Geliebter Schnarcher. Daniel Wilk

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Geliebter Schnarcher - Daniel Wilk


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Ein paradoxer Ansatz bot sich fast von selbst an: das Schnarchen als notwendige Voraussetzung für Lernprozesse begrüßen, es sodann mit Interesse beobachten und auf diese Weise der Entspannung einen Weg zu ebnen, der frei von Ärger ist.

      Um die Aufmerksamkeit der Gruppenteilnehmer, die meist stark an den Ärger gebunden ist, ausreichend zu motivieren und vielleicht auch ein wenig zu fesseln, wird ein Umgang mit Schnarchen angeboten, der sehr verschieden von normalen Lösungsversuchen ist. So könnte man beispielsweise vermuten, dass Menschen, die eine andere Sprache sprechen, auch anders schnarchen. Vielleicht ist das Schnarchen aber auch eine Form der Kommunikation des Unbewussten, mit deren Hilfe der Schläfer etwas mitteilt, das man nur dann hört, wenn man lernt, sehr genau hinzuhören, um für die Zwischentöne sensibel zu werden, auf die es wirklich ankommt. (Viele weitere Beispiele werden in Kapitel 3 ausführlich beschrieben.)

      In Kapitel 1 wird der Ärger behandelt. Es wird betrachtet, was ihn auslöst, wie wir darauf kommen, dass er unabänderlich mit dem Schnarchen – und manch anderen Anlässen – verbunden sei, und dass er von dem ihn auslösenden Problem gelöst werden kann. In Kapitel 2 werden Wege zur Problemlösung beschrieben – als Grundlage für ein paradoxes Herangehen, das in Kapitel 3 auf das Schnarchen bezogen in praktischen Beispielen dargestellt wird. Dieser paradoxe Ansatz hat sich in Gruppen als erfolgreich erwiesen und hat dort nicht nur für Heiterkeit und Akzeptanz gesorgt, sondern auch für eine geringere Störbarkeit – natürlich in unterschiedlichen Ausprägungen. (Einer meiner persönlichen Favoriten ist übrigens, das Schnarchen als wohltuende Vibration im eigenen Körper einzusetzen, um Verspannungen zu lockern oder Schmerzen wegzuvibrieren.)

      Schließlich runden in Kapitel 4 Trancegeschichten das Buch ab, mit denen die Wirkungen der vorhergehenden Anregungen auf unbewussten Ebenen unterstützt werden können.

      Obwohl es auch weibliche Schnarcher gibt, die in der Lautstärke manchmal schon auch mit ihren männlichen Konkurrenten mithalten können, ist die Mehrzahl der schnarchenden Mitmenschen – jedenfalls soweit ich das erlebt habe – innerhalb des männlichen Geschlechts zu finden. Um das Schreiben des Buches nicht zu kompliziert zu gestalten, gleichzeitig aber weder Männer noch Frauen zu diskriminieren – und um auch in diesem Punkt im Sinne des ganzen Buches etwas provokativ zu bleiben – bezeichne ich den Schnarcher meistens männlich und die gestörte Teilnehmerin meistens weiblich. Nicht immer wähle ich ansonsten die gebräuchliche männliche Form, um das Lesen zu vereinfachen. Ein wenig entspricht dieses Vorgehen dem Thema – mit einem Problem anders umzugehen als gewohnt. In diesem Fall, um eine Auflockerung des einen wie des anderen starren Musters zu erreichen. Irritationen sind also durchaus erwünscht.

      1 Der Ärger

      Muss ich mich ärgern, wenn jemand schnarcht?

      Schnarchen ist eine häufige Begleiterscheinung der tiefen Entspannung. Es kann Heiterkeit auslösen oder auch Ärger, wenn jemand dadurch gestört wird. Ärger und die damit einhergehende Anspannung, Unruhe und vielleicht sogar Wut oder Verzweiflung können dann entstehen und sich im Menschen ausbreiten, wenn er selbst entspannen möchte und durch das Atemgeräusch des anderen davon abgehalten wird.

      Aber nicht jeder Mensch reagiert mit Ärger. In meinen Entspannungsgruppen habe ich viele verschiedene Schnarchgeräusche und auch sehr unterschiedliche Reaktionen darauf gehört und erfahren. Am auffälligsten war Unmut, der sich in offene Aggression steigern konnte und sowohl den Schnarcher (meist, aber keineswegs immer Männer) als auch die Verärgerte (meist waren es Frauen, die sich unangenehm an das eigene Schlafzimmer erinnert fühlten) bei der Entspannung störte. Dieser Unmut war der Anlass, nach Lösungen für das Problem zu suchen, die für alle Beteiligten zu einem möglichst positiven Ergebnis führen sollten. Besonders wenn die Wut groß war und vielleicht sogar mehrere Teilnehmerinnen forderten, dass das aufzuhören habe, gerieten die schnarchenden Mitmenschen unter Druck. Sie fühlten sich schuldig, fürchteten, nicht nur aus der Entspannungsgruppe ausgeschlossen, sondern insgesamt gemieden zu werden.

      Neben dem Unmut wurde seltener auch Verständnis für das Ruhebedürfnis gezeigt. Eine Teilnehmerin erinnerte sich an ihren kürzlich verstorbenen Mann. Sie äußerte traurig, dass sie sich freuen würde, wenn er noch schnarchen würde. In diesem Sinne fanden es manche Teilnehmerinnen auch beruhigend, wenn ihr kranker Partner zu hören war und sie sich deshalb keine Sorgen machen mussten, dagegen beunruhigt waren, wenn der Partner im Bett nicht mehr zu hören war. Und schließlich gab es auch die Reaktion der Freude, wenn das Geräusch an sich als beruhigend und die Entspannung fördernd empfunden wurde.

      Wenn jemand nebenan schnarcht und die eigene Entspannung stört, muss man sich ärgern. So denken viele Menschen. Eine als zwingend erlebte Verbindung zwischen einem Verhalten eines Menschen und einer Reaktion eines anderen darauf finden wir im Alltag häufig. Wenn mir jemand etwas wegnimmt, muss ich mich wehren. Ob er sich davon nur dringend benötigte Nahrung besorgt oder einen neuen Schluck Alkohol gegen die schreckliche Pein des Entzugs, wird gerne nicht berücksichtigt – schließlich darf man niemandem etwas wegnehmen.

      Fragt man in einer Gruppe in die Runde, ob das anderen genau so geht, dann erhält man in der Regel eine breite Zustimmung. Stimmt jemand dagegen, wird er eher als etwas seltsam und als nicht normal angesehen. Der Gruppenkonsens festigt das Muss.

      So empfindet man die eigene Reaktion auf ein Verhalten oder Ereignis als einzig mögliche, ohne sie in Frage zu stellen, womit sie praktisch unabwendbar wird. Begründet wird die eigene Einstellung und das daraus vielleicht resultierende Verhalten mit den Gefühlen, die durch den Auslöser hervorgerufen werden. Der Verstand kann sich zunächst einmal kaum Gehör verschaffen, eine sachliche Betrachtung fällt schwer. Man muss sich ärgern, mit dem Kind schimpfen, wenn es sich nicht »richtig« verhält; schneller fahren, um pünktlich zu sein, oder auch Geld ausgeben, um eine Beule aus dem Auto zu entfernen, durch die das Auto nur anders aussieht, in seiner Fahrtüchtigkeit aber nicht beeinträchtigt wird.

      Es kommt einem kaum in den Sinn, dieses Muss zu hinterfragen. Tut man es doch einmal ernsthaft, kann man hinter dem Nebel, den der Ärger vor den Verstand gelegt hat, recht bald erkennen, dass es auch Alternativen zu der als unausweichlich empfundenen eigenen Reaktion gibt. Es zeichnen sich neue Wege ab, wie man mit dem auslösenden Reiz umgehen kann. Diese Wege sind zunächst nur schemenhaft, und es fällt nicht leicht, die Energie aufzubringen, sich darauf einzulassen – zumal sie implizieren, dass man sich bisher nicht konstruktiv verhalten hat und diese Erkenntnis und das Vorhandensein alternativer Wege auch auf andere Anlässe für Ärger übertragen werden könnte. Das würde bedeuten, dass auch andere eigene Verhaltensweisen veränderungsbedürftig sind.

      Reaktionen auf das Schnarchen können in diesem Sinne so selbstverständlich werden, dass es wie ein natürlicher Zwang empfunden wird, sie auszuführen, wenn der Auslöser auftritt. Man muss sich ärgern, schließlich »hält das doch keiner aus!«. Gruppenteilnehmer reagieren während der Entspannung entsprechend mit sichtbarem Ärger und der Androhung, die Gruppe zu verlassen oder sogar tätlich zu werden, sollte der Schnarcher nicht entfernt werden.

      Es ist sehr wahrscheinlich, dass jemand, der so aggressiv reagiert, sich schon häufiger über entsprechende Erfahrungen im Schlafzimmer zu Hause geärgert hat. Dort mag das Schnarchen zu Beginn der Beziehung noch liebe- und verständnisvoll toleriert worden sein. Mit zunehmendem eigenem Stress durch die Pflichten des Alltags sank aber die Toleranzgrenze für alles Störende. Nachts wurde der Schlaf dringend gebraucht, war vielleicht sowieso schlecht durch Belastungen in Beruf oder in der Familie, die den nächtlichen Schlaf ohnehin nicht sonderlich tief werden ließen, und wurde dann auch noch durch das Schnarchen des anderen unterbrochen.

      In der Entspannungsgruppe wird dann erwartet, dass die


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