Grundeinkommen von A bis Z. Christian Müller

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Grundeinkommen von A bis Z - Christian Müller


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Banken. Das Gesundheitswesen und die Bildung werden bald erfasst. (…) In der Schweiz fallen 200 000 Bürojobs weg. Der Mittelstand löst sich auf. Der tragende Pfeiler unserer Demokratie ist bedroht. (…) Jeder Einzelne muss bereit sein, sich ständig weiterzubilden. Und der Staat soll Strukturen schaffen, die allen ein unternehmerisches Verhalten ermöglichen. Die Zukunft gehört nicht den großen, sondern den eigenen Firmen. (…) Das Volk muss die Regeln setzen, auch für die Wirtschaft. Da sich alles so schnell ändert, besteht die Gefahr, dass Firmen Regeln setzen und ihre Regeln automatisch Gesetz werden. Nötig sind politische Prozesse, die ständige Anpassungen der Regeln an die Entwicklungen zulassen. (…) Der Wettbewerb der Zukunft wird ein Wettbewerb der Systeme sein, nicht der Produkte.» Damit meint Klaus Schwab auch eine Neustrukturierung in der Einkommensregel wie zum Beispiel ein bedingungsloses Grundeinkommen.

      «Neugierig auf die Welt zu sein, mit Wandel und Veränderungen umzugehen, dauerhaft lernen zu können, Veränderungen einordnen zu können im Kontext», das hält Klaus Wellershoff, Präsident des Volkswirtschaftlichen Instituts an der Universität St. Gallen HSG, für die wichtigsten Eigenschaften, die Jugendliche lernen sollten und die auch für uns alle gelten.

      Aber kommt es wirklich so, wie die Vorhersagen es zeigen? Betrifft uns das?

      Die Digitalisierung verändert nicht nur das, was man sich vorstellen kann. Die Veränderungen in der Wirtschaft werden so groß sein wie dereinst beim Wandel von der Agrarwirtschaft zur Kapitalwirtschaft. Die Landwirtschaft gibt es immer noch. Effizienter als früher, nicht weniger wichtig, aber sie macht nicht mehr den Schwerpunkt der Arbeit für die meisten aus.

      Was Klaus Wellershoff voraussagt, bedeutet, dass sich ein Schwerpunkt der menschlichen Arbeit in den nächsten Jahrzehnten bei personenbezogenen Dienstleistungen, kultureller und künstlerischer Arbeit auch im Kontext mit sozialer Gestaltung herausbilden wird. Mehr selbständige Arbeiten als heute, mehr Projektarbeiten und wechselnde Zusammenarbeit.

      Das hieße nicht, dass wir alle dann nur ein Grundeinkommen hätten. Aber das Grundeinkommen könnte unentbehrlich und förderlich sein bei Übergängen und dabei, etwas aufzubauen, sich neu zu orientieren und in neuen Arbeiten auch zu einem guten Gesamteinkommen zu kommen. Es wäre, nüchtern betrachtet, die Basis der kommenden Leistungsgesellschaft.

      Aufmerksamkeit

      Ökonomie ist die Lehre vom Umgang mit knappen Gütern. Früher war es der Boden für die Nahrungsmitteler­zeugung, Kohle zur Dampferzeugung als Maschinenantrieb und Finanzkapital für Investitionen in Infrastruktur, Handel und Produktion. Im Zeitalter des materiellen Über­flusses ist heute die Aufmerksamkeit der Konsumenten das ­knappe – und deshalb kostbare – Wirtschaftsgut.

      Aufmerksamkeit ist das knappe Gut unserer Zeit. Das beschreibt der US-Investor Albert Wenger in seinem Buch «Die Welt nach dem Kapitalismus». So umfassend wie der Übergang von der Agrarwirtschaft zu Industrie und Kapitalwirtschaft ist laut Wenger jetzt der Übergang von der Kapital­wirtschaft zur digitalen Industrie. Und dazu gehört für ihn ein bedingungsloses Grundeinkommen: als humanistischer Boden der Veränderung und des Fortschritts zu mehr Möglichkeiten.

      «Wie viele Menschen arbeiten heute im erweiterten Sinne für Banken und die Finanzindustrie? Weltweit Abermillionen», sagte Albert Wenger in einem Interview mit dem Wirtschaftsmagazin «brand eins». «Wie viele beschäftigen sich damit, welcher Asteroid die Erde treffen könnte und was eventuell rechtzeitig dagegen zu tun wäre? Es sind weniger, als in einer McDonalds-Filiale arbeiten.» Wie viele Menschen richten ihre Aufmerksamkeit auf den Klimawandel und was dagegen zu tun ist? Wenger meint: «Auch hier stehen Bedrohung und Aufmerksamkeit in einem grotesk schlechten Verhältnis. Wir verschwenden unendlich viel Zeit mit Ab­lenkungsübungen. Stattdessen sollten wir uns öfter fragen, was wir wirklich mit dem Leben anfangen wollen.» Vollbeschäftigung in klassischer Arbeit hält Albert Wenger in Anbetracht des technischen Fortschritts für «schlichtweg anachronistisch. Stattdessen werden wir viel mehr Zeit haben, über Sinnvolles nachzudenken», so Wenger weiter. «Wir haben die historische Chance, Wissen und Kultur in einem Umfang zu erzeugen und zu teilen, der bisher undenkbar war.»

      Arbeit ist Anwendung von Aufmerksamkeit. Die Arbeit richtet die Aufmerksamkeit auf etwas. Sie kann auch Aufmerksamkeit in den Sand setzen. Wie sich Arbeit selbst verzehrt und Aufmerksamkeit hohl dreht, bespricht der Anthropologe David Graeber von der London School of Economics in seinem Buch «Bürokratie. Die Utopie der Regeln». Dar­in rechnet er vor, dass ein Drittel der Arbeitszeit heute für ­unproduktive Administration verwendet werde. Für das Ausfüllen von Formularen, Anträgen, für Benchmarking, Con­trolling, Evaluationen. Im Gesundheitswesen, an den Universitäten, in der Wirtschaft, in der Verwaltung sowieso. Auch Computer und Softwareprogramme würden den Menschen zum Administrator machen. Nach «der Überwindung des schrecklichen, bürokratischen Sozialismus und nach dem triumphalen Sieg der Freiheit und des Marktes», so Graeber, sei der Kapitalismus zu eben der Fantasie tötenden bürokratischen Technologie geworden, die zuvor dem technokratischen Sozialismus zugeschrieben wurde. Kreativität und Initiative würden zwar beschworen, doch wer damit aufwarte, habe die geringsten Aussichten, dafür eine finanzielle Unterstützung zu finden. Die administrative Notwendigkeit sei vom Mittel zum Zweck geworden. Der neoliberale Kapitalismus stehe dem Fortschritt im Weg. Er bremse die Kreativität aus, verhindere echte Innovation, hebele die Demokratie aus und schaffe neben gigantischen Einkommen für wenige nicht mehr Wohlstand für alle, so Graeber. Das also, womit der Kapitalismus sich rechtfertige, erfülle er nicht mehr.

      Soll das heißen, dass der Kapitalismus sich überlebt hat in dem, wie er geworden ist? Wohin geht die Aufmerksamkeit?

      In der Arbeit für das materielle Überleben stellte sich die Frage nach der Aufmerksamkeit noch nicht als eigene Frage. In der auftrags- und weisungsgebundenen Arbeit auch nicht. Die Frage nach der Aufmerksamkeit stellt sich mit zunehmender Selbstverantwortung und Individualisierung einerseits und mit einem Rückgang klassischer Arbeit und klassischer Hierarchien andererseits. Sie stellt sich mit der Digitalisierung und der Zunahme an Information – mit der Fülle an Möglichkeiten in der realen wie in der virtuellen Welt. Sie stellt sich mit neuen Herausforderungen, die im Mainstream wie im Bezahlsystem nicht genug vorkommen. Sie stellt sich für die kulturelle Entwicklung.

      Die Aufmerksamkeit an sich zu ziehen, sie zu analysieren und als Besitz zu vermarkten, ist das große Geschäft der digi­talen Ökonomie, der Apps und Internetplattformen wie beispielsweise Google, Facebook, iTunes. Ist das Software-Programm erst einmal entwickelt, gehen die sogenannten Grenzkosten gegen null. Das heißt, die Vervielfältigung und der Verkauf des Produktes und deren Anwendung sind ohne weitere Kosten unendlich möglich. Ohne weitere Kosten heißt ohne weitere menschliche Arbeit. Kapital und Arbeit sind entkoppelt.

      Vereinfacht fasst Albert Wenger seine These, dass Aufmerksamkeit heute die knappe Ressource ist, etwa so zusammen: Zur Zeit der Sammler und Jäger war Essen die knappe Ressource. Mit der Agrarwirtschaft wurde Boden die knappe Ressource. Da der Anbau noch wenig effizient war, brauchte man viel Land, um genügend Überschüsse für einen Herrscher und für Soldaten zu produzieren. Wozu brauchte man die Soldaten? Um andere davon abzuhalten, einem das eigene Land zu nehmen und um selbst mehr Land zu erobern. Mit der Industrialisierung wurden Bodenschätze und Kapital zur knappen Ressource. Da man im Vergleich zu heute in der Produktion noch ungeschickt war, brauchte man viel Kapital für große Fabriken und Maschinen mit vergleichsweise geringer Produktivität. Kapital und Arbeit waren an­einander gekoppelt. Es waren viele Menschen nötig, um mit den Maschinen, Transportmitteln und Werkstoffen zu ar­bei­­ten.

      Doch die Vorstellungen der Agrarwirtschaft lebten bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts weiter. Kriege wurden zur Eroberung von Land und Boden geführt. Und Kriege und Re­volutionen begleiteten den Übergang zur Industrialisierung, weil altes Denken und alte Besitzstände das Neue nicht verstanden und die Bedingungen für alle nicht auf die neue Zeit umstellen wollten. So kann es wieder sein beim Übergang vom Industriezeitalter und seinem Kapitalismus in die digitale Ökonomie. Heute ist Kapital nicht mehr knapp. Und ein immer größerer Anteil der Produktion von Gütern und Dienstleistungen braucht heute vergleichsweise wenig Kapital. Zudem ist Kapital viel weniger an menschliche Arbeit gekoppelt – das heißt an ein Einkommen für Menschen – wenn Menschen nicht nur mit Maschinen arbeiten,


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