Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder
Читать онлайн книгу.gekannt zu haben; allerdings unterschreibe ich alsdenn: Iri cum Ulysse concertatio epici carminis gravitatem minime decet. Wer aber, der Homer auch nur aus der Uebersetzung kennet, wird dies finden? Der arme Ulysses, so weit herunter gekommen, daß er vor seiner eignen Thüre in Ithaka endlich, als ein elender zerlumpter Bettler, anlanget: und, siehe da! stößt ihm ein andrer Bettler in den Weg; ein Bettler von einer ganz andern Art, der fräßige, nichtswürdige Irus. Dieser Lüderliche will jenen ehrwürdigen Greis von der Thüre wegdrängen, wegstoßen, wegschrecken; und Ulysses, jetzt nichts, als ein Bettler, antwortet ihm so ruhig, so unneidisch, aber auch mit solcher gesetzten Fassung, daß der andre, wie es auch bei gelehrten Bettlern gewöhnlich ist, nur zu Schimpf- und Scheltworten seine Zuflucht nimmt. Der anwesende Antinous hört den Bettlergoliath, freut sich nach seinem Charakter darüber, erzälts den Freiern der Penelope, und hat den lustigen Einfall: der Junge und Alte sollten kämpfen – freilich ein Einfall, den nur die Seele eines Antinous für schön halten, und nur Schwelger, wie seine Mitgenossen, billigen konnten. Der unerkannte Greis redet wider die Unbilligkeit des Vorschlages, den man ihm, einem alten Manne, thue; aber, da hier die Sache seiner Ehre, als Bettler betrachtet, und als ein Hungriger die Sache seines Magens im Spiele ist: so fasset er Entschluß. Er gürtet sich, und selbst die üppigen Zuschauer bewundern den Bau seines Heldenkörpers. Er erwäget, ob Ein Schlag seinem zitternden, schwachen, und aus Fräßigkeit entnervten Gegner den Tod geben solle; und seine Großmuth spricht das mildere Urtheil. Er schont des Elenden: ein Backenstreich ist zu seinem Siege, zu der Entwafnung seines unwürdigen Feindes gnug: da liegt der jämmerliche Mensch blutend und ohnmächtig. Ulysses richtet ihn an die Wand auf, und giebt ihm seinen Bettlerstab in die Hand, um Hunde weg zu wehren, nicht um über Bettler den Herrn spielen zu wollen.
Was ist nun in der Geschichte Unwürdiges, Unanständiges für den Ulysses? Daß er zum Bettler herunter gekommen? So muß man den ganzen Lauf der Odyssee, das Subjekt des ganzen Gedichts ändern. So muß die Muse Homers gar nicht den besingen, den sie besingen wollte:
ανδρα πολυτροπον – – ος μαλα πολλα
πλαγχϑη – – –
Πολλων δ᾽ ανϑρωπων ιδεν ασεα, και νοον εγνω
Πολλα δ᾽ ο γ᾽ εν ποντῳ παϑεν αλγεα ον κατα ϑυμον
Αρνυμενος ην τε ψυχην – – –
So schreibe man eine bessere; anständigere, artigere Odyssee, die ihren Helden im Wohlstande lasse, ihn in dem Arme einer Göttin nach Ithaka trage, auf ein weiches Polster setze, und was man mehr für Decenz hinein zu bringen wisse. Ich mag sie nicht lesen, kein Grieche wird sie lesen wollen.
Oder ists unanständig, daß Ulysses sich dem unverschämten Bettler nicht gleich, als Herr des Hauses, als Ulysses, als König entdecket – wahrlich! eine würdige, sehr gelegene, sehr glaubwürdige, sehr Epische Entdeckung!
Oder, daß Ulysses den Freiern bei seiner Penelope sich nach ihrem Zumuthen mit einmal verrathe? Wieder ein würdiger Verrath, der nichts mehr, als den ganzen Lauf der Odyssee, stört.
Oder, daß er keinem Bettler begegne? So wird aber in der sich nähernden Entdeckung eine Lücke; und ein Hauptaugenmerk Homers verschwindet, daß der ανηρ πολυτροπος sich auch in dieser tiefsten Situation, als ein Ulysses πολυτροπος zeigen sollte.
In dem sich zubereitenden Ausgange geschieht ein Sprung – und ich mag diesen Sprung nicht. Ich will gerne den Ulysses, als einen Bettler, sehen, wenn er auch nur in diesen Kleidern meine Achtung, als Ulysses, sich zu erwerben weiß; und wie sehr weiß er dieses? So, wie bei seiner Gürtung und Entblößung, seine Heldenhüfte, seine erhabne Brust, seine starken Arme, sein vester Rücken den Helden auch im Bettlersrocke verrathen:12 so soll dieser Sieg vor der Schwelle, und vor den Augen seiner schwelgerischen Feinde das Vorzeichen seyn von größern Thaten im Hause, von unerwartetern Entwickelungen. Nichts ist, was den großmüthigen und tapfern Ulysses auch hier erniedrigt; vielmehr würde mit Auslassung dieses Auftrittes, die Steigerung seiner Enthüllung, und der sanfte allmäliche Fortfluß der ganzen Odyssee gehemmet.
Wo ist nun das Belachenswerthe, das Unanständige? wo ists insonderheit, nach den Sitten Ulysses, nach den Zeiten, nach dem Zwecke Homers? Ich woll te, daß es Hr. Kl. zeige.
Eben so wenig finde ich die Neden in dem Munde Gabriels, auch nur einem Zuge nach, belachenswerth und unwürdig seiner Größe: denn eben die verächtliche Begegnung gegen den dumm spottenden Satan ist die Mine seiner Hoheit –
– the warlike Angel mov'd,
Disdainfully half smiling thus reply'd etc.
Ich fühle in seinem Betragen so wenig Hervorspringendes, und so viel charakteristischen Gegensatz zwischen ihm, und seinem Gegenparte, daß ich mit Addison gern diesen Wortwechsel für einen der charakteristischen im ganzen Milton halte.
Der Charakter Achilles sey so groß in seinen Fehlern, als in seinen Tugenden; diese Fehler gehören zu einer Griechischen Heldenseele, zu einem Achilles; aber wahrhaftig belachenswerth, unwürdig, unanständig sey er nicht, und wo ist ers? Nur nehme man ihn, und jeden Helden einer Epopee nach den Begriffen seines Landes, und seiner Zeit; sonst kann freilich ein ehrbarer, seiner und ernsthafter Kunstlichter einen höhern Aether zum Athemholen nöthig haben, um einen Ulysses, wie einen aus der Canaille in Bettlerskleidern, und nicht in einem ansehnlichen Carosselle etwa, oder mit prächtiger Equipage, zu sehen – –
Doch ich kehre um: wenn eine würdige Epische Person nicht belachenswerth seyn muß, darf sie auch selbst nicht lachen? Welche Frage! welche Verwirrung der Begriffe! Muß ein Held die Würde seines Epischen Charakters dadurch behaupten, daß er, wie ein Karthäuser, nur sein memento mori! ernsthaft und sauertöpfisch grunze? Vergeben die Götter dadurch ihrer himmlischen Hoheit, daß sie lachen? Stört Homer damit die feierliche Harmonie seines Gedichts, daß seine Griechen über den häßlichen Thersites nach seiner Züchtigung lachen? O die abentheuerliche Mönchsfeierlichkeit! So wollen wir das Wort γελαειν, mit allen seinen Abkömmlingen, aus Homer ausstreichen: so wollen wir die Mine des Disdainfully half-smiling von dem Antlitze des herrlichen Miltonischen Engels wegwischen, und in tiefe kritische Runzeln verwandeln: so soll aus der ganzen Iliade ein Gothisches Kloster, und aus seinen Helden eine Reihe feierlicher Prälaten werden, denen der Ernst häßliche Falten in die Stirne gekniffen, und die, wie der vortrefliche Hudibras –
a Knight he was, whose very Sight wou'd
Entitle him Mirrour of Knighthood
That never bow'd his stubborn Knee
To any Thing but Chivalry
His tawny Beard was th' equal Grace
Both of his Wisdom and his Face – –
Alsdenn, alsdenn wollen wir diese hochansehnlichen Personen, die Geschöpfe unsrer Ehrbarkeit, mit dem zufriednen Blicke ansehen, als unser Homerist, da er den Thersites aus Homer, in einer glücklichen Stunde seines Kopfs, auswerfen wollte, und zu sich selbst sprach:13 »wie aber, wenn wir diesen Menschen hinaus würfen, und alle Verse wegschnitten, die von ihm handeln; laß sehen, ob wir nicht ernsthaft bleiben werden? nonne retinebimus animi gravitatem? –« Herrlicher Einfall! »wer lachen will, soll in einer Satyre und Komödie auftreten, nicht in einer Epopee – in gravi ridere, quis decere existimat?« herrlicher Einfall!
Ich thue es ungern, daß ich Hrn. Kl. Epischen Verboten so etwas Schuld geben muß; aber wie kann ich anders? Er führt ja Beispiele, wo kaum das Wort Lachen im Texte Homers steht, ohne zu untersuchen, ob wir, ob der Leser lache? ob eine Person sey, mit der wir Theil nehmend lachen? ob