Einführung in die systemische Sandspieltherapie. Wiltrud Brächter

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Einführung in die systemische Sandspieltherapie - Wiltrud Brächter


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in die Therapie einzubringen, die oft sprachlich von ihnen nicht benannt werden könnten. Dies beteiligt sie an der Auftragsklärung, die von Elternseite her meist auf eine Beseitigung von Symptomen ausgerichtet ist (Rotthaus 2003). Solche Aufträge können nach systemischem Verständnis nicht unhinterfragt angenommen werden: Symptome werden systemisch auch als Weg verstanden, über den ein Kind Bindungsbedürfnisse zum Ausdruck bringen und auf Veränderungsbedarf in der Familie hinweisen kann (Retzlaff 2013; Grossmann 2018; Wagner u. Binnenstein 2018). Ein Vorgehen mit einer Haltung von Allparteilichkeit und flexiblem Setting kann dazu beitragen, solche Anliegen aufzugreifen und Entwicklungsprozesse in Familien anzustoßen.

      JAKOB, 9 JAHRE alt, stellt in einem Sandbild dar, wie sich Vogeleltern um ihren Nachwuchs kümmern: Während ein Vogel brütet, holt der andere Futter herbei. Besorgt schildert Jakob, dass die Küken sterben müssten, wenn einer der Vogeleltern ausfiele. Dies führt zu seiner Angst um den Vater, der (scheinbar heimlich) trinkt, und dem Dilemma, dass sich die Eltern trennen könnten, wenn seine Mutter von seinen Sorgen wüsste (Brächter 2010, S. 184 ff.)

      NATASCHA, die mit 8 JAHREN außerhalb der Familie nicht spricht, lässt in ihren Sandbildern eine Schildkröte Zeugin bedrohlicher Szenen werden. Da die Schildkröte stumm ist, kann sie die anderen nicht warnen.

      In einer Therapiestunde konfrontiert Natascha ihren Vater mit einem Sandbild, das er mit massiven und teils gewalttätig ausgetragenen Ehekonflikten in Verbindung bringt. Nachdem das Schweigen durch das Sandbild gebrochen wurde, können die Eltern in einem längst überfälligen Trennungsprozess begleitet werden (Brächter 2010, S. 85).

      Sorgen, mit denen Kindern beschäftigt sind, lassen sich an ihrem nach außen gezeigten Verhalten nicht ablesen. Ihnen hierfür eine Mitteilungsmöglichkeit zur Verfügung zu stellen, unterscheidet systemische Sandspieltherapie grundlegend von rein störungsspezifischen, manualisierten Konzepten.

      Oft werden Eltern angeregt, sich mit eigenem, von ihnen nicht gewünschtem Elternverhalten auseinanderzusetzen. So kann sich ein Vater in einem Stein wiedererkennen, der beinah kleine Tiere überrollt. Das Bild hilft ihm, sich im Kontakt zu seinem Sohn zurückzunehmen und besser auf dessen Tempo einzustellen (Brächter 2010, S. 84 ff.).

       2.2 Narratives Sandspiel mit Familien

      Sandspieltherapie lässt sich auch in der systemischen Arbeit mit Familien nutzen. Neben der Gestaltung von Familienskulpturen im Sand (siehe Kap. 3.1) bietet sich die Möglichkeit, gemeinsam Sandbilder zu bauen und hieraus Geschichten zu entwickeln.

      Familiensandbilder werden teils auch in der Sandspieltherapie nach Dora Kalff erstellt. In der Regel werden sie von allen gleichzeitig schweigend gestaltet, ohne dass die Sandfläche aufgeteilt oder ein besonderes Vorgehen abgesprochen würde (vgl. zum Beispiel Heinzel-Junger 2018). Anschließend werden die Sandbilder gemeinsam betrachtet, aber nicht verändert.

       Gemeinsam konstruierte Sandbildgeschichten

      Im narrativen Sandspiel werden auch Familiensandbilder in Bewegung versetzt; Geschichten, die aus ihnen entstehen, werden gemeinsam weitergespielt. Bei der Gestaltung der Sandbilder nutze ich ein Vorgehen, das auch jüngeren oder ängstlichen Kindern einen Einstieg erleichtert (»gemeinsam konstruierte Sandbildgeschichten«, Brächter 2010, S. 106 ff.). Reihum stellen Eltern und Kinder Objekte in den Sand, wobei ich mich eingangs beteilige und den Eltern in der Regulierung des Tempos und der Ansprache an das Kind als Modell diene. Zunächst wird die Umgebung gebaut, später werden Figuren hinzugefügt. Fällt es einem Kind noch schwer, zu sprechen und selbst etwas auszuwählen, helfe ich ihm durch ein »Ratespiel«, welche Figur es wohl anschaut und wohin sie gestellt werden soll. Das ruhige und strukturierte Vorgehen bietet Eltern und Kindern viel Sicherheit; von Runde zu Runde beteiligen sich auch zurückhaltende Kinder aktiver an der Gestaltung.

      Ist das Sandbild abgeschlossen, wird gemeinsam überlegt, wie die Geschichte weitergehen könnte. Das Kind verteilt anschließend die Rollen zum Weiterspielen. Oft erhalten Eltern Rollen, in denen sie es bei symbolischen Entwicklungsschritten unterstützen können.

      JÜRGEN, 4 JAHRE alt, ängstlich und in der Sprachentwicklung verzögert, neigt im Alltag zu heftigem Schreien, bei dem er von den Eltern kaum zu beruhigen ist. Beim Sandspiel wagt er es anfangs nicht, selbst Figuren zu wählen; stattdessen nutzt er die Hand seiner Mutter als »Baggerschaufel«. Schließlich stehen zwei Lämmchen vor einem Tunnel, als wollten sie ihn durchqueren. Jürgen gibt zu verstehen, dass der Vater mit dem größeren Lamm vorausgehen soll, während die Mutter als Hirtin bei seinem kleinen Lämmchen bleiben soll. Mir wird – wie oft – eine Nebenrolle zugeteilt: Als Zwerg schaue ich nur zu. Nachdem der Vater seine Figur durch den Tunnel geführt hat, schiebt er auch Jürgens Lämmchen hinein. Mit der Frage »Kommst du schon dran?« motiviert er ihn, es selbst aus dem Tunnel zu ziehen. Stolz blickt Jürgen auf die beiden Lämmchen, die es geschafft haben, und strahlt seine Eltern an.

      Statt kurze Handlungssequenzen abzusprechen und umzusetzen, lassen sich Sandbildgeschichten mit älteren Kindern und Jugendlichen auch in einem offenen Prozess entwickeln, in dem die Spielhandlung im Verlauf entsteht. Im Gegensatz zum stützenden Sandspiel agieren die Eltern hierbei nicht vorrangig in einer Hilfsrolle für ihr Kind, sondern können sich auch mit eigenen Verhaltensimpulsen auseinandersetzen. Als Therapeutin wirke ich nicht aktiv mit, sondern beschränke mich auf Kommentare zum Spielgeschehen.

      Das Vorgehen wird strukturiert, indem die Mitspielenden abwechselnd ein paar Sätze erzählen und die Handlung folgen lassen. Im Unterschied zu Familienskulpturen (siehe Kap. 3.1) und zur Kinderorientierten Familientherapie (siehe Kap. 4.2) begegnen sie sich dabei nicht mit fest zugeordneten Stellvertreterfiguren, sondern bewegen spontan Figuren, die im Sandbild vorhanden sind. Die flexible Rollenwahl ermöglicht es, unterschiedliche Aspekte des eigenen Erlebens auf Figuren aufzuteilen. Da die fiktive Ebene einer Geschichte Abstand zum Geschehen schafft, können tabubehaftete Seiten des eigenen Verhaltens leichter in Szene gesetzt werden.

      BEN, 6 JAHRE alt, hat miterlebt, wie ihn seine Mutter nach einer Frühgeburt und anschließender Erkrankung der jüngsten Schwester immer wieder verlassen musste, um die Klinik aufzusuchen. Mit seinen Gefühlen von Angst und Verlassensein blieb er allein und konnte sich auch dem Vater nicht mitteilen, der selbst in Sorge war. Später entluden sich Bens Spannungen in einem Wechsel von Aggressionen und übergroßer Angst um die jüngeren Geschwister. Zu Therapiebeginn leidet er unter Albträumen; die Mutter-Sohn-Beziehung ist starken Belastungen ausgesetzt.

      Im gemeinsamen Sandspiel mit seiner Mutter lässt Ben immer wieder Raubtiere um Nahrung kämpfen, dabei greifen sie auch kleine Tiere an. Anschließend wechselt er blitzschnell in Rollen, in denen er die bedrohten Tierkinder beschützt. In reflektierenden Kommentaren spiegle ich mögliche Gefühle und Bedürfnisse der Figuren.

      An die Mutter gewandt, beschreibe ich die Angst, die die kleinen Tierkinder empfinden müssen, und bewundere die mutigen Tiere, die sich den Raubtieren in den Weg stellen. Im Selbstgespräch frage ich mich auch nach den Motiven, die die Raubtiere wohl antreiben – die mentalisierungsfördernde Art der Gesprächsführung, die Eia Asen (2021) für die systemische Arbeit mit Familien beschreibt, beziehe ich im Spiel auf die Figuren im Sandkasten.

      Die Mutter teilt meine Wahrnehmungen und Fragen. Im Gegensatz zum Alltag kann sie sich ganz auf Ben einlassen, ohne sich um die jüngeren Geschwister zu sorgen; durch ihr Mitspielen trägt sie seine Emotionen mit und gibt ihm zu verstehen, dass er all dies fühlen und ausdrücken darf. Ein bedeutender Schritt ist erreicht, als der verzweifelte Kampf um Nahrung als Folge einer Hungersnot verstehbar wird: Wölfe kommen, um ihr Futter mit


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