worten kommentiert haben: »Das sitzt. Das haben diese verdammten Neger und Puerto Ricaner da draußen davon.«62

      Rasse war wieder zu einem starken Keil geworden, getrieben in die solide liberale Koalition, die sich aus den ökonomischen Interessen der Armen und Arbeitenden und der unteren Mittelschicht gebildet hatte. In der Präsidentschaftswahl von 1968 wurden Rassenfragen wichtiger als Klassenzugehörigkeit,


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