Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder


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wirſt du allen allerlei, wenn die Andachtsſeufzer ſich bei dem Leſen deiner Schriften mit dem Gaͤhnen ſatter und bequemer Zuhoͤrer vermiſchen koͤnnen. O wenn man die Stoͤße von Deutſchen Monats-und Wochenvon Lehr und Troſt-und Erbauungsund Luſtreichen Schriften ſiehet, die vormals und auch noch jetzt gelobt, geſucht und geſchmiert werden: muß man nicht ausrufen:

      O curas hominum, quantum eſt in rebus inane!

       Heic aliquis, cui circum humeros hyacinthina laena eſt,

      Rancidulum quiddam balba de nare locutus Phyllidas, Hypſipilas, vatum et plorabile ſi quid Eliquat, et tenero ſupplantat verba palato Aſſenſere viri ‒ ‒ ecce inter pocula quaerunt Romulidae ſaturi, quid dia poemata narrent.

      Daher traͤgt ein Chriſt am Sonntage, und ſo viel Baͤnde Andachten, und Erholungen und Zerſtreuungen, und Briefe, und — den Preis wegen der Deutlichkeit davon: ſie ſchreiben fuͤr die lange Weile des Publikum: ihre Buͤcher ſind alſo des Cedernoͤls und Marmorbandes werth, und auf ihrem Grabe werden, nach dem Spott des Perſius, Roſen und Violen wachſen. Jch fuͤhre keine namentlich an; ich muͤßte Aerzte, und Aufſeher und Greiſe ꝛc. auch nennen, und fuͤr dieſen Staͤnden habe ich alle gehoͤrige und moͤgliche Ehrfurcht.

      Koͤnnte unſer Publikum in ſolchen Schriften denn nicht wenigſtens Franzoͤſiſch ausgebildet werden? Uns fehlen freilich witzige Aebte, Damen, die den Ton angeben, Modeſchoͤnheiten, denen man zu Gefallen, wie Carteſius ſeine Wirbel, Einfaͤlle erfinden kann! Aber das alles koͤnnte man entbehren, oder ſich anſchaffen, wenn man nur wollte; aber —

      Wo bliebe alsdenn die Deutſche Gruͤndlichkeit? Ja! das hatte ich vergeſſen! Nun muß man wahrhaftig die Augenbraunen zu einer Wolke zuſammenziehen, um der Pallas nachzuahmen, wenn ſie bei den Griechen, als Erregerin des Volks erſchien

      ‒ ‒ γλαυκωπις Αϑηνη

       Η σειουσα λαον ‒ ‒

      Die Schriftſteller des ernſten Helvetiens, Sveviens, und Frankenlandes muͤſſen in dem Toil ihrer Vaterſtadt ſchreiben, und nicht wie die Menſchenkinder in ganz Deutſchland. Jn religioͤſen Geſpraͤchen, vornehmlich wenn ſie im Reiche der Todten ſind, in Spartaniſchen Betrachtungen uͤber die Lykurgiſche Geſezgebung, darf ſich der Verfaſſer freilich nur denen verſtaͤndlich machen, die ihn verſtehen ſollten (nicht wollten; hier liegts nicht an jemandes Wollen oder Laufen, ſondern am Praͤdeſtinirten Sollen). So erſcheint die Pythiße, in einer heiligen Rauchwolke: die Haare ſtraͤuben ſich: der Mund murmelt Worte, nur denen verſtaͤndlich, die ſie verſtehen ſollten:

      Obſcurum verborum ambage novorum

       Ter nouies carmen magico de murmurat ore.

      Jndeſſen, wir arme, ungeweihete Leſer! denken, als λογωδεου μενοι uͤber dieſe Dunkelheit folgendes:

      Entweder es iſt ein eigenſinniger Zwang, gruͤndlich zu ſcheinen, wie jenes Pferd die Epilepſie bekam, um ein Elendthier zu werden, und mancher ein Hyp-Hypochondriſt iſt, um ein Philoſoph zu ſeyn. Dieſem Herrn rufen wir doch endlich zu:

      Jch wußt es wohl, daß es ein ‒ ‒ ‒ war.

      Oder es ſind wirkliche Urſachen der Dunkelheit, die an dem Verfaſſer liegen: und dieſe ſind: die Dunkelheit ſeiner Begriffe ſelbſt: die kann man meiſtens, zehn gegen eins, angeben, wenn auch dem Ganzen des Werks Anlage, und der Beſtimmung der Jdeen Genauigkeit fehlt:

      Cui lecta potenter erit res,

       Non facundia deſeret hunc, nec lucidus ordo.

      Alles dies entſpringt alsdenn aus einer Quelle: man ſieht den Geiſt des Verfaſſers, in dem, wie im Chaos des Ovids noch die Elemente der Jdeen, in einiger harmoniſchen Uneinigkeit ſchlummern, und in einer uneinigen Harmonie ſich zur Bildung draͤngen. Jſt ein ſolcher Schriftſteller noch ein junges Genie, ſo iſt es nicht zu verwundern. Es iſt ein Blinder, der noch Menſchen als Baͤume ſieht: der Kunſtrichter verſuche die geduldige Cur, ſeine Augen zum Licht zu gewoͤhnen. Die Kinder ſollen deſto beſſer reden, die ſpaͤt, und ſchwer lernen, und ſolche Dunkelheit iſt dreimal beſſer, als jenes langweilige Plappern, mit vielen deutlichen Worten nichts zu ſagen. — Einem Alten iſt nun freilich der Staar ſchwerer zu ſtechen.

      Noch oͤfter ruͤhrt dieſe Dunkelheit her, von einer Stubengelehrſamkeit, die durch den muͤndlichen Vortrag nicht hat lebendig werden koͤnnen. Durch den muͤndlichen Vortrag wird man deutlich: man lernt den beſten Geſichtspunkt, faßlich zu ſeyn, bemerken: ſo lernte Sokrates von ſeiner Aſpaſie Weisheit und Vortrag: ſo lerne es der Lehrer in dem Kreiſe ſeiner Zuhoͤrer, wenn er ſie nicht als Maſchinen behandeln will: ſo trete der Gelehrte in die große Welt, um ſich ſeiner Cathederſprache zu entwoͤhnen: er erinnere uns nicht ſo oft, daß er vor ſeinem Schreibepult ſizzet; er geſelle die Deutſche Arbeitſamkeit und Genauigkeit zur Franzoͤſiſchen Freiheit; denn wird er mehr ſeyn, als ein Franzoͤſiſcher Abbe, mehr als ein fader Kanzelredner, mehr als ein Zeitungsſchreiber; kurz! mehr als eine waſchhafte Sibylle, die wohlriechende, oder heilige, oder neue und rare Kraͤuter zum Verkauf traͤgt; er wird mehr, aber doch nicht auf Koſten der Deutlichkeit.

      Si qua Dea es, tua me in ſacraria dono!

      17.

       Inhaltsverzeichnis

      Aber Engliſche Ueberſezzungen haben ihnen das Gleichgewicht gehalten, und auch dies zum Vortheil der Denkart, weil unſer Genie ſich mehr auf die Brittiſche Seite neigt, und wir durch die Engliſche Staͤrke die Franzoͤſiſche Leichtigkeit nahrhaft machen. Da die erſten Ueberſezzungen aus dieſer Sprache, die ſo voll von Beiwoͤrtern und Schilderungen iſt, Poetiſche Proſe enthalten muſten: ſo ward dadurch wider Willen der Ueberſezzer jener holprichte Proſaiſch-Poetiſche Stil eingefuͤhrt, der unſrer Sprache gar nicht angemeſſen iſt. Ganz Deutſchland theilte ſich in drei Haufen: die Hexametriſten, als Reuter mit


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