Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder
Читать онлайн книгу.– vortreflich! So Milton, so Young, so oft die Dichter der Offenbarung!
Es kann nichts, als ein Rest der Lieblingssekte seiner Jugend2 gewesen seyn, wenn Hr. Kl. jeden Mythologischen Namen, jedes fabelhafte Gleichniß aus Christlichen. Gedichten, als gottlos, falsch, ungereimt, lächerlich, abergläubisch auskratzen will. Abergläubisch? Muß ich denn einen Pluto glauben, wenn ich mich mit Milton an die schöne Flur (und an nichts mehr, als an die schöne Flur,) erinnere, wo er seine Proserpine entführt haben soll? Lächerlich? Nun warum denn, wenn ich mit einer Erinnerung an den küssenden Jupiter große Ideen erwecke? Lasset Jupiter vorjetzt nur der höchste Held seyn, den ein Dichter, denken konnte; wie erhöht das Miltons Adam! Ungereimt? Falsch? An sich selbst immer! aber der historische oder Allegorische Sinn, in dem ich sie anziehe, der ist nicht ungereimt, der ist nicht falsch! Und endlich gottlos? Nun ja doch, ja! und ich glaube es Herrn Klotzen so, als wenn ich ihn noch in der Vorstadt zu Görlitz3 predigen hörte; allein Hr. Klotz wird alsdenn seinen Collegen kennen, der Abbten auch der Sünde wider den heil. Geist beschuldigte, weil er eine nichtswürdige Satyre verdeutschet hatte? Ich sehe in Milton, Young, und im vierzigsten Kapitel Jesaia, was mich anbetrifft, nichts Gottloses.
4. Aber viertens: wo in einem Christlichen Gedichte die Mythologie keinen Poetischen Nutzen schaffet; allerdings, da bleibe sie weg, denn jedes Müßige, jedes der Poetischen Wirkung Widrige muß wegbleiben. Ich danke also im Namen aller wahren Poeten eines h. Sujets Hrn. Klotzen freundlich für die Erlaubniß; »doch Neptun für das Meer, und Ceres statt Brot, und Vulkan statt Feuer, und Lyäus statt Wein, auch im geistlichen Gedichte sagen zu können; denn diese Worte hätten schon ihre Mythologische Kraft verlohren; sie brächten aber eine nicht geringe Eleganz in das Gedicht.« Elende Eleganz! eben wo sie ihre alte Kraft abgelegt haben, und blos als Wortschmuck gelten; da wirds gerade das erste Gesetz des wahren Dichters, zumal des heiligen Dichters, den Bettel wegzuwerfen.
Ich sammle das Herausgebrachte, und da zeige ich ja doch beinahe ein Facit mit Hrn. Klotzen auf? Nicht völlig; und am meisten ist die Rechnungsart verschieden, wie wir unser Facit herausbringen. Hr. Kl. thut einen Machtspruch: kein Zug der Mythologie komme in ein geistliches Gedicht! ich nehme nur die Freiheit, den Satz so einzuschränken, daß er bei jedem Unwahrscheinlichen in der Poesie gelten muß. Hr. Kl. giebt statt Gründe die Namen: heidnisch, gottlos, fälsch, abergläubisch, dumm, lächerlich, ungereimt; ich darf sagen: immerhin! wenn es nur hier nicht unwahrscheinlich, unpoetisch, der Illusion entgegen ist; befördert es diese – vortreflich! Hr. Kl. tadelt die größesten Dichter; ich entschuldige einige, und rette sie aus ihrer Zeit; andre lobe ich, und könnte eine Abhandlung geben: »von der vortreflichen Würkung fremder Religionsideen in einem Christlichen Gedichte!« Hr. Kl. erlaubt die Mythologie nirgends, als wo sie aus dem gradu ad Parnasum geborgt, eine Blumenlese Poetischer Phrases ohne Mythologischen Sinn sey; ich warne vor nichts so sehr, als vor solcher sinnlosen Mythologie, vor solchem Mythologischen Unsinne! Hr. Kl. hat fromm und Christlich geschrieben; ich wünschte, als Kunstrichter der Poesie, gründlich, und nach dem Gefühle Poetischer Leser geurtheilt zu haben. So gehe ich über diese Materie mit Hrn. Kl. aus einander.
1 p. 56. bis 86. auf jeder Seite.
2 Pro ingenii sui – favebat maxime Zinzendorfianorum partibus, nihilque aliquoties propius abfuit, quam ut corum sodalitati nomen daret. Harles. vit. philolog. in vita Klotzt. p. 184. P.I.
3 Gorlitii cum esset, dixit saepius in villis suburbanis pro sacris rostris ad populum, quod etiam aliquoties in patria (Ei ja!) ab illofactum est.Harles. vit. philol. ibid.
VII.
War sie aber so langer Untersuchung werth? Ich glaube: denn welchen Bethlehemitischen Kindermord würde Hrn. Kl. Verbot in dem Erhabensten unsrer geistlichen Dichter stiften! und unsre geistlichen Dichter (eine Gattung Poesie, in welcher wir Deutsche nur den Britten nachstehen) sind die Ehre unsrer Nation.
Der Heiligste unter allen, Klopstock, und das heiligste Gedicht desselben, der Meßias! Aber von welcher Wirkung ist die heidnische, die Mythologische Römerin in demselben,1 Portia! Wie, wenn sie zu beten anfängt:
– – – Mit aufgehobnen ringenden Händen
Stand sie mit Augen, die starr zum dämmernden Himmel hinaufsahn,
Und so zweifelt' ihr Herz: O du, der Erste der Götter!
Der die Weit aus Nächten erschuff, und Menschen ein Herz gab!
Wie dein Namen auch heißt, Gott! Jupiter! oder Jehovah!
Romulus oder Abrahams Gott! – – –
Ist er dir so festlich, der Anblick, die leidende Tugend,
Gott! von deinem Olympus zu sehn? Er ist es den Menschen! u.s.w.
Sie fährt mit diesem hohen Gefühle zu beten fort, und ich bin über das Herz der Christlichen Leser des Meßias gewiß, daß dasselbe nur selten eine so hohe Stuffe der Bewunderung Jesu erreicht haben wird, als mit diesem heidnischen Gebete.
Portia erzält ihren Traum:2 die Erscheinung des Sokrates! – – Himmel! wo gehört Sokrates, der heidnische. Sokrates, in einen Meßias? Und doch weiß ich, baß dieser Traum, um mit Klopstock zu reden, sich, vor vielen Episoden des Meßias, in die Seele des Lesers gießen, und immer aus den Lieblingsgedanken, die er am feurigsten denket, neue Gedanken entwickeln wird,
– – in seinem Herzen die feinsten
Zartesten Saiten gewisser zu treffen, und ganz ihn zu rühren.
Schon wenn Portia anhebt: – –
Sokrates ... zwar du kennst ihn nicht; aber ich schaure vor Freuden,
Wenn ich ihn nenne! das edelste Leben, das jemals gelebt ward,
Krönt' er mit einem Tode, der selbst dies Leben erhöhte!
Sokrates ... immer hab' ich den Weisen bewundert! sein Bildniß
Unaufhörlich betrachtet, ihn sah ich im Traume. Da nannt' er
Seinen unsterblichen Namen: Ich, Sokrates u.s.w.
Wenn Hrn. Kl. einzige Ursache gelten soll: »das Heilige soll nicht mit den Unheiligen vermischt werden!« so müßten diese Episoden aus Meßias weg, und mir sind sie unter den theuersten.
Klopstocks Salomo! Ein Biblisches Sujet, und alle Leser haben mit mir, den Contrast der heidnischen Scenen für das Rührendste im ganzen Trauerspiele gehalten. Wenn Salomo rühren soll: wie anders, als durch seine heidnischen Zweifel. Wie, wenn der Trostlose klaget:
Hülfe! Selber meine Freunde
Vermögens nicht. –
Ein Rauch, dem Feind' ein süßer Opferdampf,
Mag dieses Haus verstiegen! meine Kinder
Zerschmettert werden – – –
– – ich will es leichter tragen,
Als was mir unter deiner Flügel Schatten,
O Friede! dies mein Herz verzehrt – das Leben
Zum Tode macht! und kaum des Müden Zuflucht
Den Tod noch bleiben läßt! Sie ist dahin
Die Herrlichkeit, die mir gegeben ward!
Dahin