Großstadt und dichterischer Enthusiasmus Baudelaire, Rilke, Sarraute. Elisabeth Schulze-Witzenrath

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Großstadt und dichterischer Enthusiasmus Baudelaire, Rilke, Sarraute - Elisabeth Schulze-Witzenrath


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immortal instinct, deep within the spirit of man, is thus, plainly, a sense of the Beautiful. […] We have still a thirst unquenchable […] This thirst belongs to the immortality of Man. It is at once a consequence and an indication of his perennial existence. […] It is no mere appreciation of the Beauty before us – but a wild effort to reach the Beauty above. […] And thus when by Poetry – or when by Music, the most entrancing of the Poetic moods – we find ourselves melted into tears – we weep then – not […] through excess of pleasure, but through a certain, petulant, impatient sorrow at our inability to grasp now, wholly, here on earth, at once and for ever, those divine and rapturous joys, of which through the poem, or through the music, we attain to but brief and indeterminate glimpses.14

      Das Ringen um einen wenn auch nur kurzen Blick auf die höhere Schönheit hat nach Poe der Welt alles das beschert, was als poetisch empfunden wird:

      The struggle to apprehend the supernal Loveliness […] has given to the world all that which it (the world) has ever been enabled at once to understand and to feel as poetic. (S. 274)

      und so stellt er schließlich fest, dass sich das Poetische stets in einer erhebenden Erregung der Seele manifestiere:

      It has been my surpose to suggest that, while this [Poetic] Principle itself is, strictly and simply, the Human Aspiration for Supernal Beauty, the manifestation of the Principle is always found in an elevating excitement of the Soul […] (S. 290)

      Auch diese Formulierung übernimmt Baudelaire fast wörtlich:

      Ainsi le principe de la poésie est, strictement et simplement, l’aspiration humaine vers une beauté supérieure, et la manifestation de ce principe est dans un enthousiasme, une excitation de l’âme […].15

      Die Wendung „une excitation de l’âme“ wird er zwei Jahre später noch durch das eindeutigere „un enlèvement de l’âme“16 ersetzen, wenn er den ganzen Passus im Artikel über Théophile Gautier wiederholt und ihn dabei als Selbstzitat ankündigt17. Valéry hat dieses „Poe-Plagiat“ Baudelaires im Sinne seiner Aneignungsthese als Beleg dafür verstanden, wie sehr sich die Positionen beider Autoren deckten18.

      Baudelaire ist also mit Poe der Überzeugung, dass die Dichtung – und mit ihr die anderen Künste19 – dem Menschen ekstatische Momente bescheren können, die ihm einen Blick auf höheres Glück gewähren. Mit dem Zusatz der „erhe­benden“ seelischen Erregung („an elevating excitement of the Soul“) geht Poe dabei über die Feststellungen seiner angelsächsischen Vorgänger wie etwa Coleridges hinaus, der nur vom „(pleasurable) Excitement“ gesprochen hatte und davon, dass der Dichter die menschliche Seele ganz allgemein in Erregung versetze: „The poet […] brings the whole soul of man into activity […]“20. Baudelaire folgt dagegen Poes Ansicht vom Streben nach der „Supernal Beauty“, für dessen Verwirklichung in Dichtung und Kunst er seinerseits den Begriff „surnaturel“ bzw. „surnaturalisme“ bereithält.

      Das „Poetic Sentiment“, wie Poe die ekstatische Erregung der Seele durch die Betrachtung der Schönheit genannt hat21, war für Baudelaire ein besonderer Fall des „état exceptionnel de l’esprit et des sens“, der zu seinen anthropologischen Grundüberzeugungen zählte. In den Journaux intimes charakterisiert er den außergewöhnlichen Zustand des Geistes und der Sinne mit knappen Worten:

      Il y a des moments de l’existence où le temps et l’étendue sont plus profonds, et le sentiment de l’existence immensément augmenté.22

      Im ersten Kapitel des Poème du hachisch findet sich seine ausführliche Beschreibung. Der „état exceptionnel“, heißt es dort, sei eine Erfahrung, die jedermann zugänglich und vertraut ist:

      Il est des jours où l’homme s’éveille avec un génie jeune et vigoureux. Ses paupières à peine déchargées du sommeil qui les scellait, le monde extérieur s’offre à lui avec un relief puissant, une netteté de contours, une richesse de couleurs admirables. Le monde moral ouvre ses vastes perspectives, pleines de clartés nouvelles. L’homme gratifié de cette béatitude, malheureusement rare et passagère, se sent à la fois plus artiste et plus juste, plus noble, pour tout dire en un mot.23

      In diesem Zustand zeigt sich die Welt dem Menschen in einem neuen und klareren Licht. Zur äußeren Vielfalt der Formen und Farben gesellen sich unbegrenzte innere Perspektiven und Einsichten. Die seelischen Kräfte sind im Gleichgewicht („toutes les forces s’équilibrent“), die Phantasie ist auf wunderbare Weise mächtig („l’imagination […] merveilleusement puissante“), sinnliche und geistige Wahrnehmung sind geschärft („une sensibilité exquise“, „[c]ette acuité de la pensée“)24. Alle Fähigkeiten sind gesteigert und der Mensch ist im schönsten Einklang mit sich selbst:

      […] cette condition anormale de l’esprit [est] comme […] un miroir magique où l’homme est invité à se voir en beau, c’est-à-dire tel qu’il devrait et pourrait être; une espèce d’excitation angélique, un rappel à l’ordre sous forme complimenteuse. (Ebd.)

      Unglücklicherweise ist dieser „paradiesische“25 Zustand selten und von kurzer Dauer26; auch lässt er sich, wie eine Gnade („comme une véritable grâce“), nicht vorhersehen und durch kein noch so wohl überlegtes Vorgehen erzwingen. Doch ist er den Menschen immer erstrebenswert erschienen, weil er sie, und sei es nur für kurze Zeit, aus ihrem „habitacle de fange“ und den „lourdes ténèbres de l’existence commune et journalière“ befreit. Daher haben sie seit jeher ihre Zuflucht zu allerlei Mitteln genommen, um ihn auf künstliche Weise zu erzeugen:

      Cette acuité de la pensée, cet enthousiasme des sens et de l’esprit, ont dû, en tout temps, apparaîre à l’homme comme le premier des biens […]; c’est pourquoi, ne considérant que la volupté immédiate, il a, sans s’inquiéter de violer les lois de sa constitution, cherché dans la science physique, dans la pharmaceutique, dans les plus grosses liqueurs, dans les parfums les plus subtils, sous tous les climats et dans tous les temps, les moyens de fuir, ne fût-ce que pour quelques heures, son habitacle de fange et […] ‚d’emporter le paradis d’un seul coup‘. Hélas! les vices de l’homme, si pleins d’horreur qu’on les suppose, contiennent la preuve […] de son goût de l’infini; seulement, c’est un goût qui se trompe souvent de route. (Ebd.)

      Damit bekunden sie nach seiner Überzeugung noch in ihren Lastern ihren „goût de l’infini“. „Le Goût de l’infini“ lautet denn auch der Titel dieses ersten Kapitels des Poème du hachisch, dessen Menschenbild zutiefst von der christlichen Vorstellung des Sündenfalls geprägt ist.

      Baudelaire hat den „état exceptionnel“ wiederholt beschrieben und unterschiedlich benannt27. Außer den Wirkungen des Zustandes hat ihn vor allem interessiert, wodurch er ausgelöst wird. So hat er in den Paradis artificiels, den durch Wein, Haschisch oder Opium zu erlangenden „Künstlichen Paradiesen“28, ausführlich erörtert, wie die Glückseligkeit ‚aus der Apotheke‘ zu erlangen ist. Dabei hat er immer wieder Parallelen zwischen den durch Drogen bewirkten Rauschzuständen und dem ekstatischen Zustand des Dichters gezogen, denn als Dichter ging es ihm „letztlich […] um die Ergründung der äußersten Möglichkeiten eines ‚poetischen‘ Zustands“29. Daher hat man das Poème du hachisch als einen Kommentar zur dichterischen Erfahrung der Fleurs du mal lesen können30 und im „état exceptionnel“ geradezu das Herzstück der Baudelaireschen Poetik gesehen31.

      In der neueren Literaturwissenschaft wird ein dem Baudelaireschen „état exceptionnel“ verwandtes Phänomen unter dem Begriff ‚Epiphanie‘ diskutiert. Dieser Begriff geht in seiner modernen Bedeutung auf James Joyce zurück, der die alte religiöse Bedeutung von ‚Epiphanie‘ als In-Erscheinung-Treten eines Gottes psychologisch und literarisch umgedeutet hat in dem Sinne, dass in gewissen Momenten die Dinge in ihrer Wesenheit erscheinen und zu erfassen sind und dass ein Autor dies zu vermitteln habe32. Als wesentliche Kriterien einer Epiphanie gelten die sinnenhafte Wahrnehmung eines alltäglichen Gegenstands oder einer alltäglichen Situation, Plötzlichkeit und Kürze der Empfindung sowie die erhellende Einsicht in eine unbekannte Wirklichkeit33. Seit der Romantik ist die Epiphanie ein Programmpunkt


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