Der Himmel Von Nadira. Giovanni Mongiovì

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Der Himmel Von Nadira - Giovanni Mongiovì


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so hast du geglaubt, dass du mich beleidigen und damit davon kommen kannst…“, sagte Umar.

      Aber der andere antwortete nicht; nicht, weil er die arabische Sprache nicht verstand, sondern weil jedes Wort vergebens gewesen wäre.

      „Es lohnt sich nicht unsere Zeit zu verschwenden.“ ergänzte der Schuldeintreiber.

      Dann nickte er mit dem Kopf in die Richtung von einem der beiden, die ihn gefesselt zurückgebracht hatten. Dieser riss dem Gefangenen die Tunika vom Leib und peitschte ihn daraufhin mit einem nassen Seil.

      Die Dorfbewohner waren alle da, und doch hatte niemand den Mut, einen Fuß über die Abgrenzung des Hofes zu setzen. Das Stöhnen, das aus der Kehle dieses Mannes kam, machte nicht mehr Eindruck als die blutroten Striemen, die sich auf seinem Rücken bildeten.

      Sie bestätigten sich untereinander, dass so etwas im Rabad noch nie geschehen war. Die Angehörigen des jungen Mannes versteckten sich indessen in der Menge und waren auf ihr eigenes Leben bedacht, klug genug, nichts zu sagen. Die einzigen abwesenden waren die aus dem Hause des Schuldeintreibers, die Mutter, die Frau und die Schwester, die es vorzogen, sich nicht in die Angelegenheiten des Familienoberhaupts einzumischen.

      Als dann der Folterknecht seinen Dienst beendet hatte und den jungen Mann, der an den Mast gebunden war, zurückließ, kehrte die Menge zu seinen Aufgaben zurück. Sie ließen ihn dort, der Kälte des Abends und dem Nachtfrost ausgeliefert.

      Erst gegen Mitternacht hatte jemand Mitleid und die Erlaubnis, ihm eine Decke zu bringen. Die Männer von Umar ließen es zu, da sie verstanden, dass es zu viel für jeden gewesen wäre, die Nacht im tiefsten Winter im Freien zwischen den Bergen von Qasr Yanna verbringen zu müssen.

      Viele sahen den jungen Mann zittern und hüpfen, um sich über einen großen Teil der Nacht in Bewegung zu halten. Dann am Morgen, als sie den Markt um den Hof herum aufbauten, sahen sie ihn schlafend an den Handgelenken hängen; er sah aus wie ein Sack, der an einen Baumstamm gebunden war. Einige glaubten auch, dass er gar tot war, und wollten ihm eine Ohrfeige geben, um sicher zu gehen.

      Es wurde wieder Nachmittag; jetzt hatte der Verurteilte seit einem ganzen Tag nichts gegessen und getrunken. Eine Herde kahler Ziegen hielt sich im Hof auf, blökte und kaute an Grashalmen. Dieser Gesang der Weidetiere und die Furcht, dass sie ihm seine Knie brechen und seine Handgelenke abreißen würden, ließen den Mann, der an dem Pfahl gefesselt war, wieder erwachen…. Dann, an einem bestimmten Punkt, als er eine Art Präsenz spürte, öffnete er die Augen; tatsächlich beobachtete ihn jemand schon seit einer ganzen Weile. Drei Schritte entfernt starrte ihn ein Mädchen mit weit geöffneten Augen an. Wunderschöne, wunderbar geformte Augen, die von den meisten Menschen nie gesehen wurden, die aber der Verurteilte und alle anderen im Rabad kannten. Türkisblaue Augen, so intensiv, dass man sich in ihnen verlieren und nie wieder finden konnte. Eine merkwürdige Farbe, die die Iris in einem dunklen Blau wie in den Tiefen des Meeres nach außen verwischte. Augen, die dazu führen können, den Verstand zu verlieren und die Herzen zu verdammen.

      Das Mädchen trug ein schönes, grünes Kleid mit gelben und blauen Verzierungen, das typisch für die Menschen aus Nordafrika war. Um ihr Angesicht zu verbergen, hielt sie den Saum ihres Schleiers fest. Der physische Aspekt mit exotischem Charakter, der sich so sehr von dem der Eingeborenen der Insel unterschied, war die Grundlage für den unermesslichen Ausdruck ihrer Augen, die völlig unverwechselbar hervorstachen. Eine rebellische Locke entkam dem Zwang des roten Schleiers, und enthüllte somit den braunen Farbton des Haares.

      Als der Gefangene sie sah, senkte er wieder seinen Blick, schaute sie jedoch kurz danach wieder an und sprach langsam:

      „Kennst du, oh mein Herr, den Himmel von Nadira, die Grenzen ihrer Augen?”

      Sie sah ihn verloren an und fragte:

      „Woher kennst du diese Worte?“

      „Seit dem Besuch der Qā’id haben sich die Verse dieses Gedichts über das ganze Dorf und darüber hinaus verbreitet.“

      Dann flehte er sie mit besorgtem Blick an:

      „Befreie mich, Nadira, meine Herrin, ich bitte dich!

      Aber sie schien unbeeindruckt, verloren in dieser Bitte, die sie nicht erfüllen konnte.

      „Ich kenne die Grenzen deiner Augen nicht, Nadira…, aber ich kann dir die Ursprünge erklären, wenn du es wünschst… gib mir doch wenigstens ein bisschen Wasser…“

      Daraufhin ging Nadira ohne sich umzudrehen und ohne dieser Bitte Gehör zu schenken in das Haus zurück; das Klimpern Ihrer Fußkettchen hallte über den ganzen Hof, während sie, wegen der zu leichten und für das Freie ungeeigneten Kleidung, frierend zum Eingang lief.

      Das Wasser erreichte den Verurteilten nie, aber als Nadira das Haus betrat und Umar, ihren Bruder, sah, wie er Geld auf einem Tisch zählte, fragte sie ihn:

      „Was hat der Christ getan, dass du ihm solch eine Behandlung zukommen lässt?“

      Jetzt bedeckte sie nicht mehr das Gesicht und man konnte sehen, wie ihre vollen Lippen und ihre perfekte Nase ihre Augen harmonisch unterstrichen.

      „Wer?“

      „Der Mann, der dort draußen am Pfahl gefesselt ist.“

      „Seine Familie hat sich geweigert, die Jizya5 zu bezahlen.“

      Umar zählte sein Geld am Tisch weiter und glaubte, dass er sie mit einem einzigen Satz liquidiert habe.

      „Er wird erfrieren! Er ist jetzt schon seit zwei Tagen an diesen Pfahl gefesselt.“

      „Seit wann liegt dir das Schicksal der Ungläubigen am Herzen?“

      „Heute Morgen habe ich seine Kinder gesehen, wie sie um den Mann herumspielten. Du hättest sehen müssen, wie ihn die Kleine ansah!»

      „Ich werde ihn befreien, beruhige dich… aber eine weitere Nacht im Freien wird ihm nicht schaden.“

      „Komm schon, Umar, heute Nacht könnte es noch kälter werden.“

      „Sie werden ihm eine weitere Decke bringen. Hast du nicht gesehen, dass ich nicht verhindert habe, dass seine Schwester ihm Hilfe gewährte?“

      „Umar der Großmütige! Sie fragte sarkastisch: „Wie denkst du über diesen Namen?“

      Woraufhin er stöhnte und mit einer Geste einem Stapel Silberdirham6, die er mit Steuern und Handel verdient hatte, einen Schlag mit dem Arm gab.

      Mit wütender Stimme fragte er: „Sollte ich mich von diesen Leuten beleidigen lassen?“

      „Du hast gesagt, dass sie sich geweigert haben zu zahlen; weißt du, ob sie es vielleicht nicht konnten? Diese Familie ist die ärmste im ganzen Rabad. Ich erinnere mich daran, wie unser Vater oft auf eine Abgabe oder einen Tribut verzichtete, um die armen Menschen nicht zu unterdrücken.“

      „Die Dhimmi7 haben immer bezahlt, auch bei unserem Vater.“

      „Besser so! Wenn die Beschützten immer bezahlt haben, was bedeutet dann ein einziges Mal?»

      „Dieser Corrado, dieser rothaarige….. Ohne die Abgabe zum Schutz der Ungläubigen mit sich zu bringen, trat sein Vater hervor, sah mich herausfordernd an und sagte zu mir:

      „Wir arbeiten seit zwanzig Jahren für Ihre Familie… Wenn die Jizya fällig wird, werden wir sie dir bezahlen, ansonsten begnüge dich mit der einfachen Tatsache, dass wir für dich arbeiten.“

      Dann ging er zu seinen Gemüsegärten, als ob nichts gewesen wäre. Wie hätte ich ihn behandeln sollen?»

      „Aber das, nachdem du seinem Vater auf die Wange geschlagen hast!“ mischte sich Jala, ihre Mutter, ein, nachdem sie die Geräusche aus dem anderen Raum gehört hatte und sich sorgte, dass die Diskussion zwischen Bruder und Schwester ausarten könnte.

      Nadira sah Jala sehr ähnlich, mit Ausnahme der unüblichen azurblauen Augen und der Haut mit einem klareren Farbton. Darüber hinaus war Nadira viel größer als Jala, die gerne mit


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