Deutsch als Zweitsprache. Barbara Geist
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Deutsch als Zweitsprache
Sprachdidaktik für mehrsprachige Klassen
A. Francke Verlag Tübingen
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E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen
ePub-ISBN 978-3-8233-0033-5
Für alle Kinder und Jugendlichen mit Deutsch als Zweitsprache,
mit denen wir in Kitas und Schulen zusammenarbeiten dürfen, die uns in unseren Forschungsprojekten einen Einblick in ihre Fähigkeiten im Deutschen ebenso wie in ihren Erstsprachen geben, die unsere Neugierde für ALLE Sprachen, Dialekte und Ethnolekte geweckt haben, die uns in Projekten immer wieder herausfordern und ermuntern, Materialien und Methoden zu entwickeln und zu erproben.
Für unsere Studierenden,
die in unseren Seminaren und Vorlesungen mit reflektierter Neugierde den monolingualen Habitus hinterfragen, mit Wissen und Kreativität einen Beitrag zu einer multilingualen Schule und Gesellschaft leisten, uns mit interessierten und kritischen Rückfragen herausfordern und uns motiviert haben, dieses Buch zu schreiben.
Für unsere Kolleginnen und Kollegen an Schulen und Hochschulen,
die unsere Begeisterung für das Deutsche als Zweitsprache und die Potentiale und Herausforderungen mehrsprachiger Lerngruppen teilen, die unsere Forschung kritisch und konstruktiv durch Rückmeldungen auf Tagungen begleiten, die unsere Texte begutachten und lesen.
Seé – Tack – Natick – Köszönöm – Obrigado – Dalu – Thank you – Merci – Gracias
DANKE
Vorwort
Dieses Buch richtet sich an Studierende, Lehrkräfte an Schulen und Studienseminaren sowie Dozierende an Universitäten und Pädagogischen Hochschulen, die einen Einblick in das Thema Sprachdidaktik für mehrsprachige Klassen wünschen. All unsere Erfahrungen mit Kindern und Jugendlichen mit Deutsch als Zweitsprache (DaZ), die wir in unseren Tätigkeiten in Kitas und Schulen sowie in Forschungsprojekten sammeln durften, lassen wir in dieses Buch einfließen.
Mit den Ergebnissen der ersten PISA-Studie 2001 rückte die (vor-)schulische Sprachförderung in den Fokus der Bildungspolitik. Sichtbar wurde hier eine starke Reproduktion von Ungleichheit im deutschen Bildungssystem, die Schülerinnen und Schüler (SuS) mit Migrationshintergrund und solche aus sozioökonomisch benachteiligten Familien in besonderem Maße betrifft. Anstelle einer Defizitperspektive auf Migration und Mehrsprachigkeit ist aus unserer Sicht jedoch eine Sensibilisierung für sprachliche Heterogenität insgesamt und die besonderen Potentiale und Bedürfnisse mehrsprachiger SuS erforderlich. Wir möchten unsere Leser(innen) ermutigen, der Mehrsprachigkeit in ihrer Klasse Raum zu geben, und durch eine entsprechend geprägte Perspektive auf die Sprachdidaktik einen theoretisch begründeten Rahmen für einen gemeinsamen Deutschunterricht mit SuS mit unterschiedlichen Sprachbiographien anbieten. Wir wünschen diesem Buch, dass es Studierenden und (angehenden) Lehrkräften die Planung des Unterrichts für mehrsprachige Klassen erleichtert, ihr Interesse weckt und aufrechterhält.
Wir danken den Studierenden, die uns Rückmeldungen zu einzelnen Kapiteln gegeben und uns auf vielfältige Weise unterstützt haben: Milena Bach, Julia Bartolmäs, Marie Mühlan, Alexandra Rotzinger und Marieke Speller. Besonderer Dank gilt den Kolleginnen und Kollegen, die unseren Schreibprozess mit Lob und konstruktiver Kritik begleitet haben: Johanna Fay, Anne Gärtner, Florian Hiller, Stefan Jeuk, Christina Noack, Marcus Prade, Sibylle Reech, Anke Reichardt, Susanne Riegler und Romina Schmidt, sowie den Herausgebern Sandra Döring und Peter Gallmann und unserer Lektorin Valeska Lembke.
Karlsruhe/Leipzig/Freiburg im Sommer 2017
Barbara Geist und Andreas Krafft
1 Einleitung
Wenn man davon spricht, dass Kinder mit Migrationshintergrund im deutschen Bildungssystem versagen, dann verkehrt man die Tatsachen. Die Kinder entwickeln sich völlig normal im Rahmen dessen, wie sich einsprachig deutsche Altersgenossen auch entwickeln. Es ist aber das Bildungssystem, das versagt, indem es nicht auf die Situation und die Möglichkeiten der Kinder Bezug nimmt, und auf diese Weise viele „Probleme“ erst erzeugt. (Becker 2013: 241)
Die Kritik an einem (Deutsch-)Unterricht, der an der mehrsprachigen Lebenswelt vieler Kinder und Jugendlicher vorbeigeht und einem „monolingualen Habitus“ (Gogolin 1994) verhaftet bleibt, hat nicht an Aktualität verloren. Bereits vor 2015, als 890000 Menschen in Deutschland Asyl suchten (Bundesministerium des Inneren 2016), lebten wir in einer mehrsprachigen Gesellschaft. Unabhängig davon, wie Kinder und Jugendliche in den ersten Monaten nach ihrer Migration beschult werden, ist das Ziel ein gemeinsamer Unterricht aller Kinder. Wie aber kann ein (Deutsch-)Unterricht gestaltet sein, der auch SuS mit DaZ, ihren individuellen Fähigkeiten und ihren Kompetenzen in anderen Sprachen, gerecht wird – unabhängig davon, ob sie in Deutschland geboren, vor mehreren Jahren oder vor Kurzem migriert sind? Wie muss ein Unterricht gestaltet sein, der sowohl die Fähigkeiten als auch die Schwierigkeiten von SuS mit DaZ – wie Becker (2013) einfordert – berücksichtigt?
Bevor diesen Fragen für die fünf Arbeitsgebiete des Sprachunterrichts Sprechen und Zuhören, Lesen, Richtig schreiben, Texte schreiben und Sprachreflexion nachgegangen wird, sollen im Folgenden einige grundsätzliche Punkte angesprochen werden: Mit dem Fokus auf SuS mit DaZ ist, in Ermangelung von Studien zu DaZ und Bildung, der Zusammenhang von Migration und Bildung (Kap. 1.1), zu dem umfangreiche Studien vorliegen, zentral. Die SuS mit DaZ eint das große Potential ihrer Mehrsprachigkeit (Kap. 1.2), welche jedoch leider bislang häufig mehr als Risikofaktor denn als Ressource gesehen wird. In Kapitel 1.3 wird in den Zweitspracherwerb in Abgrenzung von anderen Spracherwerbstypen eingeführt; anschließend wird die Bedeutung eines gemeinsamen Unterrichts aller SuS betont (Kap. 1.4). Zuletzt wird unter 1.5 der Aufbau des Buches erläutert.
1.1 Migration und Bildung
Sinnvoll wäre es an dieser Stelle, speziell auf SuS mit DaZ im Unterschied zu solchen mit Deutsch als Erstsprache (DaE) einzugehen und differenzierte Informationen zur Kontaktdauer zur Zweitsprache (L2) oder zum Alter bei Erwerbsbeginn anzugeben. Hintergrundvariable in Schulleistungsstudien und den aktuellen Bildungsberichten ist jedoch nicht die Sprachbiographie der Kinder und Jugendlichen, sondern der Migrationshintergrund. Zwar besteht eine große Schnittmenge zwischen SuS mit DaZ und solchen mit Migrationshintergrund. Jedoch ist klar, dass einerseits SuS mit Migrationshintergrund das Deutsche nicht zwingend als L2, sondern bereits als (eine) Erstsprache (L1) erwerben können, dass es andererseits aber auch SuS mit DaZ gibt, die keinen Migrationshintergrund1 haben, die also beispielsweise einer der in Deutschland vorkommenden sprachlichen Minderheiten angehören oder die (Ur-)Großeltern haben, die nach Deutschland eingewandert sind. Aussagen über Bildungserfolge oder Kompetenzen sind daher nur für SuS mit Migrationshintergrund im Vergleich zu SuS ohne Migrationshintergrund möglich:
Im Jahr 2010 stammte mehr als ein Drittel der in Deutschland geborenen Einjährigen aus Familien mit Migrationshintergrund. In Großstädten wie Augsburg, Hamburg oder Duisburg