Eine Pandemie verändert die Welt. Walter Swoboda
Читать онлайн книгу.Grippevirus: hier wird jährlich ein neuer Impfstoff hergestellt, der gegen die wahrscheinlichsten Varianten wirksam ist. Wegen der weltweit hohen Anzahl Coronainfizierter und den daraus folgenden Mutationen ist es absehbar, dass sich das auch hier wiederholt. Künftig werden wir uns auf regelmäßige Impfungen mit neuen Kombinationen einstellen müssen, wenn wir geschützt sein wollen.
Bei beiden möglichen Wegen aus der Pandemie bestand bisher große Skepsis, was ihren flächendeckenden und massenweisen Einsatz betrifft. Digitalisierung stößt auf Vorbehalte wegen des möglichen Missbrauchs der DatenDatenmissbrauch. Gentechnisierung wird kritisiert aufgrund ihrer potenziellen Unkontrollierbarkeit, wenn ihre Produkte einmal freigesetzt sind. Beide Innovationen und würden daher ohne COVID-19 noch Jahre bis Jahrzehnte auf den breiten Einsatz warten. Doch die Lage hat sich verändert und wie es aussieht, werden wir die neuen Möglichkeiten nutzen. Mehr noch, es wird zur massenhaften Anwendung kommen, zu einem starken Preisverfall und der weltweiten Verbreitung des damit verbundenen Wissens. Es werden große Datenbanken entstehen, die Information enthalten, wo jeder Bürger zu jedem Zeitpunkt zu finden ist und zu wem er Kontakt hat. Das Tragen von entsprechenden digitalen Devices wird zumindest für diejenigen Personen selbstverständlich werden, die sich im öffentlichen Raum aufhalten wollen oder müssen. Der Einsatz von Gentechnik wird zum Alltag gehören; es werden hunderttausende kleiner und kleinster Firmen entstehen, die sich damit beschäftigen. Die großen Player sind längst auf diesen Zug aufgesprungen.
Andererseits sind die angesprochenen Probleme des gefährdeten Datenschutzes und der potenziellen Unkontrollierbarkeit der Gentechnik keine Hirngespinste. Versuche, die Risiken durch gesetzliche Regelungen einzudämmen, sind zum Scheitern verurteilt und führen zu nicht suffizienten Implementierungen. Denn Kontaktdatenverfolgung kann nur dann funktionieren, wenn alle relevanten Daten gesammelt vorliegen. Diese sind aber grundsätzlich einsehbar und potenziell lässt sich damit Missbrauch begehen.
Und: Die Herstellung genbasierender Impfstoffe führt unweigerlich zur weltweiten Anwendung der GentechnikGentechnik, da die gleiche Technologie verwendet wird. ‚Gentechnik am Küchentisch‘ ist bereits heute machbar, das Internet bietet genügend Anleitungen für BiohackerBiohacker. Ebenso wenig, wie lokale Gesetze in der Lage sind, die Produktion von Computerviren zu unterbinden, wird es möglich sein, alle entstehenden Freizeitaktivisten und Start-ups zu kontrollieren, geschweige denn die multinational operierenden Pharmakonzerne.
Es hat bereits begonnen: Soziale Netzwerke sammeln Daten und verwerten sie kommerziell, ohne dass sich Nutzer in nennenswertem Umfang wehren. Wirtschaftliche Existenzen werden ruiniert, weil Ungleichheit besteht bei der Behandlung von traditionellen und digitalen Geschäftsmodellen.6 Weltweit ist die Gentechnik außer Kontrolle, wie der jüngste Fall von klonierten menschlichen Zwillingen zeigt.7 Oftmals sind weder übergeordnete Organe noch die Bevölkerung ausreichend informiert.8
Wir haben es mit keinem technischen Problem zu tun, sondern mit dem Problem des richtigen Umgangs mit der Technik. Was wir benötigen, sind neue auf breiter Basis akzeptierte und von allen verteidigte Regeln. Nur damit werden wir in der Lage sein, die Pandemie zu überwinden und trotzdem die Freiheit, Selbstverantwortung und Unversehrtheit des Einzelnen zu gewährleisten.
Wir brauchen eine neue EthikEthik, um die Zukunft lebenswert zu erhalten.
Quintessenz
COVID-19 nimmt in der Pandemiegeschichte eine Sonderstellung ein, denn dichte Bevölkerung und Globalisierung begünstigen die Ausbreitung der Erkrankung. Ihre relativ niedrige Mortalität führt zu hoher Ansteckungsrate.
Es sind neue, innovative Methoden notwendig, um die aktuelle Pandemie zu überwinden. Das führt zu verändertem Denken und damit zu einer neuen Gesellschaft.
Impfung mit gentechnisch hergestellten Impfstoffen und digitale Kontaktdatenverfolgung sind aussichtsreiche Kandidaten bei Kampf gegen die Pandemie. Bereits jetzt werden die zugrunde liegenden Technologien (Gentechnik und Digitalisierung) weltweit eingesetzt. Dieser Trend wird sich wesentlich verstärken.
Gegenüber den sich abzeichnenden ethischen Problemen ist die Gesellschaft nur unzureichend vorbereitet. Daher sind neue ethische Prinzipien notwendig, um eine Krise zu vermeiden.
1 Der digitale Aufbruch
Jede neue Technik benötigt einen Auslöser für ihre breite gesellschaftliche Anwendung. Bei der Computertechnik war das die Erfindung des Mikroprozessors, die zu einem enormen Preisverfall führte.
Vor ziemlich langer Zeit, es war 1997, schrieb ich ein kurzes Programm, das E-Mail-Adressen aus einem elektronischen Diskussionsforum extrahierte. Die Software lief einen Nachmittag und ich erhielt eine Liste von 17.000 Adressen; nach Entfernung der Doubletten blieben knapp 9.000 übrig. Das war ziemlich viel.
Heute nutzt fast jeder die elektronische Postelektronische Post. Das Aufkommen hat sich seither ungefähr verhundertfacht1. Momentan gibt es 50 Millionen Nutzer in Deutschland2, 1997 waren es noch 500.000 Personen. Auf meiner Liste erschienen davon immerhin 1,8 Prozent. Dass es illegal ist, die Daten anderer Menschen ohne triftigen Grund zu sammeln, daran dachte damals niemand.
Was meinen Sie dazu?
Ist es bedenklich, anderen Menschen unerwünschte E-Mails zu senden? Es entsteht doch kein Schaden?
SpamSpam3 war noch unbekannt, das änderte sich nun. Ich tat mich mit drei Freunden zusammen, die mit mir am Institut für Epidemiologie an der Universität arbeiteten und wir hatten einen Plan: Wir wollten Fragen versenden und sehen, ob jemand antwortet. Unsere Idee war, die damals üblichen Umfragetechniken zu revolutionieren, denn wie uns aus der eigenen Arbeit sattsam bekannt war, machen Interviews oder Fragebogenaktionen auf Papier unglaublich viel Aufwand. Aber die Erhebung von Gesundheitsdaten der Bevölkerung gehörte zu unseren Hauptaufgaben. Eine digitale Umfrage ist da viel einfacher: Das Versenden geht schnell, ist praktisch kostenlos und die Antworten liegen bereits maschinenlesbar für die weitere Verarbeitung vor. Also entwarfen wir eiligst einen Fragebogen und versandten ihn am folgenden Werktag, einem Freitag. Ergebnis: Der Server der Uni war das ganze Wochenende komplett blockiert. Ich hatte deshalb am darauffolgenden Montag ein eher unangenehmes Gespräch mit dem Leiter unseres Rechenzentrums und wir wurden für kurze Zeit bekannt als die übelsten Schurken des Internets.
Aber wir hatten, was wir wollten: Erstaunlich viele Menschen antworteten und wir konnten das Ganze in einem wissenschaftlichen Artikel4 veröffentlichen. Nach meinen Informationen waren wir damit tatsächlich die Ersten, die (unerwünschte) Post elektronisch versendeten. Das Papier ist reichlich technisch geraten, da uns hauptsächlich die Methode interessierte und weniger die Ergebnisse. Aus heutiger Sicht sehr schade, denn die Resultate waren verblüffend.
Wir stellten folgende Fragen (ursprünglich in Englisch):
Was sind die größten Probleme der Menschheit in den nächsten 10 Jahren? Auswahl: Umweltzerstörung, Überbevölkerung, Unterentwicklung, Klimaänderung, Kriege, religiöser Extremismus, Korruption und Infektionskrankheiten)
Was könnte zur Lösung dieser Probleme beitragen? Auswahl: Alternative Energien, Computertechnik, Gentechnik und bessere Ausbildung
Geantwortet haben 20 Prozent, also 1713 Personen, eine gute Quote. Auf Erinnerungen oder Nachfassaktionen haben wir übrigens verzichtet, da wir nicht wollten, dass unser Ruf weiter leidet.
Die Antworten auf die erste Frage waren relativ gleichmäßig verteilt, wobei Umweltzerstörung, Gewalt, Unterentwicklung und Überbevölkerung die Spitzenplätze einnahmen. Die Befragten konnten sich offenbar nicht so recht auf ein Problem einigen. Bemerkenswerter sind die Antworten auf die zweite Frage: 71 Prozent (!) aller Teilnehmer waren der Meinung, dass die AusbildungAusldung der Menschen ein wesentlicher Grundpfeiler zur Lösung der anstehenden Probleme ist. Dabei gab es keinen Unterschied bezüglich der Heimatorte,