Kompetenzentwicklung und Mehrsprachigkeit. Gisela Mayr

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Kompetenzentwicklung und Mehrsprachigkeit - Gisela Mayr


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dass aus zweiter Hand berichtet wird. Häufig beobachtet werden beim pragmatischen CS Sprachwechsel bei Interjektionen, Heckenausdrücken, kurzen Fragen, Gesprächseröffnung, Abschluss und Unterbrechungen. Metalinguistisches CS hingegen wird eingesetzt für Kommentare (auch in Form von Seitengesprächen), zur Besprechung sprachlicher Aspekte wie Grammatik, Syntax, Phonetik usw. Sie sind die häufigste Form von CS im Klassenzimmer und leiten oft zu einem Seitengespräch über, das sich auf formelle Aspekte bezieht. Oft wechselt die Lehrperson zu L1 der Lernenden, um etwas verständlicher zu machen oder zu erklären, für einen metalinguistischen Einschub oder ganz einfach, um ein Wort zu übersetzen. Sprachliche CS signalisieren einen Hilferuf vonseiten des Sprechenden, der informell und implizit entweder Hilfe anbietet oder um Hilfe bittet. Dazu kommen unbewusste CS, deren Intention dem Beobachter verborgen bleibt. Im letzteren Fall handelt es sich oft um Funktionswörter, die keine besondere Relevanz in der Kommunikation einnehmen (Bono 2011a: 36f., 43). Ungerer-Leitzke erwähnt eine besondere Form des CS, nämlich das informelle Dolmetschen (Ungerer-Leitzke 2008: 254) und meint damit die Praxis von Lernenden, schnell von einer Fremdsprache nach L1 zu übersetzen. Dies kann aus unterschiedlichen Gründen geschehen, meistens jedoch wird übersetzt, um umständliche Erklärungen zu vermeiden und sich durch Übersetzung im Sinne der Sprachökonomie in der gemeinsamen Erstsprache oder der Lingua franca unmittelbar verständlich zu machen. Kognate fallen auch in diesen Bereich, ihre Übersetzung im Aushandlungsprozess ist laut Cummins ein Transferunterricht-Beispiel, um das Prinzip der konzeptionellen Interdependenz von Sprachen aufzuzeigen (Cummins 2009: 319). Besonders eignen sich dafür Sprachen, die genetisch in einem Verwandtschaftsverhältnis zueinander stehen, nicht aber unbedingt zur gleichen Sprachfamilie gehören. Im polyglotten Dialog können bei bestimmten Wortformen (darunter sind Internationalismen und Latinismen besonders hervorzuheben) die Interdependenz zwischen den Sprachen genutzt werden. So können Kognate durch das Instrument der „sieben Siebe“ abgeleitet werden.

      Bei zwei- und mehrsprachigen Menschen, bei denen die Sprachbeherrschung teilweise nur funktional ist, ist CS oft dadurch bedingt, dass das sprachliche Wissen über bestimmte Themen in einzelnen Sprachen besser ausgeformt ist als in anderen. Da der Erwerb von Lebensumständen, Bedürfnissen und sozialen Faktoren, Zweck und Umgebung abhängt, werden Sprachen oft domänespezifisch erworben und die Sprachbeherrschung ist in Teilen unterschiedlich gut ausgeprägt (Grosjean 2008: 39; Herdina & Altarriba 2001: 165). Weitere ausschlaggebende Aspekte bei der Wahl der Sprachen sind laut Bono in erster Linie Psychotypologie, Sprachbeherrschung und zeitliche Nähe des Sprachgebrauchs. Aber es wirken auch Aspekte wie Kognition, Lernerprofil, Grad der Aufmerksamkeit und Kontrolle, Einstellungen und Selbstwahrnehmung, erzieherische Zwänge, Lernumgebung, Lernerfahrungen bzw. Ziele und Erwartungshaltung der Lehrpersonen (Bono 2011a: 30 vgl. auch Scheu 2000). CS ist besonders beliebt unter Jugendlichen und in eher informellen Kontexten, sofern die Sprachen nicht zueinander in Konkurrenz sehen (Franceschini 2009: 46f.).

      4.5.2 Language Mode und Sprachwechsel

      Grosjean postuliert in Bezug auf CS den Language Mode als ein Kontinuum, entlang dessen Sprachen auf unterschiedlichen Niveaus aktiviert und deaktiviert werden können. Es handelt sich dabei um einen Beschreibungsversuch der Beschaffenheit des Sprachverarbeitungsmechanismus’ bei zwei- und mehrsprachigen Menschen zu einem gegebenen Zeitpunkt (Grosjean 2001: 3). Laut Grosjean wählen Sprecher eine Ausgangssprache, im Normalfall die am häufigsten aktivierte, und aktivieren oder deaktivieren je nach Bedarf andere Sprachen. Dabei ist die Häufigkeit der Aktivierung auch davon abhängig, auf welcher Ebene des Language-Mode-Kontinuums sich die jeweiligen Sprachen und ihre Verarbeitung befinden. Der Language Mode kann sich verändern und die Aktivierung der unterschiedlichen Sprachen durch gezieltes Üben gefördert werden, was umgekehrt bedeutet, dass der Sprachverarbeitungsprozess sich verändert und komplexer wird, indem die mehrsprachige Verarbeitung gefördert wird.

      Die Frage nach einem qualitativen Unterschied zwischen zweisprachigem und mehrsprachigem CS wird von Edwards & Dewaele mit Nein beantwortet. Es handele sich lediglich um einen quantitativen Unterschied, da bei mehrsprachigem CS die gleichen Techniken angewendet werden, jedoch die Anzahl der zur Verfügung stehenden Sprachen größer ist und demzufolge auch die Vernetzungs- und Wahlmöglichkeiten (Edwards & Dewaele 2007: 225/235). Dawaele & Pavlenko nehmen das von Cook entworfene Konzept der Multicompetence ( Cook 1991: 125f.), auf und erweitern dessen Definition im Sinne der dynamischen Systemtheorie nach Herdina & Jessner:

      It is in a constant state of flux both within and between individuals (two persons will never have isomorphic multicompetence). Metaphorically one could compare the languages in contact in the individual’s mind to two liquid colours that blend unevenly, that is, some areas will take on the new colour resulting from the mixing, but other areas will retain the original colour, while yet others may look like the new colour, but a closer look may reveal a slightly different hue according to the viewer’s angle. Multicompetence should be seen as a never-ending, complex, nonlinear dynamic process in speaker’s mind. This does not mean that parts of the system cannot be in equilibrium for a while; but a change in the environment, i.e., a change in the linguistic input, may cause widespread restructuring with some ‘islands’ remaining in their original state. (Dewaele & Pavlenko 2003: 137)

      Versteht man Mehrsprachigkeit in diesem Sinne als einen dynamischen, sich ständig verändernden Prozess (cf. 4.4.2.), so kann auch das Verständnis von CS in seinem Umfang und seiner Wirksamkeit um vieles erweitert werden. CS zeugt demzufolge von einem kreativen Umgang mit sprachlichen Normen. Mit anderen Worten: CS setzt ein sehr hohes Niveau an Sprachgefühl und Bewusstheit voraus. So ist es bei fast allen CS möglich, besondere Intentionen und Strategien der SprecherInnen zu erkennen und subtile, auf das soziolinguistische Umfeld abgestimmte Begründungen zu finden (vgl. Franceschini et al. 2004; Gafaragna 2009; Aronin & Singleton 2012;).1

      Der Prozess der mehrsprachigen Interaktion, so Jessner/Allgäuer-Hackl (2015), ist als eine alltagsweltliche Form der Kommunikation zu verstehen, in der neue Eigenschaften und Fähigkeiten mehrsprachiger Lernenden zutage treten. CS gehört somit zu den Transferleistungen und werden als Strategie verstanden, die vielfältig eingesetzt werden können. CS-Praktiken inkludieren auch Varietäten und Dialekte (cf. 6.1.), was international üblichen Kommunikationssituationen entspricht und leider im Unterricht kaum Beachtung findet oder sogar als unangemessen oder fehlerhaft unterbunden wird. Dadurch dass diese Form der Kommunikation auch unterschiedliche Erstsprachen und Dialekte im Unterricht mit einschließt, mobilisiert sie auch Ressourcen, auf die üblicherweise nicht zurückgegriffen wird (Jessner & Allgäuer-Hackl 2015: 213f.). So ist z.B. L1 für viele Sprechende die Sprache der Emotionen und ein CS kann in diesem Sinne zur Erweiterung des emotionalen Spektrums führen. Das Verständnis des Spracherwerbs als komplexes System setzt voraus, dass komplexe Interaktionssituationen in Anlehnung an die mehrsprachige Alltagskommunikation im Klassenzimmer simuliert werden, da auch im Unterricht kein Sprachsystem getrennt von den anderen betrachtet werden darf.

      CS im Klassenzimmer legt die Koexistenz verschiedener Kommunikationsrahmen offen. Edmondson bezeichnet diese Koexistenz als World-switching (Edmondson 1985, 2004). Diskursanalytisch betrachtet stellen diese Rahmungen das Nebeneinander von sehr unterschiedlichen kommunikativen Welten und sozialer Rollen dar. Besonders klar wird dieser Unterschied beim CS der Lehrperson im Klassenzimmer. CS kann den Wechsel von der Lehrerrolle in die institutionelle Rolle bezeichnen und legt somit die Koexistenz dieser beiden im Klassenzimmer verborgenen Welten offen (Edmondson 2004: 162). Die Verwendung der Fremdsprache in der Lehrerrolle wird allgemein für den Lernprozess als wichtig erachtet. Bei Mitteilungen institutioneller Natur hingegen hat das Verständnis höchste Priorität, weshalb es als zulässig gilt, auf L1 zurückzugreifen. Genauso können Lernende sog. multifunktionelle Äußerungen dazu nutzen, z.B. MitschülerInnen halblaut die Antwort auf von der Lehrperson gestellte Fragen zu geben und gleichzeitig die Lehrperson darüber zu informieren, dass sie die Antwort wissen. In diesem Falle überlagern sich zwei kommunikative Absichten, es überlagern sich demnach zwei Realitäten, Edmondson spricht von Superimposed Discourse Worlds (ibid.: 163). CS legt diese parallelen Diskurswelten offen, die unabhängig vom Diskurs des tatsächlichen Unterrichts existieren und unterschiedliche soziale Funktionen übernehmen.

      Der Begriff Translanguaging (TL) wurde vom walisischen Pädagogen


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