Reisen. Niklaus Meienberg
Читать онлайн книгу.und dem Fahrer, die wie ein Geschoss auf sie einschlagen könnten, geschützt sind. In Assen waren die Strohballen mit Plastiktüchern umwickelt, damit sie auch nach einem eventuellen Regen noch brauchbar gewesen wären. Dreimal habe ich an jener Strecke erlebt, wie die Strohballen funktionierten; an derselben Stelle hat es dreimal hintereinander Maschinen verschiedener Klasse aus der Kurve gejätet (gejettet), und jedesmal sind die Fahrer elegant wie Ballettänzer abgesprungen, vielleicht auch abgepurzelt, man sah es nicht genau, so schnell ging’s. Die Maschinen fetzten ins Stroh und die Fahrer zum Teil hintendrein, doch alle konnten sich noch aus eigener Kraft davonschleppen, und die Sanitäter, welche alternierend mit den Strohballen alle paar hundert Meter bereitstanden, mussten nicht allzusehr schockiert werden. Motorradunfälle haben gegenüber Autounfällen den Vorteil, dass sich der Mensch im kritischen Moment von der Maschine trennen und geschmeidig der ihn umgebenden Natur anpassen kann.
Mittwoch, Donnerstag, Freitag: Training. Das Fahrerlager liegt im Herzen der Rennstrecke, begrenzt von den rasend ringsherum fegenden Mauern aus Töffs. Es ist ein Wohnwagendorf plus aufgebockte Maschinen vor den Autos. Seltsamer Kontrast zwischen den strotzenden Vollblütern und dem gemächlich schleichenden Leben in den Wohnwagen. Gardinen und Kanarienvögel, Lockenwickler in den Haaren der Gattinnen, und ihre Knirpse fahren auch schon Töff, speziell giftige Knirpstöffe, alles dreht sich um die heiligen Maschinen, den ganzen Tag werden Zündungen eingestellt, profillose Pneus mit Feilen leicht abgeschmirgelt, Kolben überprüft. Metall wird geschliffen, dann wieder werden Maschinen im ersten Gang ausprobiert zwischen den Wohnwagen, so dass einen der peitschenknallartig helle Ton in die Nerven beisst.
Der Auspuffrauch kommt bläulich aus den Auspufftöpfen. Rizinusöl. Es ist nicht ein Geräusch wie bei serienmässigen Strassenmaschinen, sondern ein hundertfach verstärktes Gesumm von Libellenflügeln, Falsett-Töne der japanischen Exportindustrie, yam, yam, yaaaam, mit an- und abschwellendem hellem a, bis einem das Wasser in die Augen springt; nur die Europäer tönen anständiger, vor allem die MV-Agusta und die unvergleichliche Morbidelli, welche in der 125er-Klasse die zwei ersten Plätze belegte.
Morbidelli – im Namen steckt das ganze Programm fürs Rennen.
Die haben alle nur den Töff im Kopf, es geht vermutlich nicht anders, nur Monomanie bringt sportlichen Erfolg. Einer kam in die Kantine, setzte sich, bestellte ein Bier, legte die rechte Hand auf den Tisch, schloss die Hand um einen imaginären Gasgriff, während die linke Hand eine Zangenbewegung manisch wiederholte: kuppeln, auskuppeln. Ob sie nachts, wenn sie bei ihren Frauen in den Wohnwagen liegen, auch immer kuppeln, schalten, Gas geben und die betreffenden Körper mechanisch traktieren? Ihre Maschinen jedenfalls streicheln sie manchmal so, wie man Frauen streichelt, und beim Start bespringen sie ihre Töffs, denn diese haben keinen elektrischen Anlasser und müssen also angeschoben und dann besprungen werden.
Das ist ein phallokratischer Anblick, wenn achtundzwanzig Fahrer im gleichen Moment ihre Maschine bespringen und dann loszischen, nachdem die Stute Feuer gefangen hat. Dazu im Hintergrund die Fahnen, nicht nationale Flaggen der Rennfahrer, sondern multinationale Symbole des Imperialismus: Chevron-, Shell-, Esso-Fahnen.
J’ATTENDRAI LE JOUR ET LA NUIT TON RETOUR singen die Lautsprecher, und – die Knappen, Steigbügelhalter, Mechaniker, Vasallen und Zeitmesserinnen, welche die Maschinen ihrer Herren zum Start begleitet haben, warten, bis sie die Tiere nach der 16. Runde wieder in Empfang nehmen und in die Karawanserei zurückstossen dürfen. Wenn ein Renner während des Rennens vorzeitig aufhören muss – Maschinenpech, verfrühte Erschöpfung–, streckt er das rechte Bein hinaus zum Zeichen, dass er ausschert, damit die andern ihm nicht von hinten in die Maschine wetzen.
Wenn sie dann schwitzend bei den Fahrerboxen sich aushülsen, kommen überraschende Figuren ans Licht, unter kriegerischen Helmen und der windschlüpfrigen Lederrüstung stecken Sprenzel und magere Buben, selten richtige Fetzen. Sie sind jetzt geschrumpft, ohne Helm, Jockeyfiguren, besonders für die unteren Kubikklassen. Damit man mit einer 50er-Maschine, die soviel Kubik hat wie ein normales Moped, eine Spitze von 200 km/h erreichen kann, und die erreichen die Fahrer tatsächlich, muss man sehr leicht sein, schon fast körperlos, ein reiner Geist. Auch ihre hochfrisierten Mopeds sind vergeistigte, zierliche Insekten. Körperlich an ihnen ist nur der Ton. Der fräst sich hinein bis ins Gekröse. Den wird man wochenlang nicht mehr los. Wenn man vier Tage lang beim Start das Aufheulen aller Klassen erlebt, kann man Gehörschäden davontragen.
Im Schlachtenlärm von Assen kommt mir die eigene Maschine in den Sinn, Erinnerung an die Natur, welche meine 750er vermittelt. (Assen ist eine abstrakte Maschinenwelt.) Sie ist in Auxerre geblieben, Engine trouble vor kurzem auf der Autoroute du Sud, bei 180 ein Kolben festgegangen, wenn rechtzeitig ausgekuppelt wird, kann man das Blockieren der Räder vermeiden. Kein Vehikel vermittelt die Welt so intensiv wie eine anständige Maschine: Man sitzt nicht eingesperrt in den eigenen vier Wänden wie die seltsamen Autofahrer, man riecht die Jahreszeiten und hat eine volle Rundsicht auf Werden und Vergehen, der Wind massiert die Haut und schlüpft gelegentlich in die Kleider; man ist auch nicht eingesperrt im Verkehr, bewegt sich frei noch in den schmalsten Korridoren zwischen zwei Wagenkolonnen, Hindernisse gibt es nicht ausser den Verkehrsampeln, man lernt auf dem sensiblen Siebenhundertfünfziger spielen wie auf einem Instrument, mit ihm spielen, Körper und Instrument beginnen zu harmonieren, die Maschine instrumentiert den Körper, der Körper die Maschine.
Vielleicht sollte man es einmal gespürt haben, bevor man leichtfertige Urteile über das Töff-Fahren abgibt, eine Passfahrt im Sommer über Oberalp und Furka, oder ein Ausflug ins Elsass, vielleicht auch die Landschaft zwischen Rocamadour und Montségur, oder die Cevennen. Sich in die Landschaft einfühlen, Bewegungsfreiheit spüren, die Natur wie am Film-Montagetisch beschleunigt abrollen lassen als RUSH, dann wieder sanft vorübergleiten lassen, nichts um sich spüren als Licht und Wind, den man kräftig oder mild wehen lassen kann, dabei die Körperstellung verändern vom Liegen zum Schräg- und Aufrechtsitzen, bei einsamen Strecken die Füsse auf den hinteren Fussrasten, und dann wieder ein Spurt auf geeigneten Strassen mit dem Gefühl der Allgegenwärtigkeit bei dieser Beschleunigung: Man ist sofort überall, in fünf Stunden von der Schweiz in Paris. Man wird nicht befördert wie im Auto, man befördert sich, man ist bei der Sache in einem Zustand höchster Wachheit und Konzentration, die man im Auto nicht braucht, eine Mischung aus Lustgefühl und Kurvenberechnung und leichtem Überschwang, den man hin und wieder drosseln muss, manchmal auch Lachen vor lauter Wohlbefinden, doch das eigene Lachen hört man nicht bei den Geschwindigkeiten, es wird sofort aus dem Mund gerissen.
Verschmelzung mit Maschine und Natur, abends nach einer langen Fahrt hineingeritten in die grossen Städte, überall durchgeschlüpft und noch schnell über die Grands Boulevards geblocht, die Stadt ist befahrbar und erlebbar, man sieht wieder ihre Monumente und wie schön sie gebaut ist, eine grosse Synopse aller Sehenswürdigkeiten, alles zugleich bei dieser Geschwindigkeit: Zusammenschau, fast eine Flugaufnahme. Und dann einfach parkiert auf dem Trottoir, keine Parkprobleme (aber Eigentumsprobleme: mit einer dicken, auch von starken Beisszangen nicht zu öffnenden Kette die Maschine anbinden am nächsten Baum, sonst wird sie gestohlen, die serienmässige Lenkerblockierung genügt nicht).
Da steht sie dann, ruhig, aber strotzend, man kann sie wieder einmal betrachten, die Vorurteile bedenken, welche von Töff-Feinden, Philistern, Banausen, Nicht-Töff-Fahrern verbreitet werden: es handle sich um Kompensationsobjekte, Sexmaschinen, unbefriedigte Menschen müssten sich so abreagieren, wer keine Freundin hat, fährt Töff, und was man sonst alles zu hören bekommt, Potenz-Maschinen usw. Dabei gibt’s, bitte sehr, nichts Innigeres, als mit einer Freundin zusammen verschmolzen durch die Stadt zu reiten, nachts auf der Zielgeraden der Rue de Vaugirard, dann eng geschmiegt und angenehm schräg noch um das Grab des Unbekannten Soldaten zu wetzen, das heisst um den Triumphbogen, die schönste Rundstrecke in Paris, und dann dem Fluss entlang, voie Express. Die Lust wird potenziert, nicht kompensiert. Und beim Bremsen die noch enger aufeinandergerutschten Körperchen! Auch hier Naturvermittlung. Schliesslich, nachdem sie beim Absteigen gesagt hat, es sei halt wie ein Rausch, noch eine Zwiebelsuppe in der Coupole, zur Ernüchterung.
Freitag nachmittag in Assen. Es ist soweit, die Trainingsläufe sind vorbei, der Fahrer Stadelmann liegt im Spital mit leicht erschüttertem Gehirn, aber sonst wohlbehalten, Maschine gestaucht im Zelt, wo sie jetzt ganz allein ist, im Fahrerlager sonst keine grossen Unfälle. Ueli Graf mit einer