Deutsch als Zweitsprache. Barbara Geist
Читать онлайн книгу.W-Fragen
Nur wenige Studien beschäftigten sich bisher mit dem Sprachverständnis von Zweitsprachlernern, unseres Wissens nach liegen noch keine Studien zum Hörverständnis von SuS mit DaZ vor (international Vandergrift 2007). Für den Kompetenzbereich Sprechen und Zuhören ist jedoch die Kenntnis dessen, was SuS tatsächlich verstehen, unabdingbar. Gerade beim Sprachverständnis wirken sich für Knapp (1999) die „verdeckten Sprachschwierigkeiten“ von SuS mit DaZ in besonderem Maße aus. In einer empirischen Studie konnte dies zwar für die W-Fragen nicht belegt werden, jedoch lag das möglicherweise daran, dass die Kinder zu einem großen Teil das Verständnis für einfache W-Fragen3 bereits erworben hatten (lediglich 17 % der Items im Untertest W-Fragen wurden von den 42 Kindern mit DaZ nicht zielsprachlich verstanden). Für die wenigen Kinder, die noch Schwierigkeiten im Verständnis von W-Fragen hatten, zeigte sich eine tendenzielle Überschätzung (Geist 2013).
Im Unterschied zu vielen anderen sprachlichen Phänomenen geht die Produktion von W-Fragen dem Verständnis voraus (Produktion L2: u.a. Tracy/Lemke 2012, Verständnis L2: Schulz et al. 2008). Anhand des Untertests W-Fragen im Verfahren LiSe-DaZ (Schulz/Tracy 2011) konnte gezeigt werden, dass Kinder mit frühem L2-Erwerb im Alter von 5;8 die zielsprachliche Interpretation der W-Fragen erworben hatten (Schulz 2013: 331).4 Die Erwerbsstufen in der Interpretation der verschiedenen Fragetypen werden sogar schneller durchlaufen, als dies bei Kindern mit DaE der Fall ist. Derselbe Untertest zeigte im Fall der neunjährigen Schülerin (s. oben), dass sie nach acht KM bereits acht von zehn W-Fragen zielsprachlich interpretiert. Dies betrifft Fragen nach dem Subjekt (a), Akkusativobjekt (b), Dativobjekt (c) und Adjunktfragen (d).
1 Untersucher (U): Wer schimpft mit dem Hund? – Schülerin (S): Ibo.
2 U: Wen finden Lise und Ibo im Park? – S: den Hund
3 U: Wem hilft Ibo aus der Tonne? – S: den Hund
4 U: Womit sägt der Bauarbeiter die Äste ab? – S: mit der … mit das Säge
Verdeckte Sprachfähigkeiten
Schulz betont, dass kerngrammatische Fähigkeiten für den späteren Bildungserfolg „die Pflicht […] und nicht die Kür“ sind (Schulz 2013: 333). Mindestens ebenso ungünstig wie die erwähnten verdeckten Sprachschwierigkeiten sind jedoch auch „verdeckte Sprachfähigkeiten“ (Geist 2013: 228): Lehrkräfte überschätzen SuS mit DaZ nicht nur, sondern sie haben häufig auch die Tendenz, diese zu unterschätzen. So gingen Lehrkräfte bei 30 % ihrer Vorschulkinder, die sie intensiv im Rahmen eines Vorlaufkurses sprachlich förderten, davon aus, dass die Kinder noch keine Nebensätze mit Verbletztstellung äußern konnten. Die gleichen Kinder produzierten jedoch in der Elizitierungsaufgabe in LiSe-DaZ (Schulz/Tracy 2011) jeweils mindestens drei solcher Strukturen (Geist 2013). Klein mahnte bereits 2000, in der Beschreibung sprachlicher Fähigkeiten würde viel zu oft eine „Rotstift-Perspektive“ (Klein 2000: 540) vorherrschen. Diese gilt es im Sinne einer Kompetenzorientierung abzulegen.
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