Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder


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ergreife dich, du Todesbote!(schüttelt ihn heftig)

      Francesco. Vollende dein Werk; du hast mich dem Verderben gezeugt.

      Ugolino. (zum Sarge gehend) Und ist sie tot? O Gianetta! bist du tot? Tot? tot?

      Francesco. Rede du zu unserm Vater, Anselmo. Rede zu ihm.

      Ugolino. Was hier? Mein Bild an ihrem Herzen? Ach! sie war lauter Liebe und erhabne Gütigkeit! Sie vergab mir mit dem letzten stillen Seufzer ihres Busens. Es ist feucht, dies Bild; feucht von ihrem Sterbekuß. (Er küßt das Bild) Und küßte meine Gianetta ihren Ugolino in der richterlichen Stunde? Wie freundlich war das! wie ganz Gianetta! Ihr Tod muß sanft gewesen sein, mein lieber Francesco.

      Francesco. Ihr Tod war ein sanfter Tod.

      Ugolino. Gott sei gelobt! Ihr Tod war ein sanfter Tod. Ich danke dir, Francesco. Sie küßte ihren Ugolino in der Stunde ihres sanften Todes. Aber sieh her, Francesco. Dies Bild gleicht deinem Vater nicht recht. Das Auge ist zu hell, die Backe zu rot und voll. Ihr seid die Abdrücke dieses Bildes; aber keine Wange unter diesen Wangen ist rot und voll. Ihr seid blaß und hohl, wie die Geister der Mitternachtstunde. Ihr gleicht diesem Ugolino, nicht dem. Ah! ich muß hieher sehen.

      Francesco. Wir sind vergnügt, mein Vater, wenn du zu uns redest.

      Ugolino. Daß sie mein Bild an ihrem Herzen trug; daß sie sich ihres Ugolino nicht schämte, mein Sohn, als sie vor ihre Schwester-Engel hintrat; daß sie mit ihrem Sterbekusse meine Flecken abwusch: ach liebes Kind! wie erheitert mich das! wie gütig, wie herablassend war es! Aber sie hat mich immer geliebt. Kein pisanisches Mädchen hat zärter geliebt. Sie war die liebreichste ihres Geschlechts.

      Francesco. Und hier diese diamantne Haarnadel, mein Vater, mit der sie nur an dem Jahresfeste ihrer Vermählung ihr duftendes Haar zu schmücken pflegte –

      Ugolino. Es ist mein Angebinde. Geschmückt wie eine Braut entschlief meine Gianetta. Sie lud mich ein: hier liegt ein Brief an ihrem keuschen Busen. Nie ist ein Liebesbrief geschrieben worden, wie dieser. Ha! es ist meine Hand! Der letzte Brief, den ich aus diesem elenden Aufenthalte an sie schrieb!(er will den Brief nehmen; Francesco springt zu, und zerreißt ihn)

      Francesco. Du mußt den Brief nicht sehn, mein Vater –

      Ugolino. Den Brief?

      Francesco. Er ist furchtbar, wie der Tod! Die Natter hat ihn getränkt.

      Ugolino. Mein Brief?

      Francesco. Tod ist sein Hauch.

      Ugolino. Mein Brief?

      Francesco. Er fiel durch die Treulosigkeit des Thurmwärters in Ruggieris Hände: du weißt genug.

      Ugolino. Richter im Himmel! –

      Francesco. Nie hat die Hölle einen giftigern Aspik an des Arno versengten Strand ausgeworfen, als der Gherardescas Worte zur Pest machte.

      Ugolino. O ich erliege! Mein Brief?

      Francesco. Sie trank die Züge deiner werten Hand in sich – ah Getäuschte! Sie drückte den geliebten verrätrischen vergifteten Brief an ihr Herz –

      Ugolino. Widerrufe, Francesco.

      Francesco. Ungefürchtet wirkte die verborgne Natter fort; in jede Nerve, in jede kleinste Blutader, in jeden liebevollesten ihrer Blicke sandte Ruggieri seinen Tod, und mit dem trübentfliehenden Tage, früher als der Abend sich neigte, eilte ihr Geist zum Himmel auf.

      Ugolino. Widerrufe, junger Mensch; widerrufe deine Verleumdungen. Mein Brief, sagst du? – Wehe mir! dem Gedanken erlieg ich!

      Francesco. Ich habe dir noch zu wenig gesagt. Daß ein Blitz Gottes den Verruchten in den untersten Pfuhl der Vergiftung hinunterschleudre! hinunter! wo scheußliche Dünste siebenfachen Tod brüten; wo das Antlitz der Natur von Volkanen und Pestilenzen versehrt ist! daß sein Leib verdorre, wie eine Otterhaut, und eine Gewissensangst nach der andern seine Seel ergreife! Ach mein Vater! mein Vater!(er umfaßt seines Vaters Kniee ängstlich)

      Ugolino. Ich errate. Deine starren Blicke in wilder Verwirrung, dein straubigtes Haar, deine schlotternden Kniee, die aschgraue Verzweiflung deines Angesichts, jeder Ton, jede Bewegung lehrt mich, daß noch eine Nachricht ist, vor der die Menschlichkeit zurückbebt. Verbirg sie, mein Sohn, verbirg sie diesen Schwachen. Und du, Francesco, sei standhaft.

      Francesco. Mein Kelch ist geleert. Wie glücklich, wenn deine und meiner Brüder Leiden mir in die Grube folgten! Könnt ich sie mit dir teilen, mein Vater, so wär ich beneidenswürdig!

      Ugolino. Du bist ein edler Jüngling. Vergib mir, ich kannte deinen Wert nie bis itzt.

      Anselmo. (greift Gaddo wild an) Wir sind betrogen!

      Gaddo. Ist's denn meine Schuld?

      Ugolino. Dieser Knabe ist heftig, wie ein Mann.

      (Anselmo geht ab)

      Rede, Francesco. Komm her. Erst laß uns diesen Sarg verschließen. Ruhe wohl, heiliger Staub, bald will ich deiner würdiger sein. Genug. Nun rede.

      Francesco. Ah, Gherardesca! Du hast der Schritte noch viele bis ans Ziel! und schwere!

      Ugolino. Gherardesca soll sie tun. Sei nicht traurig. Wie weiter?

      Francesco. Was kann ich? was darf ich sagen?

      Ugolino. Ist das Todesurteil über dich und deine Brüder gesprochen?

      Francesco. Du wirst fallen, wie der Stamm einer Eiche, alle deine Äste um dich her gebreitet.

      Ugolino. Ist es über dich und deine Brüder gesprochen?

      Francesco. Gesprochen über alle! Vollzogen an mir!

      Ugolino. Wie meinst du das?

      Francesco. Ich bin zu glücklich. Ich habe meinen Kelch geleert.

      Ugolino. Man hat dir einen Giftbecher gereicht?

      Francesco. Ich habe ihn geleert.

      Ugolino. (mit starken Schritten, auf und ab gehend) Es gibt mancherlei Todesarten, mein Sohn. Kein Geschöpf ist sinnreicher, Todesarten zu erfinden, als der Mensch. Ich will dir nur eine nennen. Der Erzfeind hätte seine Freude daran finden können, mir ein Glied nach dem andern absägen zu lassen, erst die Gelenke an den Zehen, dann die Füße, dann die Beine, dann die Schenkel; so stünde ich Torso da: und nun setzte man mir das zackigte Eisen an die Finger, die Hände, die Arme, eins nach dem andern, mit Ruhezeiten, daß der Zeitvertreib nicht zu kurz dauerte; ganz zuletzt zerstieße man mir, nicht aus Mitleid! das wunde Herz, bis ich in meinem Blute erläge, das mit viel Schweiß herabränne, aber nicht mit Tränen! Wie könnt ich weinen? Man sollte denken, dieser Tod sei schon unterhaltend genug: allein der Erzfeind hat's besser überlegt. Hier würde ich an meinem eignen Fleische leiden: eine Kleinigkeit! Ich soll in meinen Kindern langsam sterben, eine volle Weide an eurer Marter nehmen, und dann fallen! Mein Weib mußte erst fallen, durch die Worte meiner Liebe fallen, in diesem Sarge hergeschickt werden, du ihr Vorläufer, dem Tode geopfert, aber später zum Grabe reif! O es ist der Hölle so würdig! Doch ich will nicht murren! Aber warum mußten diese Unschuldigen leiden? Warum du? warum mein Weib? warum durch den großen Verführer? womit hatt ich ihn beleidigt? Pisa konnte mich strafen, um Pisa hatt ich's verdient: aber womit um ihn? Ich hielt ihn für meinen Freund; ich hätt ihn lieben können; allein sein teuflisches Herz enthüllte sich mir zu bald. O schändliche Eifersucht über einen dreimal schändlichern Gegenstand! Fürchtete er, daß ich Ruggieri sein könnte, wenn ich Ruggieris Macht hätte? Heimtückischer zähneblöckender Neid! Erstgeborner der Hölle! und Erstgefallner! Aber warum mußt ich durch den großen Neider fallen? warum er nicht? warum reichte die Vorsehung ihm, unter allen Verworfensten der Schöpfung nur ihm – nur ihm – nur ihm – o es verwundet jeden Gedanken meiner Seele! – warum nur ihm ihre Geißel?

      Francesco. Um das Maß seiner Verdammnis ganz vollzufüllen.

      Ugolino. Ist es denn wahr, himmlischer Vater! Doch nein! nein! ich will nicht murren! Rechtfertige du die Wege der Vorsicht.

      Francesco. Innerhalb einer Stunde hoff


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