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Sprachaneignungsprozess sowohl bei ein- als auch bei mehrsprachigen Kindern eine ganz bedeutende Rolle, denn sie stellen eine Art Schnittstelle zur Grammatik dar.

      Um ein Verbbeispiel aus den Satzbauplänen der Duden-Grammatik aufzunehmen: Das Verb gehören fordert beispielsweise zwei Ergänzungen: ein Subjekt und ein Dativobjekt:

      1 Die Katze [Subjekt] gehört dem kleinen Mädchen [Dativobjekt].

      Die Partner können durch die Valenz ermittelt werden (vgl. hierzu die Informationen in Kapitel 03): Wer gehört wem? Gehören ist demnach zweiwertig. Für die Ermittlung der Funktion und Form der jeweiligen Partner des Verbs sind die Glinz’schen Satzgliedproben (Umstellprobe/Verschiebeprobe, Ersatzprobe, Frageprobe, Spitzenstellungstest) sehr wichtig. Da die vorgestellten Tests maßgeblich dazu beitragen können, das Verständnis von Lernenden in Bezug auf Aufbau und Funktionen von Sprache zu steigern und zu festigen, sollten sie fester Bestandteil des Grammatikunterrichts sein. Der didaktische und methodische Umgang mit Satzbauplänen wird später fortgeführt.

       Abb. 4.2 zeigt Ergebnisse der DESI-Studie, in der schulartenübergreifend Englisch- und Deutschkompetenzen in der 9. Jahrgangsstufe gemessen wurden. Welchen Stellenwert haben die grammatischen Proben laut Aussage der Lehrkräfte?

      Abb. 4.2:

      Ergebnisse einer Befragung von Lehrkräften der DESI-Studie im Bereich Grammatik (Klieme et al. 2008, 330)

      4.1 Deskriptive und präskriptive Grammatikbeschreibung

      Prinzipiell existieren zwei Arten von Grammatiken und Grammatikbeschreibungen, der deskriptive (beschreibende) und der normativ-präskriptive (vorschreibende) Ansatz (vgl. Imo 2016, 10; Klein 2010). Letzterer wird in erster Linie im Schulkontext und auch beim Fremdsprachenlernen verwendet und gibt ein gewisses Set an Regeln zur Orientierung vor. Abweichungen von diesen Regeln werden von Lehrkräften in der Regel sanktioniert. Eine deskriptive Vorgehensweise hingegen versucht, Sprache und Sprachformen in ihrer tatsächlichen Verwendung und in ihrer arealen Streuung zu beschreiben und nimmt keine Einordnung in richtig oder falsch vor. Ein Satz wie

      1  In der Pause gehen wir Edeka.

      ist nach dem präskriptiven Ansatz defizitär, da die Präposition fehlt und es eigentlich (zumindest in der Schriftlichkeit) heißen müsste:

      1  In der Pause gehen wir zu Edeka.

      Die deskriptive Grammatik hingegen stellt fest, dass die fehlende Verwendung von Präpositionen in der Jugendsprache (vgl. hierzu auch Wiese 2012) und generell in der Mündlichkeit zunimmt, ohne eine Wertung vorzunehmen.

       Überlegen Sie, welche Art von Grammatikbeschreibung Sie für den Erstsprach- und für den Zweitspracherwerb für sinnvoll erachten. Was sind Ihrer Meinung nach jeweils Vor- und Nachteile der beiden Ansätze (vgl. hierzu auch Klein 2010)?

      4.2 Grammatik hat Variation

      Die Sichtweise, in der Grammatik gäbe es immer nur entweder richtig oder falsch bzw. eine korrekte Lösung, ist in vielen Fällen unzureichend. Auch in der Grammatik gibt es bisweilen Variation und diese Variation sollte nicht kritisiert bzw. als falsch bewertet werden. Es geht um eine situativ angemessene Sprache.

      Variation bedeutet, dass in einer Sprache mehrere (oftmals auch gleichberechtigte) Varianten existieren können. Zum Beispiel nennt man ein Brötchen im Berliner Raum Schrippe, in Bayern hingegen Semmel oder Wecken/Weckerla.

      Wie würden Sie beispielsweise das Perfekt zu sitzen oder liegen bilden? Würden Sie sagen ich habe gesessen oder ich bin gesessen? Ich habe gelegen oder ich bin gelegen? Und was ist nun korrekt oder ist beides möglich?

      Hilfreich ist hierbei ein Blick auf eine Karte des „Altlas zur deutschen Alltagssprache“ (AdA, abrufbar unter: http://www.atlas-alltagssprache.de/), einem Onlineprojekt, das die tatsächlichen Sprachgewohnheiten im gesamten deutschsprachigen Gebiet abbildet:

      Abb. 4.3:

      Hilfsverb beim Perfekt von stehen: Das … in der Zeitung gestanden (AdA: http://www.atlas-alltagssprache.de/hilfsverb/)"

      Die Abbildung verdeutlicht anschaulich die vorherrschende Zweiteilung hinsichtlich der Verwendung des Auxiliars innerhalb des deutschen Sprachgebiets. Vereinfacht gesagt wird im nördlichen Teil haben zur Bildung des Perfekts verwendet und im südlichen (einschließlich Österreich und der Schweiz) sein. Der beschriebene Auxiliargebrauch wird auch in der aktuellen Duden-Grammatik (2016, 475) thematisiert:

      Verben der Ruhe wie sitzen, stehen, liegen bilden vor allem in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz abweichend von der Hauptregel tendenziell das Perfekt mit sein: Ich bin lange gelegen/gesessen/gestanden. Ansonsten hört man der Hauptregel entsprechend regelmäßig haben.

      Es herrscht also Einigkeit darüber, dass in diesem Fall zwei gleichberechtigte Normvarianten vorliegen (vgl. auch den Duden für sprachliche Zweifelsfälle 2011, 620, 839 und 862).

       Welche Standardvariante würden Sie Ihren Erstsprach- und auch Zweitsprachlernenden beibringen und warum? Finden Sie weitere Beispiele für Variation in der Grammatik (auch mit Hilfe des AdA).

      4.3 Ist Grammatikunterricht überhaupt nötig?

      Bevor die eigentlich rhetorisch formulierte Frage vertieft wird, lohnt sich zunächst ein Blick in die Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz, die unter anderem auch den Rahmen für Lehrpläne bilden. Diese wurden unter anderem auch für das Fach Deutsch sowohl für den Primarbereich als auch für weiterführende Schulen bis hin zur Allgemeinen Hochschulreife entwickelt. Im Folgenden werden exemplarisch kurz die Standards für den Primarbereich und die für die allgemeine Hochschulreife vorgestellt. In den Bildungsstandards für den Primarbereich (KMK 2005, 6) ist beispielsweise zu lesen:

      Die Entwicklung ihrer Sprachhandlungskompetenz umfasst auch das Nachdenken über Sprache. Dazu ermöglicht der Deutschunterricht den Kindern erste Einsichten in Sprachstrukturen und macht sie mit elementaren Fachbegriffen bekannt.

      In den Bildungsstandards (KMK 2005, 7) werden vier Kompetenzbereiche angeführt, dazu gehört auch der Bereich Sprache und Sprachgebrauch untersuchen mit den Aspekten „sprachliche Verständigung untersuchen“ und „an Wörtern, Sätzen, Texten arbeiten“, wodurch ausdrücklich Grammatikunterricht genannt und auch gefordert wird. Die Bildungsstandards für die allgemeine Hochschulreife (KMK 2012, 20–21) weisen als Kompetenzbereich Sprache und Sprachgebrauch reflektieren aus und geben zur inhaltlichen Konzeption vor:

      Die Schülerinnen und Schüler analysieren Sprache als System und als historisch gewordenes Kommunikationsmedium und erweitern so ihr Sprachwissen und ihre Sprachbewusstheit. Sie nutzen beides für die mündliche und schriftliche Kommunikation (KMK 2012, 20).

      Explizit werden unter dem Punkt „Grundlegendes Niveau“ (KMK 2012, 20) die beiden Aspekte „sprachliche Strukturen und Bedeutungen auf der Basis eines gesicherten Grammatikwissens und semantischer Kategorien erläutern“ und „Strukturen und Funktionen von Sprachvarietäten beschreiben“ angeführt. Schülerinnen und Schüler sollen zum Beispiel lernen, zwischen Form und Funktion eines Wortes zu unterscheiden (zum Beispiel: Die Katze läuft über die Wiese: Katze ist der Form nach ein


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