Der Defizit-Mythos. Stephanie Kelton

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Der Defizit-Mythos - Stephanie Kelton


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fragte Mosler die Kinder. „Ich habe euch doch gesagt, dass ich euch mit meinen Visitenkarten bezahle, wenn ihr im Haushalt helft.“ „Pa-paaa“, kam von den Kindern zurück. „Warum sollen wir denn für deine Visitenkarten arbeiten? Die sind doch nichts wert!“

      Da hatte Mosler seine Erleuchtung. Die Kinder hatten keine Hausarbeit getan, weil sie seine Karten nicht brauchten. Also sagte er den Kindern, sie bräuchten überhaupt nichts zu tun. Er wollte lediglich, dass sie ihm jeden Monat dreißig seiner Visitenkarten zahlten. Wenn sie nicht zahlten, hätte das den Verlust von Privilegien zur Folge. Kein Fernsehen mehr, kein Bad im Swimmingpool oder Fahrten zum Einkaufszentrum. Es war ein Geniestreich. Mosler hatte eine „Steuer“ eingeführt, die nur mit seinem monogrammierten Papier bezahlt werden konnte. Jetzt waren die Karten etwas wert.

      Innerhalb von Stunden wuselten die Kinder umher und brachten ihre Zimmer, die Küche und den Garten in Ordnung. Was zuvor eine wertlose rechteckige Visitenkarte gewesen war, wurde nun zum wertvollen Zahlungsmittel. Doch warum? Wie brachte Mosler die Kinder dazu, all diese Arbeiten zu verrichten, ohne sie dazu zu zwingen? Ganz einfach. Er brachte sie in eine Lage, in der sie seine „Währung“ verdienen mussten, um keinen Ärger zu bekommen. Jedes Mal, wenn die Kinder eine Aufgabe erledigten, erhielten sie dafür eine Quittung (eine Anzahl Visitenkarten) von ihrem Vater. Am Ende des Monats gaben die Kinder die Visitenkarten an ihren Vater zurück. Wie Mosler erklärte, brauchte er seine eigenen Visitenkarten eigentlich nicht wieder von seinen Kindern einzusammeln. „Was sollte ich denn mit meinen eigenen Karten?“, fragte er. Er hatte bereits bekommen, was er wollte – ein aufgeräumtes Haus! Warum machte er sich also die Mühe, die Karten von den Kindern zurückzunehmen? Warum überließ er sie ihnen nicht als Andenken? Der Grund dafür war einfach: Mosler sammelte die Karten ein, damit die Kinder sie im nächsten Monat wieder verdienen mussten. Er hatte ein wirksames Versorgungssystem geschaffen! Wobei wirksam in diesem Fall bedeutet, dass es sich stets aufs Neue wiederholt.

      Mithilfe dieser Geschichte erläuterte Mosler einige Grundprinzipien der Art und Weise, wie sich Währungsemittenten tatsächlich selbst finanzieren. Steuern sind dazu da, eine Nachfrage nach der Währung der Regierung zu schaffen. Die Regierung kann die Währung als ihre ganz eigene Rechnungseinheit definieren – ein Dollar, ein Yen, ein Pfund, ein Peso – und dann ihrem ansonsten wertlosen Papier Wert verleihen, indem sie es zur Zahlung von Steuern und anderen Verbindlichkeiten verpflichtend macht. Wie Mosler scherzhaft anmerkt, „Steuern machen Müll zu Währung.“ Letzten Endes will eine währungsemittierende Regierung etwas Reales, nicht etwas Monetäres haben. Die Regierung will nicht unsere Steuergelder. Sie will unsere Zeit. Damit wir für den Staat etwas produzieren, lässt sich die Regierung Steuern oder andere Arten von Pflichtzahlungen einfallen. Das ist nicht die Erklärung, die man in den meisten Lehrbüchern zur Ökonomie findet, in denen lieber eine oberflächliche Geschichte erzählt wird, wonach Geld als Lösung für die Unannehmlichkeiten des Tauschhandels – den geldlosen Austausch von Waren – erfunden wurde. In dieser Geschichte ist Geld einfach ein zweckmäßiges Mittel, das auf natürliche Weise entstand, um den Handel effizienter zu gestalten. Zwar wird Studenten vermittelt, dass Tauschhandel früher sozusagen als natürlicher Zustand allgegenwärtig war, doch für die Gelehrten der Antike gab es wahrscheinlich kaum Belege dafür, dass sich Gesellschaften jemals um den Tauschhandel herum organisiert hätten.10

      Die MMT lehnt die ahistorische Geschichte vom Tauschhandel ab und setzt stattdessen am Charta-lismus an, einem umfangreichen wissenschaftlichen Ansatz, der beweist, dass Steuern den Herrschern der Antike und frühen Nationalstaaten dazu dienten, um ihre eigenen Währungen einzuführen, welche dann erst später als Tauschmittel unter Privatpersonen in Umlauf kamen. Von Anfang an schafft die Steuerverbindlichkeit Menschen, die nach bezahlter Arbeit in der Währung der Regierung suchen (also Arbeitslosigkeit). Die Regierung (oder eine andere Autorität) bringt die Währung dann durch Ausgaben in Umlauf und ermöglicht den Menschen den Zugriff auf das Zahlungsmittel, das sie zur Bezahlung ihrer Verbindlichkeiten beim Staat benötigen. Natürlich können die Steuern erst bezahlt werden, wenn die Regierung ihr Zahlungsmittel bereitstellt. Als einfaches logisches Argument erklärte Mosler, dass die meisten von uns die Reihenfolge falsch verstanden. Nicht die Steuerzahler finanzieren die Regierung, sondern die Regierung finanziert die Steuerzahler.11

      Allmählich verstand ich es, zumindest theoretisch. Ich begann, die Regierung als Währungsmonopolisten zu betrachten. Moslers Argument brachte Kindheitserinnerungen zurück, als ich mit meiner Familie Monopoly spielte. Beim Nachdenken über die Spielregeln wurden mir die Parallelen noch klarer. Zunächst einmal kann erst gespielt werden, wenn es einen Bankhalter gibt. Die Spieler entrichten keinen Einsatz, um das Spiel zu beginnen. Das können sie nicht, weil sie es noch nicht haben. Die Währung muss zuerst emittiert werden, bevor sie erhältlich wird. Nach Auszahlung des Startgelds bewegen sich die Spieler um das Spielbrett und kaufen Immobilien, zahlen Miete, landen im Gefängnis oder ziehen eine Karte, die sie anweist, 50 Dollar an das Finanzamt zu zahlen. Jedes Mal, wenn ein Spieler erneut über „Los“ geht, bekommt er von der Person, die die Währung verwaltet, 200 Dollar ausgezahlt. Da die Spieler lediglich Nutzer der Währung sind, können sie pleite gehen, was sie auch tun. Dem Emittenten jedoch kann das Geld nie ausgehen. Tatsächlich besagen die offiziellen Spielregeln12 wortwörtlich, „Die Bank geht niemals ‚bankrott‘. Der Bankhalter kann zusätzliches Geld herstellen, indem er die Werte auf kleine Zettel schreibt“ (meine Hervorhebung).

      Ich dachte über diese Idee nach, auf Papier zu schreiben, um Geld herzustellen, als ich mit meinen eigenen Kindern das US Bureau of Engraving and Printing in Washington, D.C. besuchte. Wenn Sie noch nicht dort waren, kann ich es Ihnen nur wärmstens empfehlen. Es ist äußerst aufschlussreich. Für einen Besuch kann man sich auf der Website der Regierung anmelden: www.moneyfactory.gov. Dort geht es viel technischer zu als beim Monopoly, bei dem man Geld herstellt, indem man „auf kleine Zettel schreibt“, doch ist es im Grunde dasselbe. Es ist einer der Orte, an denen unser Währungsemittent die Währung herstellt.13 Eines der ersten Dinge, die mir auffielen, war ein riesiges Neon-schild hoch über den Gravieranlagen. Darauf stand: „Wir machen Geld nach alter Manier. Wir drucken es.“ Alle wollten ein Bild davon machen, doch fotografieren ist während des Besuchs nicht gestattet. Staunend sah die Menge zu, wie die Maschinen ungeschnittene Bogen von 10-Dollar-, 20-Dollar- und 50-Dollar-Scheinen ausspuckten. Dann sprach jemand aus, was wir alle dachten. „Ich wünschte, das könnte ich auch!“ Leider müssen wir die Herstellung jedoch dem US Bureau of Engraving and Printing überlassen, wenn wir nicht in einem orangen Overall enden wollen.

      Diese Scheine machen einen Teil des Währungsvorrats der Vereinigten Staaten aus. Wie die alten, mit Pennys, 5- und 10-Cent-Stücken gefüllten Einmachgläser auf dem Regal Ihrer Großmutter bescheinigen, emittiert die Regierung auch US-Währung in Form von Münzen. Genauso, wie sich die Federal Reserve als die „ausstellende Behörde für alle Geldscheine der Federal Reserve“ bezeichnet, so bezeichnet sich die Prägeanstalt als den „einzigen Hersteller von Münzen als gesetzliches Zahlungsmittel der Vereinigten Staaten“. Schließlich emittiert die Federal Reserve auch digitale Dollars, als Bankreserven bekannt.14 Diese kommen ausschließlich durch Tastenanschläge auf einem Computer zustande, der vom Fiskalagenten der Regierung, der Federal Reserve, gesteuert wird. Als die Banken der Wall Street Billionen von Dollars brauchten, um die Finanzkrise von 2008 zu überstehen, zauberte die Fed sie mühelos aus dem Nichts herbei, indem sie einfach eine Tastatur bei der Federal Reserve Bank in New York bediente.

      Dem Normalbürger mag es so vorkommen, als benutze die Regierung tatsächlich die Geldscheine, die aus der Druckmaschine schießen, oder die Münzen, die aus der Prägemaschine purzeln, um ihre Rechnungen zu begleichen. Nachrichtenkanäle zeigen jedenfalls liebend gern, wie Geld in Massen produziert wird. Oft begleiten sie eine Reportage zu Staatsausgaben mit einem Video, in dem frisch gedruckte Geldscheine von der Druckerpresse ausgespuckt werden. Doch die Geldscheine und Münzen der Federal Reserve dienen hauptsächlich unserer Bequemlichkeit. Müsste die Bundesregierung die Firma Boeing für eine Flotte neuer Kampfjets mit einer riesigen Menge an materiellem Geld bezahlen, dann wäre das viel zu umständlich. So funktioniert es einfach nicht.

      Anstatt wie beim Monopoly das Geld mit vollen Händen auszuzahlen, leistet


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