"Du sollst nicht töten". Ursula Corbin

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könne ihr versichern, dass er ihn erfolgreich vertreten werde. Die Sache sähe diesmal nämlich sehr gut aus für Pablo, nach der neuen Gesetzeslage werde er allerhöchstens noch eine lebenslängliche Strafe erhalten. Allerdings könne er leider gar nichts mehr tun, bevor sie ihm nochmals 50000 Dollar überweise. Und er brauche das Geld so schnell wie möglich.

      Sabine war verzweifelt, diese Summe konnte sie niemals aufbringen, schon gar nicht in ein paar Tagen. Sie bat um Zeit, doch der Anwalt ließ nicht mit sich reden und stellte ein Ultimatum: Entweder sei das Geld in einer Woche da, oder er werde sich nicht weiter für Pablo engagieren. Und genauso verhielt er sich: Ohne Skrupel legte er den Fall nieder.

      Das Gericht war nicht bereit, den Termin zu verschieben, und stellte Pablo einen Pflichtverteidiger zur Verfügung. Dieser hatte gerade sein Studium beendet und keinerlei Erfahrung in Sachen Todesstrafe. Auch schien er recht desinteressiert, besuchte Pablo kaum und sagte gleich zu Anfang, er werde es in den verbleibenden zweieinhalb Monaten wohl kaum schaffen, sich jetzt noch so richtig in den Fall einzuarbeiten.

      Der neue Prozess begann, und der Staatsanwalt forderte nochmals die Todesstrafe. Pablos Pflichtverteidiger sagte kaum etwas während des ganzen Prozesses, er war äußerst schlecht vorbereitet und wusste über viele wichtige Umstände nicht Bescheid. Er berief sich darauf, dass man ihm zu wenig Zeit gelassen habe, diese Hunderte von Seiten durchzulesen, machte keine Einwände und ging etliche Male während der Verhandlung nach draußen, um zu rauchen. Am Schluss hielt er ein äußerst schlechtes und kurzes Plädoyer. Pablo wurde innert weniger Stunden zum zweiten Male zum Tode verurteilt. Unsere Enttäuschung und das Entsetzen waren grenzenlos! Eine Berufung war gesetzlich nicht mehr möglich, jetzt würde Pablo wohl bald ein Hinrichtungsdatum erhalten.

      Pablo wollte nicht sterben, aber er hatte keine Hoffnung mehr. Er ließ sich nichts anmerken, und wir redeten wie immer über alles Mögliche, nur nicht über das, was jetzt unausweichlich schien. Allerdings waren jetzt öfters der Tod und unsere Vorstellungen von dem, was nachher kommt, ein Thema. Immer wieder wünschte er sich, seine beiden Kinder noch einmal zu sehen, sie waren inzwischen erwachsen. Aber der Sohn wollte schon zuvor die Beziehung zum Vater nicht mehr aufnehmen, und mit der Tochter hatte er nur wenig Kontakt in all den Jahren. Beide wollten einfach nichts mehr mit ihm zu tun haben, schließlich hatte er ihnen ihre Mutter genommen.

      Wie erwartet, bekam Pablo nach einigen Wochen den Hinrichtungsbefehl zugestellt. Es wurde ihm im Namen des Staates Texas hochoffiziell mitgeteilt, an welchem Tag und zu welcher Uhrzeit er getötet würde. Er hatte noch drei Monate zu leben.

      Ich besuchte Pablo zwei Wochen vor der Hinrichtung ein letztes Mal. Es ist kaum in Worte zu fassen, was es bedeutet, im Gefängnis für immer von jemandem Abschied zu nehmen. Pablo war ja nicht todkrank, er war ein Mann in mittleren Jahren und gesund. Doch die Geschworenen hatten entschieden, dass er nicht das Recht habe weiterzuleben. Und dabei war es genau dieser Pablo, der in meinen Augen eine zweite Chance verdient hätte. Er war ein herzensguter und freundlicher Mann – der eine katastrophale Entscheidung getroffen hatte. Eine Entscheidung, die ihm alles nahm, was er liebte, und ihn am Schluss auch sein eigenes Leben kostete.

      Den Ablauf der Hinrichtung erklärte er mit einer unglaublichen Ruhe, und wir sprachen wieder über den Tod und das Leben danach – aber auch über seine Beerdigung und all das, was ihn jetzt noch so sehr beschäftigte. Dann kam die Wärterin, kündigte die letzten fünf Minuten an und forderte uns auf, Abschied zu nehmen. Wir konnten nichts mehr sagen, drückten unsere Hände gegeneinander an die Fensterscheibe, schauten uns nur noch an und weinten. Dann hieß es, ich hätte nun zu gehen. Ich winkte ihm noch ein letztes Mal zu und wartete, bis er durch die eiserne Tür verschwand.

      Wie in Trance fuhr ich zurück ins Hotel und blieb stundenlang wie gelähmt auf dem Bett liegen. Man konnte nicht einmal ahnen, wie Pablo sich fühlen musste. Ich hatte mein Flugticket für den nächsten Tag und konnte zurückkehren in mein Leben, ihm blieben nur noch Tage, um von allem Abschied zu nehmen.

      Am Abend von Pablos Hinrichtung waren meine Tochter und ich zu Hause in Zürich. Unerwartet kam ein Anruf aus den USA von Pablo! Man hatte ihm drei Anrufe bei Angehörigen und Menschen erlaubt, die ihm wichtig waren. Auch wenn ich versuche, mich zu erinnern, worüber wir in den zehn Minuten redeten – ich weiß es nicht mehr. Das Einzige, an was ich mich noch erinnern kann, ist, dass er am Schluss noch einen Scherz machte. Er sagte, dass er oben auf mich warte und im Begrüßungskomitee sein werde, wenn ich eines Tages auch an der Himmelstür erscheine … und »Good bye, wir sehen uns wieder«.

      Eine Stunde später war er tot. Vergiftet. Im Namen des Staates Texas.

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