Ayahuasca und Tabak. Jeremy Narby

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Ayahuasca und Tabak - Jeremy Narby


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junge, angehende indigene Lehrer unterrichtet. Er bezeichnet sich selbst auch als médico, ein spanischer Begriff, der dort für Spezialisten verwendet wird, die Menschen mit Volksmedizin heilen. Tabak spielt in seiner Praxis eine wichtige Rolle.

      Ich erzählte Rafael Chanchari, dass ich daran interessiert war, die richtige Art und Weise der Annäherung an diesen mächtigen Pflanzenlehrer darzustellen. Ich hatte ihn schon mehrere Male interviewt, und er erklärte sich bereit, sein Wissen zu teilen: »Tabak ist eine wichtige Heilpflanze, und seine tiefere Bedeutung hängt davon ab, wie man ihn verwendet.«

      Wir trafen uns in Iquitos, und unser anschließendes Gespräch über Tabak ist das Thema des ersten Kapitels.

      Einige Monate später begann ich mich mit der neueren Forschung zu Tabak auseinanderzusetzen. Die Wissenschaft in die Diskussion einzubringen, sollte nicht das Wissen der Amazonasbewohner bestätigen oder entkräften, sondern die beiden Sichtweisen einander gegenüberstellen. Ich wollte sehen, wie sie im direkten Vergleich abschnitten. Ich begann die wissenschaftliche Literatur zu den verschiedenen von Rafael Chanchari genannten Punkten zu untersuchen – und fand zu meinem Erstaunen beachtliche Übereinstimmungen zwischen dem indigenen Wissen und der zeitgenössischen Wissenschaft. Dies ist das Thema des zweiten Kapitels.

      An diesem Punkt wurde mir klar, dass Rafael Chanchari und ich es mit einem im Entstehen begriffenen Forschungsprojekt zu tun hatten, das zwei Arten des Wissens miteinander verband und ein umfassenderes Verständnis einer mächtigen und oft gefährlichen Pflanze ermöglichte. Ich schlug vor, dass wir die gleiche Vorgehensweise anwenden und uns auch einer anderen psychoaktiven Pflanze aus Südamerika zuwenden sollten, der Ayahuasca-Liane. Diese Pflanze hatte erst kürzlich allgemeine Bekanntheit erlangt, im guten wie im schlechten Sinne. Sie bildet die Grundlage eines Pflanzengebräus, das ihren Namen trägt und das von einigen als potentes Heilmittel bei Depression, Trauma, Angst und Suchtverhalten sowie als Werkzeug der Selbsterforschung und des inneren Wachstums angesehen wird – und das wiederum andere als gefährliches Halluzinogen betrachten.

      Rafael Chanchari verfügt über reichlich Erfahrung im Umgang mit Ayahuasca, das er neben Tabak in seiner Praxis als médico einsetzt. Fast ein Jahr nach unserem ersten Gespräch trafen wir uns erneut, und dieses Mal wollten wir über Ayahuasca sprechen. Unser Austausch ist das Thema des dritten Kapitels.

      Nach diesen Gesprächen über Tabak und Ayahuasca kamen Rafael Chanchari und ich überein, gemeinsam ein kleines Buch herauszugeben, das sowohl den indigenen als auch den wissenschaftlichen Blickwinkel auf die beiden Pflanzen aufzeigen sollte.

      Noch einmal erforschte ich, Rafael Chancharis Behauptungen folgend, die jüngste wissenschaftliche Literatur zu Ayahuasca und fand heraus, dass die Sichtweise der Amazonas-Völker dabei half, einem neuen Bereich der wissenschaftlichen Forschung Sinn zu geben. Darum geht es im vierten Kapitel.

      Als Co-Autoren sind wir beide der Meinung, dass sich Wissenschaft und indigenes Wissen ergänzen, obwohl es gewisse Unterschiede gibt. Indem wir sie zusammenbringen, ist unser erstes Ziel, sie nebeneinander bestehen zu lassen. Auf diese Weise können die Leser beide betrachten und ihre eigenen Schlüsse daraus ziehen.

      Dieses Buch hat zwei Autoren, es handelt von zwei Pflanzen und bringt zwei Wissenssysteme zusammen. Wir hoffen, dass es Ihnen gefällt.

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       Kapitel 1

       Medizin und Bosheit

      Eines späten Morgens trafen Rafael Chanchari und ich uns in der Schule, in der er unterrichtet. Er ist ein relativ kleiner Mann mit einer freundlichen Ausstrahlung. Wir saßen in einem ruhigen Raum, und ich schaltete das Aufnahmegerät ein.

      Die Menschen im Amazonasgebiet sprechen oft von der »Besitzerin« oder »Mutter« einer Pflanze oder eines Tieres – so etwas wie eine Persönlichkeit, die einer Spezies zu eigen ist – und so begann ich das Gespräch, indem ich Rafael Chanchari fragte, ob das Volk der Shawi von einer »Besitzerin« des Tabaks spricht.

      »Ja, wir Shawi-Leute sagen pinshi wa’yan, das ist die Seele oder der Geist des Tabaks, und pinshi a’shin, das ist die Mutter des Tabaks, diejenige, die ihn entdeckt oder erfunden hat, die ihn zum ersten Mal gesät hat. Das ist der Raupenmann, kuntan, wie wir sagen. Diese Raupe hat einen wissenschaftlichen Namen, das habe ich im Internet gesehen. Also das ist die Mutter, gemäß unserer Kultur.«

      Er sprach mit sanfter Stimme und sprach jedes Wort deutlich aus. »Die Mutter ist ein Mann?«, fragte ich.

      »Ein Mann«, antwortete er zustimmend. »Aber verwandelt. Es ist eine ganze Geschichte. Der Tabak hat eine Seele, er hat einen Geist, der von zweierlei Art ist, Medizin und Bosheit (maldad), oder was wir auf Spanisch Zauberei (brujería) nennen. Er hat zwei Geister.«

      »Haben alle Pflanzen zwei Geister, oder nur der Tabak?«

      »Vor allem die Pflanzen, die Macht haben, mit anderen Worten die Meisterpflanzen, Ayahuasca, Tabak, toé, catahua, die Chambira-Palme … alle Pflanzen, die machtvoll sind, haben zwei Geister oder Seelen. Die Person, die mit diesen Pflanzen arbeitet, muss sich also entscheiden, ob sie Medizin oder Bosheit lernen will. Und die Geister dieser Pflanzen bieten dir das an, denn sie sind nicht kleinlich. Manchmal wollen sie dich beides lehren. Doch es ist die Person, die wählt.«

      Um ein besseres Verständnis für die »Mutter« des Tabaks zu bekommen, fragte ich Rafael Chanchari, ob er diese Wesenheit während seiner Arbeit mit den Meisterpflanzen jemals gesehen habe.

      »Ja«, gab er zurück, »aber ich habe nicht die Mutter gesehen, sondern ihre Seele.«

      »Aber was ist der Unterschied zwischen der Seele, dem Geist und der Mutter einer Pflanze?«, fragte ich.

      »In der Sprache der Shawi haben alle Wesen wie Bäume, Fische, Vögel, Säugetiere und Reptilien eine Seele oder Mutter. Aber im Spanischen gibt es einen Unterschied zwischen ›Seele‹ (alma) und ›Geist‹ (espíritu). Sie sagen, dass Menschen Seelen haben, während Pflanzen und Tiere Geister haben. Darum verwende ich manchmal das Wort ›Geist‹, wenn ich mich auf die Seelen der Pflanzen beziehe. Die Seele oder der Geist einer Pflanze ist eine für die jeweilige Pflanze spezifische Wesenheit, während die Mutter einer Pflanze spezifisch für ihre Art ist.«

      Als zweisprachiger Mensch dachte Rafael Chanchari in seiner Muttersprache Shawi über die Welt nach, und wenn er sich in seiner zweiten Sprache, Spanisch, ausdrückte, nahm er sich bei ihr gewisse Freiheiten heraus. Obwohl er wusste, dass im Spanischen das Wort Seele nur für Menschen vorgesehen ist, benutzte er es trotzdem, um sich auf Pflanzen und Tiere zu beziehen, weil er keinen grundlegenden Unterschied zwischen den Seelen der Menschen und denen anderer Arten sah. Er war das, was Anthropologen einen Animisten nennen.

      Er fuhr fort und erklärte, dass es zwei Haupttypen des Tabaks gab, einen mit dicken, doppelten Blättern, den anderen mit kleinen, dünnen Blättern; und man konnte beide verwenden, um mapachooder Schamanentabak herzustellen. »Der stärkste ist der mit den doppelten Blättern. Man nimmt an, dass er eine größere Menge natürlicher chemischer Substanz zum Sehen von Visionen enthält.«

      Das veranlasste mich zu der Frage, ob es seiner Meinung nach eine Verbindung zwischen Nikotin und der Mutter des Tabaks gebe.

      »Offensichtlich ist es das Nikotin, das unsere Neuronen in einer Weise aktiviert, die es uns erlaubt, das Unwahrnehmbare in unseren Visionen und Träumen wahrzunehmen«, antwortete er. »So können wir erkennen, dass Pflanzen einen Geist haben. Der Geist ist das Abbild der Pflanze in der Welt der Visionen. Die Mutter ist ein Wesen, das sowohl physisch als auch geistig ist. Raupen sind die Mutter des Tabaks, und sie haben einen Geist, der dich lehren kann.«

      Rafael


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